Mirga Gražinytė-Tyla, die erst 36-jährige Litauerin im Konzerthaus.

Hannah Fathers

Wien – Es wird gern behauptet, dass die internationalen Orchester einander immer ähnlicher würden (ähnlich wie die großen Fußballklubs). Das mag zum Teil stimmen, was den Klang anbelangt; im Spielverhalten bestehen nach wie vor doch auch große Unterschiede.

Letzteres wird von der vorherrschenden Mentalität geprägt und vom Dirigenten geformt. Cheftrainerin des FC Birmingham – Pardon: des City of Birmingham Symphony Orchestra – war in den letzten sechs Saisonen Mirga Gražinytė-Tyla. Aufbauend auf die direkte, aktive Spielweise ihrer Musikerinnen und Musiker formte die erst 36-jährige Litauerin aus der Truppe einen topfitten, agilen Klangkörper, der mit seiner Performance erfrischt wie eine Kneipp-Kur.

Manches zu niedlich

Kantig, prägnant und energisch am Donnerstagabend im Konzerthaus der Kopfsatz von Mieczysław Weinbergs Sinfonietta Op. 41/1; poetisch (die Oboe!) und intim der langsame Satz, von huschender Emsigkeit das Allegretto. Robert Schumanns Klavierkonzert inszenierte Kirill Gerstein dann leider als Niedlichkeitsfestspiele: samtig, feingliedrig und überpflegt. Der zweite Satz: Hintergrundmusik für ein Dialog im Teesalon. Der dritte? So putzig. Ein Schumann in Chiffon!

Der 43-jährige Pianist entschädigte und verzauberte dann aber schließlich mit seiner Zugabe, der Rachmaninow-Bearbeitung von Kreislers Liebesleid: höchste Virtuosität gemixt mit Barpianistendezenz. Bei Gražinytė-Tylas eigener Komposition (im Sinne von Zusammenstellung) einer Ballettsuite aus Prokofjews Romeo und Julia waren natürlich die Kracher wie Die Montagues und die Capulets,Tybalts Tod oder Romeo am Grab von Julia in emotional und akustisch erschütternder Weise zu vernehmen.

Das war großes Gefühls- und Actionkino – verbunden aber auch mit großem gestalterischen Ernst. Libellenzart wirkte dabei die Schilderung der Liebe von Romeo und Julia inmitten des zehnteiligen Zyklus. Es gab Fanjubel für ein erfolgreiches Gastspiel. (Stefan Ender, 1.4.2023)