Adieu, tristesse: Wenn es nach der österreichischen Designerin Astrid Deigner geht, lächeln Hoodies in schlumpfigem Türkis.

Foto: Irina Gavrich / Astrid Deigner

Das dänische Modelabel Ganni entwirft Hosen in rotem Vichy-Karo,

Foto: Ganni

Die Marke Wood Wood legt in diesem Frühjahr einen Boxenstopp in Grün, Rot und Blau hin.

Foto: Wood Wood

Wer in dem kleinen Store in der Wiener Neubaugasse steht, sieht mehr Farbe als weiße Wände. Hier eine dottergelbe, kugelförmige Smiley-Lampe, da ein Hosenanzug in pinkem Kord, weiter drüben eine iPhone-Tasche in Flaschengrün. Der Laden ist das Reich von Vivien Sakura-Klingbacher und Lilly Egger-Peitler. Viele der Produkte, die es hier gibt, spiegeln wider, was auf Online-Plattformen wie Instagram gerade gefragt ist: Sonnenbrillen in Orange oder skulpturale Vasen in Violett. Sakura-Klingbacher sagt, von ihren japanischen Jumpsuits verkaufen sich am besten jene in Knallgrün, Purple und Pink.

Das ist bemerkenswert. Drehte sich in den vergangenen Jahren nicht alles um die Farbe Beige? Oder "Greige", einen unbestimmten Farbmix aus Grau und Beige? Was lange als verwaschener Pensionistenfarbton, als unsichtbar machende Farbe abgetan wurde, war plötzlich das Markenzeichen von Realitystar Kim Kardashian. 2020 präsentierte sie mit ihrem damaligen Gatten, dem Rapper Kanye West, auf Instagram das gemeinsame Domizil in L.A. Das sah aus wie eine gigantische Cremeschnitte: keine Farben weit und breit. Influencerinnen in haferflockenfarbenen Cardigans taten es ihr gleich: Sie saßen ab nun auf hellen, gerundeten Sofas herum und bereiteten auf blassen marmornen Küchenplatten ihren Caffè Latte mit Mandelmilch zu.

Neue Neutrale

Es kursierten viele Analysen über die Omnipräsenz der Mandelmilchfarben, der "New Neutrals" und der "Vanilla Girls". Der Vorwurf an die Frauen, die sich in UGG-Stiefeln in ihren aufgeräumten Wohnwelten fotografierten: Hier inszenieren sich privilegierte, meist weiße Frauen als geschmackssichere Elite. "Bunt ist trashy, Greige ist classy", kommentierte unlängst das Missy Magazine dabei mitschwingende Stereotype. Und dann wären da noch die "sad beige Moms", die die Strampler des Nachwuchses lieber auf den cremefarbenen Teppichboden abstimmten, als die Katalogatmosphäre mit Prinzessin-Lillifee-Kram durcheinanderzubringen.

Doch etwas verändert sich in diesen auf Insta ausgestellten Wohnungen. Mittlerweile stehen dort immer häufiger bunte Vasen von Hay und babyblaue Spiegel des skandinavischen Designers Gustaf Westman herum. Ihre Bewohnerinnen ziehen rosa Schlapfen und violette Pullunder an. Oder haben beige Blazer gegen knallfarbene Motocross-Jacken eingetauscht, wie sie die Schauspielerin Angelina Jolie 1995 in Hackers oder Uma Thurman 2003 in Kill Bill trug. Was ist da passiert?

Ruhige Farbe

"Es wundert mich nicht, dass die Menschen etwas Neues wollen. Beige ist eine ruhige, wohltuende Farbe. Sie war eine Zeit lang das neue Weiß. Aber eben auch omnipräsent", sagt der deutsche Farbexperte Axel Buether von der Universität Wuppertal. Wohlfühltöne, glaubt er, würden weiterhin beliebt bleiben, denn "wir befinden uns nach wie vor in Angstphasen". Allerdings geselle sich dazu "die Hoffnung auf eine bessere Welt und frische Farben".

