Die Fitnessgeräte wirken komplexer als die Relativitätstheorie. Und die anderen Trainierenden, die sich gerade an Ruder-Ergometer, Crosstrainer und Beinpresse abrackern, sehen aus wie Fitfluencerin Pamela Reif oder Arnold Schwarzenegger – nur besser.

Manche Geräte eignen sich besser als andere zum Start im Fitnessstudio.
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Viele Menschen fühlen sich bei ihren ersten Besuchen im Fitnessstudio unsicher. Sie glauben, die abschätzigen Gedanken der anderen, sicher viel erfahreneren Athletinnen und Athleten quasi hören zu können. Und fühlen sich nicht fit genug, falsch angezogen, sind mit ihrem Körper unzufrieden oder kennen sich bei den Geräten nicht aus. Und im Hinterkopf lauert die ganz große Frage: was, wenn ich mich vor all diesen sportlichen Menschen hier blamiere?

Das Phänomen nennt sich – etwas sperrig – "Gymtimidation". Dabei handelt es sich um eine Wortkreation aus "Gym", das heißt Fitnessstudio, und "Intimidation", also Einschüchterung. Viele überwinden ihre "Gymtimidation" nach den ersten paar Sporteinheiten, bei denen sie Geräte und Mittrainierende besser kennenlernen. Manche bleiben aber wegen der Angst, nicht gut genug zu sein, dem Studio gleich wieder fern und werfen ihre gesunden Vorsätze damit über Bord.

Fragen stellen

Diese Hürde kennt man in Fitnessstudios – und versucht, sie sportlich zu nehmen. Bei der Kette John Harris werden Neuankömmlinge zum Beispiel gleich einmal zum Anamnesegespräch geladen, bei dem die Körperzusammensetzung erhoben und ein Trainingsplan erstellt wird.

Ein Trainer oder eine Trainerin erklärt dann die Geräte und Übungen: "Wir ermutigen die Menschen, Fragen zu stellen", sagt Pressesprecher Christian Zöbl. Bei Anfängerinnen und Anfängern gehe es da schon um das richtige Outfit für das Fitnessstudio – "Lange Hose oder kurze Hose?" – und die Frage, ob man lieber mit Ausdauer- oder Krafttraining starten sollte.

Erwartungen runterschrauben und Fragen stellen – so lauten zwei Tipps gegen "Gymtimidation".
Illustration: Marie Jecel/Standard

Auch der Sportpsychologe Georg Hafner kennt die Unsicherheit beim Sport: "Wir sind soziale, vergleichende Wesen", sagt er. Dass man sich im Gym mit anderen vergleicht, sei daher grundsätzlich ganz normal – solange man sich davon nicht in seinen sportlichen Plänen beirren lässt oder in einer Gedankenspirale verliert. Der Psychologe betont aber, dass man sich professionelle Unterstützung suchen sollte, wenn die Unsicherheit so belastend wird, dass sie den Alltag einschränkt.

Keine hohen Erwartungen

Das Gefühl kennen vermutlich alle, die schon einmal in einem Fitnessstudio waren: Tritt man das erste Mal an ein neues Gerät und glaubt, dass andere einen beobachten, steigt die sogenannte Selbstaufmerksamkeit, man fühlt sich exponiert. Hafner rät in solchen Momenten, den Fokus auf das zu legen, was relevant ist – nämlich den Grund, warum man im Fitnessstudio ist. Etwa weil man mit Krafttraining etwas gegen die ewigen Rückenschmerzen tun möchte, weil man die Stufen im Büro wieder ohne Schnaufen erklimmen will oder einfach ein neues Hobby sucht.

Hannes Woschner, Geschäftsführer des Functional-Fitness-Studios Five im 18. Bezirk in Wien, kennt die schüchternen Fragen von Anfängerinnen und Anfängern: "Manche wollen wissen, ob man auch unsportlich bei uns starten kann", sagt er – und erklärt dann, dass es Übungen für wirklich jedes Level gibt.

In seinem Studio gibt es Trainingsgeräte wie Kettlebells und Battle-Ropes. Hier wird in der Gruppe trainiert, das habe in puncto "Gymtimidation" Vor- und Nachteile: Einerseits findet man schnell Anschluss und Motivation. Andererseits kann man sich so nicht in die Anonymität und eine stille Ecke im Studio zurückziehen.

Spiegelfreie Zone

Was in Woschners Studio fehlt, sind Spiegel an den Wänden, die in anderen Gyms gern von Trainierenden für Selfies verwendet werden. So entsteht auf Instagram oftmals der Eindruck, dass hier nur Fitfluencerinnen und keine Normalsterblichen trainieren. In so gut wie jeder Muckibude wird aber immer wieder betont, dass das gar nicht stimmt. Einschüchtern kann das Neulinge dennoch.

Es kann sich also schon auszahlen, sich auf der Suche nach einem guten Gym mehrere Optionen anzusehen und auszuprobieren, wo man sich wohlfühlt. Psychologe Hafner rät außerdem dazu, sich langsam an das Studio heranzutasten. Beim ersten Besuch könne man sich, wenn man unsicher ist, erst einmal nur umzuschauen, das geht auch ohne Sportgewand. Läuft das gut, kann man beim zweiten Besuch schon das Trainingsgewand, aber keine hohen Erwartungen mitnehmen: "Man muss nicht 45 Minuten trainieren", betont Hafner. Auch ein kürzeres Workout, bei dem man sich wohlfühlt, zählt.

Noch ein Tipp gegen die "Gymtimidation": Man muss nicht jedes Gerät sofort beherrschen. Es gibt eher unkomplizierte Geräte wie Laufband, Fahrrad-Ergometer oder besagte Beinpresse.

Die Fitnesskette John Reed, die beim Wiener Schottentor ein Studio auf 2600 Quadratmetern betreibt, hat Tipps für Anfängerinnen und Anfänger. Erfahrungsgemäß, heißt es auf Anfrage, funktioniere der Start am besten über Gruppenkurse. Der Kursraum sei ein geschützter Ort, hier könne man sich genau den Platz suchen, an dem man sich wohlfühlt – was am Anfang nicht die allererste Reihe beim Spinning-Workout sein wird.

Ab zur Konfrontation

Als nächsten Schritt rät man bei John Reed dann zu Group-Workouts, die nicht mehr im geschützten Kursraum, sondern im offenen Bereich stattfinden: "Der Schritt, selbstständig ein eigenes Workout ohne Gruppe zu absolvieren, ist dann gar nicht mehr so groß."

Die gute Nachricht: Die "Gymtimidation" kann man in den Griff bekommen. Sie muss keine Hürde auf dem Weg zu mehr Fitness sein. Die schlechte: An der Konfrontation führt kein Weg vorbei. Letztendlich, sagt Hafner, geht es im Fitnessstudio aber auch um mentales Training. Man könne sich also schon vorab vorstellen, welche Gedanken in bestimmten Situationen kommen – und visualisieren, wie man damit umgeht.

Helfen kann auch der Gedanke, dass jeder irgendwann zum ersten Mal trainiert und sich vielleicht genauso überfordert gefühlt hat. Sogar Pamela Reif und Arnold Schwarzenegger. (Franziska Zoidl, 31.3.2023)