Ob Schnürlsamt oder Plissee: Maria Happel (Mitte) und ihre Mitstreiter rocken das Burgtheater.

Foto: Matthias Horn

Es gibt nur eine Person, die an diesem Abend keine Farben trägt. Während die Adlaten in moosgrünen oder fliederfarbenen Cordanzügen stecken, während die einen im Hofstaat blumenbunt und die anderen Plissee-orakelhaft schillern, trägt ausgerechnet die Fantasie Mausgrau (Kostüme: Geraldine Arnold). Hosenträger, Seitenscheitel und Aktenkoffer tun ein Übriges, um diesen Vertreter der Kreativität als Mäuschen abzustempeln.

Doch halt! In Gestalt von Tim Werths ist diese Fantasie ein wunderbares Beispiel dafür, dass Gedankenwitz und Luftsprünge keine Grenzen kennen. Werths schmeißt seine langen Beine in die Höhe, tapst und trippelt, witzelt und kalauert und wechselt dabei auch noch sekundenschnell von einem sprachlichen Akzent in den anderen. Während die Pointenmaschinerie rings um ihn auch manchmal ins Stocken gerät: Allein dieser grandiose Schauspieler ist der lebende Beweis, wie viel Kraft und Komik im Theater stecken können.

Gedankenwitz und Luftsprünge: Tim Werths als Fantasie
Foto: Matthias Horn

An diese glaubt Herbert Fritsch wie wenige seiner Regiekollegen. Der ehemalige Volksbühnen-Schauspieler bereichert die deutschsprachigen Theater- und Opernhäuser seit Jahren mit den schillerndsten und verrücktesten Bühnenarbeiten. Während andere gedankliche Tiefenbohrungen machen, pflügt er die Oberflächen so lange, bis sie vor lauter Gags, Gags, Gags nicht mehr wiederzuerkennen sind. Jetzt hat sich Fritsch am Burgtheater eine besonders aus der Zeit gefallene Vorlage zur Brust genommen, Ferdinand Raimunds 1828 im Theater in der Leopoldstadt uraufgeführtes Zauberspiel Die gefesselte Phantasie.

Außer Achim Freyer (ein zweiter Zauberkünstler!), der das Altwiener Stück vorigen Sommer in Gutenstein inszenierte, gibt es kaum Regisseure, die sich für diese Raimund’sche Fantasterei begeistern können – und das, obwohl sie auf der Insel Flora spielt, auf der Jamben und Trochäen und nicht Waffen und Moneten gehuldigt wird. Regiert wird die Blumeninsel von Hermione, die ausschließlich einen Dichter ehelichen will und auch sonst einige Herausforderungen zu stemmen hat – konkret die zwei bösen Zauberschwestern Vipria (Sarah Viktoria Frick) und Arrogantia (Elisa Plüss) in Schach halten muss. Diese haben die Fantasie gefangen genommen, damit keiner mehr ein Gedicht zustande bringt.

Lederhausenseppen im Donaustädter Tschocherl
Foto: Matthias Horn

Auch nicht der Harfenist Nachtigall, dessen schräge Klänge nicht einmal von den Lederhosenseppen im tiefsten Donaustädter Tschocherl geschätzt werden. Sebastian Wendelin spielt diesen Harfenisten, und er ist neben Werths das zweite Schauspielwunder an diesem 135 Minuten langen, aber atemlosen Abend. Er ist auch der Einzige, der eine dicke Portion Wiener Lokalkolorit in diesen Raimund bringt. Lange erschienen die Stücke des Biedermeier-Dichters hierzulande auch deswegen so altbacken, weil ihnen unter den Pranken gstanzlseliger Volksschauspieler und heurigenbeschwipster Regisseure die Luft zum Atmen genommen wurde.

Gags unter der Dauerwelle

Wendelin kennt offensichtlich diese Tradition, aber er vermanscht sie mit allem, was ihm unter sein onduliertes Perückenhaar kommt, von Gags à la Louis de Funès bis zu Tuntenparodien eines Bully Herbig. Diesen anarchischen Willen zum Blödsinn teilt er mit allen seinen Mitstreitern, vom – wie könnte es anders sein – Hofnarren, den Markus Scheumann mit preußischer Pointenpräzision und etwas weniger Charme gibt, bis hin zum selbstverliebten Hofpoeten des Gunther Eckes. Selbst Königin Hermione ist weniger Ehrfurcht gebietende Potentatin als ein auf roten Stilettos dahintrippelndes Punschkrapferl.

In Gestalt von Maria Happel ist diese Hermione zum Anbeißen gut. Die Krone rutscht ihr von den Lockenwicklern, die Pausen in ihren Versen setzt sie gekonnt falsch. Mit Bless Amada als geheimem Liebhaber hat sie zudem einen Mitspieler, der mindestens genauso verstrahlt ist wie sie selbst. Mit einem multilingualen Gedichtungetüm erobert der unerkannte Königssohn ihre Hand, bevor die zwei schlussendlich der grenzenlosen Liebe huldigen.

Der Schlussakkord gehört beim Premierenabend aber zu Recht Herbert Fritsch, der mit Harfe an die Rampe tritt. Er hat das öde Raimund’sche Zauberspiel in einen grellen Slapstick-Spaß verwandelt. Das Bühnenbild aus munter rauf- und runterfahrenden Wolken- und Sternenprospekten ist übrigens auch von ihm. Perücke ab! (Stephan Hilpold, 30.3.2023)