Wie wäre es zum Beispiel mit Gelb? Vor fünf Jahren prognostizierte die US-amerikanische Autorin Haley Nahman auf dem Blog Manrepeller dem "Gen-Z-Yellow" eine rosige Zukunft. Damals sah vieles danach aus. Beyoncé fegte in einem sonnenblumengelben Cavalli-Kleid durch das Video zu ihrem Song Hold Up, der meterlange gelbe Logo-Gürtel von Virgil Ablohs Label Off-White galt als Ausweis modischer Auskennerschaft. Gelb sei die logische Nachfolge des Millennial Pink der Generation Girlboss, glaubte Nahman. Wie Rosa funktioniere die Farbe sowohl nostalgisch als auch modern, sie strahle Energie wie Optimismus aus.

Smiley-Gelb

Doch die Pandemie bremste das heitere Farbversprechen zunächst einmal aus. "Werden die Jungen jemals die neue It-Farbe annehmen?", fragte der britische Guardian erst unlängst. Zwar setzen junge Hautpflegemarken wie Starface auf Smiley-gelbe Verpackungen, ansonsten sieht es bislang überhaupt nicht danach aus. Vielleicht ist es das individualistische Selbstverständnis der Generation Z, das sich von den Alten nicht auf eine Farbe festnageln lassen will.

Pink hingegen lebt weiter. Im Sommer läuft Greta Gerwigs Film Barbie mit Hauptdarstellerin Margot Robbie in den Kinos an. Seit vor einem Jahr die PR-Maschinerie für den Film angeworfen wurde, stehen nicht nur ein neuer Hashtag (#barbiecore), sondern auch viele Pink-Klischees im Raum. Barbie scheint aber nicht nur gealterte Millennials zu inspirieren. Die Schauspielerin Glenn Close besuchte im vergangenen Jahr erstmals die legendäre New Yorker Met-Gala und wählte für jenen Auftritt ein Outfit mit Umhang von Valentino. Das italienische Modehaus hatte gemeinsam mit Pantone einen eigenen Pink-Ton für seine Herbstkollektion 2022 entwickelt. Heuer erklärte das Institut passenderweise "Viva Magenta" zur Farbe des Jahres. "Ein Werbegag", sagt Farbexperte Buether. Trendfarben auszurufen schafft Kaufanreize.

Das neue Pink

Die Modeindustrie lebt davon. "Rot ist das neue Pink", jubelte die Harpers Bazaar im Februar, nachdem zwölf Labels dem Farbton während der New York Fashion Week den Teppich ausgerollt hatten. Vielleicht hat das Magazin recht. Betrat Rihanna während der Pausenshow des Super Bowl nicht in einem feuerwehrroten Outfit von Alaïa die Bühne? Und besuchte nicht Pharrell Williams, der demnächst die Männermode für Louis Vuitton entwirft, die Grammys in einem roten Lederanzug? Fast zeitgleich erregten im Internet ausgerechnet die tomatenroten Stiefel des New Yorker Künstlerkollektivs Mschf Aufmerksamkeit. Ihre Farbe vergleichbar mit den Wachshüllen von Babybel-Käse oder Clownsnasen. Das war noch längst nicht alles. Als der spanische Popstar Rosalía im vergangenen Jahr das neue Album Motomami vorstellte, tat sie das in einer rot-weiß-schwarzen Motocross-Lederjacke. Nina Chuba wiederum besang im letzten Sommer den Wildberry Lillet, jenen Cocktail, in dem eine Handvoll rote Beeren badet. Das kann doch alles kein Zufall sein, oder?

Gekommen, um zu bleiben, ist jedenfalls ein Grünton, der vor über zwei Jahren in der Frühjahrskollektion 2021 des Modehauses Bottega Veneta unter dem Namen "Parakeet" auftauchte und eine erstaunliche Karriere hinlegte. Weil sich selbst die schiachsten Gummischuhe in dem hoffnungsfrohen Farbton verkaufen ließen, läuft dieser in der Branche nun unter "Bottega-Grün". Dass seither etliche andere Unternehmen ebenfalls froschgrüne Produkte herstellen, entspricht der Logik des Marktes. Ergänzt wird die Farbe nun durch das Grün der Limette. Das soll, wenn es nach der Marke Fendi geht, übrigens am besten zusammen mit Beige aussehen. (Anne Feldkamp, 5.4.2023)