So geht es einem Staat, der mit guten Vorsätzen begann, sich dann aber in Ganoventum und moralischer Beliebigkeit verlor. Unter Präsident Nelson Mandela unterzeichnete Südafrika 1998 selbstverständlich die Römischen Verträge – wie 33 andere afrikanische Staaten, die der Straffreiheit für Menschenrechtsverbrecher ein Ende bereiten wollten. Schließlich sollte der Haager Gerichtshof dafür sorgen, dass rassistische Gewaltherrscher, Folterer und Kriegsverbrecher hinter Gittern landen, die auch den afrikanischen Kontinent jahrhundertelang heimgesucht hatten.

Manchem Funktionär des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) am Kap der betrogenen Hoffnung scheint das heute nicht mehr opportun zu sein. Ausgerechnet der Mandela-Enkel Mandla Mandela fordert jetzt den Austritt seiner Heimat aus dem Rom-Statut – weil der Haager Gerichtshof parteiisch sei und die Souveränität der Unterzeichnerstaaten untergrabe. Das habe die Behörde zuletzt dadurch bewiesen, dass sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine anklagte: ein "unsinniger" Akt, wie der ANC-Parlamentarier befand. Putins Anklage bedeutet für die Unterzeichnerstaaten der Römischen Verträge, dass sie den russischen Präsidenten zu verhaften haben, sobald er sich auf ihr Territorium begibt: Das könnte in Südafrika Ende August der Fall sein, wenn Putin zum Gipfeltreffen der fünf Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) in der Hafenstadt Durban erscheint. "Das größte Dilemma der südafrikanischen Außenpolitik in den vergangenen Jahrzehnten", befindet der ugandische Journalist Yasin Kakande.

Wladimir Putin mit Cyril Ramaphosa beim Brics-Treffen im Jahr 2022.
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Schmierenstück um al-Baschir

Die "Comrades" des ANC standen schon vor acht Jahren vor einem ähnlichen Problem – und zogen sich mit einem peinlichen Schmierenstück aus der Affäre. Der damalige Präsident Jacob Zuma hatte den sudanesischen Ex-Diktator Omar al-Baschir zu einem Gipfeltreffen der Afrikanischen Union nach Johannesburg geladen, obwohl dieser in den Haag wegen Völkermord und Kriegsverbrechen in den Darfur-Provinzen unter Anklage stand. Wie auch in anderen Fällen kümmerte sich Südafrikas Präsident nicht um die Gesetze seines Landes. Selbst als ein Gericht auf Initiative einer Nichtregierungsorganisation die sofortige Verhaftung al-Baschirs verlangte, ermöglichte Zuma dessen nächtliche Flucht.

Absurder Vermittler

Ein derartiges Vorgehen wäre im Fall Putins unvorstellbar – alleine schon, weil Zumas Nachfolger Cyril Ramaphosa wenigstens noch den Schein eines Rechtsstaats zu erhalten sucht. Andererseits enthält sich der ANC jeglicher Kritik an Putin: Dessen mögliche Kriegsverbrechen wurden in Verlautbarungen der Regierungspartei noch nie erwähnt. Offiziell, weil sie sich als Vermittler im Ukraine-"Konflikt" bereithalten will – in Wahrheit, weil der ANC mit russischen Oligarchen Geschäfte macht. Die Vorstellung, dass Südafrika als Friedensstifter zwischen der Ukraine und Moskau in Erscheinung treten könnte, klingt nicht nur in Kiew absurd.

Die Tauben im ANC suchen dem Dilemma derzeit mit pragmatischen Vorschlägen zu begegnen. Statt Putin könne Außenminister Sergei Lawrow zum Gipfel nach Durban kommen, heißt es etwa. Alternativ könnte der Präsident nur virtuell auftreten. Derartige Kompromisse reichen den Falken in der Regierungspartei allerdings nicht: Sie wollen, dass ihr Land dem Rom-Statut jetzt endgültig den Rücken kehrt. Das hatten die Comrades bereits nach dem Al-Baschir-Debakel vor, motteten die peinliche Initiative allerdings stillschweigend wieder ein. Nun hat sich ausgerechnet Mandla Mandela zum Sprecher der Gegner des Strafgerichtshofs aufgeschwungen: Was sein Großvater dazu sagen würde, ist dem Apologeten Putins offenbar egal.

ANC-Delegation in Russland

Am Samstagabend bestätige der ANC, dass sich mehrere Parteimitglieder auf einem "Arbeitsbesuch in der Russischen Föderation" befänden. Der Besuch folge einer Einladung der Partei Einiges Russland, die ein "langjähriger Verbündeter und Freund des ANC" sei. Es werde "über die Neukalibrierung der globalen Ordnung" diskutiert, um die "Folgen des Neokolonialismus und der zuvor vorherrschenden unipolaren Welt umzukehren". (Johannes Dieterich, 3.4.2023)