Schon kommende Woche dürfte die Grenze zwischen der Nato und Russland um ganze 1.340 Kilometer länger werden – sehr zum Missfallen von Wladimir Putin. Die russische Großstadt St. Petersburg wird nur mehr knapp 200 Kilometer südöstlich von Nato-Gebiet entfernt liegen, wenn Finnland wie derzeit geplant dem Bündnis offiziell beitritt.

Finnlands Präsident Sauli Niinistö (links) holt sich den Segen von Recep Tayyip Erdoğan.
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Das "Wenn" ist zuletzt aber immer kleiner geworden: Mehr als elf Monate lang hat das Ansuchen des nordischen EU-Landes nun den mühsamen Amtsweg beschritten, ist durch die Parlamente der 30 Mitgliedsstaaten gewandert und hat in der Nacht auf Freitag schließlich auch den Segen aus Ankara bekommen. Nun dürfte Finnlands Nato-Beitritt nur mehr Formsache sein.

Wie geht es weiter für Finnland?

Das Ja des türkischen Parlaments hat schließlich eine – wenn auch akribisch vorbereitete – Kettenreaktion ausgelöst: Die Türkei und Ungarn schicken nun Bestätigungsschreiben nach Washington, wo seit der Nato-Gründung 1949 alle Dokumente des Bündnisses in einem Archiv im Außenministerium verwahrt sind. Dieses informiert dann von Amts wegen Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass Finnland nunmehr alle Kriterien für einen Beitritt erfüllt. Stoltenberg wiederum lädt dann Finnland per Brief offiziell in die Nato ein.

Das Parlament in Ankara gab doch noch grünes Licht für den Nato-Beitritt Finnlands.
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Danach kommt der finnische Außenminister Pekka Haavisto ins Spiel. Vermutlich über den Umweg der Botschaft in Washington wird dieser einen Brief an das US-Außenministerium senden, in dem Finnland seinen Beitrittswunsch bestätigt. Sobald das Schreiben ankommt, ist Finnland offiziell 31. Mitglied der Nato. Auch die Parlamentswahlen in Finnland am Sonntag dürften daran angesichts der breiten Zustimmung in der Bevölkerung nichts ändern.

Finnlands Nachbarland Schweden, historisch ein enger Verbündeter Helsinkis, muss hingegen vorerst weiter warten. Wie lange noch, ist unklar.

Und was kann Schweden tun?

Er freue sich, auch Schweden "so bald wie möglich" als neues Nato-Mitglied zu begrüßen, sagte Stoltenberg am Freitag. Wie bald, muss sich freilich erst zeigen: Sowohl Ungarn als auch die Türkei lassen Stockholm weiter zappeln, was die Ratifizierung seines Beitrittsgesuchs angeht.

Vorreiter Finnland, dessen Präsident Sauli Niinistö direkt nach dem Votum in Ankara auf Twitter den Beitritt seines Landes verkündet hat, will Schweden unterstützen, es ihm möglichst rasch gleichzutun. Eigentlich hatten die beiden Nordländer gemeinsam der Nato beitreten wollen, weil man sich von Russlands aggressivem Regime bedroht fühlt.

Finnlands wahlkämpfende Regierungschefin Sanna Marin (Mitte) hat ihr Ziel erreicht.
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Anders als Finnland fehlt Schweden aber weiterhin die Ratifizierung zweier der insgesamt 30 Nato-Mitglieder: Türkei und Ungarn. Ankara wirft Schweden vor, unzureichend gegen "Terrororganisationen" vorzugehen, und kritisiert, dass Auslieferungsgesuche nicht beantwortet würden. Jüngst hatte Staatschef Recep Tayyip Erdoğan bekräftigt, dass er von Schweden zuerst die Auslieferung angeblicher "Terroristen" erwarte, die nach Schweden geflüchtet sind.

Poker um US-Kampfjets

Offiziell verweist die türkische Regierung zudem darauf, dass man zunächst sehen will, ob Schweden wie versprochen im Juni ein neues Antiterrorgesetz verabschiedet, das sich, wie von Erdoğan gefordert, auch gegen die kurdische PKK und die kurdisch-syrische YPG-Miliz richtet.

Tatsächlich pokert der Präsident nach wie vor mit den USA um die Lieferung neuer Kampfflugzeuge. Während der US-Kongress darauf beharrt, dass die Türkei zunächst auch Schwedens Nato-Beitritt ratifiziert, bevor man über die F-16 spricht, sieht man es in Ankara genau andersherum. Wenn die USA einem Verkauf zugestimmt haben, will man auch Schweden grünes Licht geben.

Schwedens Premier Ulf Kristersson (links neben Nato-Generalsekretär Stoltenberg) muss weiter auf das Placet aus Budapest und Ankara warten.
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Budapest wiederum monierte jüngst schwedische Aussagen zu Rechtsstaatlichkeit und Korruption – dabei hatten die Schweden eigentlich lange Zeit nicht mit Einwänden aus Budapest gerechnet. Ungarn, das sich bezüglich des Hinhaltens Schwedens mit der Türkei abgesprochen hat, hegt derweil aber auch noch andere Interessen, die im Zusammenhang mit einer Zustimmung zu Schwedens Nato-Beitritt erfüllt werden sollen.

Schweden hat derzeit den Vorsitz in der EU und gehört aus Sicht von Viktor Orbán zu jenen Ländern, die dafür gesorgt haben, dass im Rahmen des Rechtsstaatsverfahrens EU-Gelder für Ungarn auf Eis gelegt wurden. Orbán will das Geld, bevor er seine Zustimmung zu Schwedens Nato-Beitritt gibt.

Gute Kontakte nach Moskau

Wann – und ob – die beiden Länder Schweden ihren Segen geben, ist noch unklar. Die schwedische Regierung hofft darauf, dass Ungarn und die Türkei bis zum nächsten Nato-Gipfel im litauischen Vilnius im Juli ihre Vorbehalte ausräumen.

Dass es solche auch in Russland gibt, dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine erst zu den Nato-Beitrittsansuchen der beiden traditionell bündnisfreien Nordländer geführt hat, versteht sich hingegen von selbst. Der russische Botschafter in Stockholm hatte jüngst gewarnt, dass Schweden und Finnland nach einem Nato-Beitritt zu "legitimen Zielen" russischer "Vergeltungsmaßnahmen" würden – auch solcher militärischer Art.

So könnte schließlich noch ein weiterer Faktor eine Rolle spielen: Sowohl die Türkei als auch Ungarn sind im Nato-Bündnis die Länder, die nach wie vor einen guten Kontakt zu Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin aufrechterhalten. Dass beide die nordischen Beitritt-Aspiranten hinhalten, dürfte deshalb kein Zufall sein, mutmaßt man in Brüssel. (Florian Niederndorfer, Jürgen Gottschlich, 31.3.2023)