Eine Flüssigerdgas-Anlage im sibirischen Sabetta.
Foto: Imago / ITAR-TASS / Vladimir Smirnov

Die Arktis ist bebauter, als viele denken: Etliche Industrieanlagen stehen im hohen Norden der Kontinente Europa, Asien und Amerika. Durch die geplante nördliche Schiffspassage von Asien nach Europa dürften weitere Ausbauten folgen. Dabei gibt es jedoch ein massives Problem, auf das nun deutsche Forschende aufmerksam machen. Eine Untersuchung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven zeigt: Tauende Permafrostböden unter Industrieanlagen stellen ein erhebliches Risiko für großflächige Umweltschäden dar.

In den arktischen Regionen seien demnach über Jahrzehnte hinweg giftige Abfälle in Kleindeponien im oder auf dem bisher dauerhaft gefrorenen Erdreich abgelagert worden. Durch das Auftauen des Permafrosts im Zuge der globalen Erhitzung verschwinde dessen "Barrierewirkung". Insgesamt kann der Untergrund dadurch vielerorts absacken, wovon bereits jetzt Schäden an Straßen und Gebäuden zeugen.

Doch keine dauerhafte Lösung

"Die über Jahrzehnte in der Arktis angereicherten Schadstoffe können in Bewegung geraten und sich über größere Regionen verteilen", warnte das Institut. Die Bandbreite der Substanzen reiche dabei von Dieselkraftstoff über hochgefährliche Schwermetalle bis hin zu radioaktiven Abfällen. In der Arktis gebe es insgesamt eine große Zahl stillgelegter und aktiver Anlagen zur Öl- und Gasförderung sowie Bergwerke und militärische Installationen.

Ein Industriegebäude im ostrussischen Tscherski ist durch tauenden Permafrost und den folglich instabileren Boden zusammengebrochen.
Foto: REUTERS/Maxim Shemetov

Zu diesen gehören nach Angaben der AWI-Experten lokale Deponien mit giftigen Schlämmen, Seen voller aufgestauter Industrieabwässer und Schutthalden aus dem Minenbetrieb. Auf eine aufwendige Entsorgung sei oftmals in dem Glauben verzichtet worden, der gefrorene Boden schließe die Abfälle dauerhaft ein.

Tausende belastete Flächen

Laut einer kürzlich in der Fachzeitschrift "Nature Communications" erschienenen Untersuchung von AWI-Fachleuten existieren in der Arktis im Umkreis von etwa 4.500 Industrieansiedlungen mindestens 13.000 bis 20.000 belastete Flächen, von denen in der Zukunft durch das Tauen des Permafrostbodens ein höheres Risiko ausgehen könnte. Etwa 3.500 bis 5.200 davon lägen sogar in Regionen, in denen der Schmelzprozess vor Ende des laufenden Jahrhunderts beginnen werde.

Dabei handelt es sich nach Angaben der Wissenschafterinnen und Wissenschafter indessen nur um eine grobe Orientierung, da mangels umfassender Daten ein genauerer Überblick fehlt. "Das tatsächliche Problem könnte sogar noch größer sein", erklärte AWI-Experte Moritz Langer. Die Forschenden fordern langfristige Strategien.

Zunehmende wirtschaftliche Aktivitäten

Unklar ist der auf Hochrechnungen in Computermodellen gestützten Untersuchung zufolge insbesondere die Situation in Sibirien. In Russland existieren anders als etwa in Kanada und im US-amerikanischen Bundesstaat Alaska keine Datenbanken zu kontaminierten Flächen. Aus Russland gebe es "eher spärliche Informationen", etwa aus Presseberichten.

Verschärft wird die Lage laut AWI künftig durch zunehmende wirtschaftliche Aktivitäten in der sich erwärmenden Arktis. Die Folge davon seien immer mehr Industrieanlagen, aus denen giftige Substanzen austreten könnten, erklärte das Institut. Nicht nur von Deponien gehe dabei eine Gefahr aus. Wegsackender tauender Permafrostboden destabilisiere etwa auch Pipelines und Lagertanks.

Kipppunkt Permafrost

Das abrupte Abtauen des Permafrosts auf der Nordhalbkugel wurde teilweise bereits in Gang gesetzt. Es wird zu den Kipppunkten im Klimasystem gezählt: Einmal in Gang gesetzt, kann der Prozess nicht mehr rückgängig gemacht werden, selbst wenn beispielsweise die CO2-Emissionen in Zukunft wieder zurückgehen würden.

In Bezug auf den Permafrost sei dies mit einem Eiswürfel vergleichbar, sagt Polarforscher Andreas Richter von der Universität Wien: "Wenn man einen Eiswürfel aus dem Tiefkühlfach nimmt und auf den Tisch legt, wird dieser Eiswürfel schmelzen. Und zwar so lange, bis die Temperatur wieder unter null Grad ist." Dies werde beim Permafrost allerdings nicht geschehen, jedenfalls würden die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen in die gegenteilige Richtung deuten. (APA, red, 4.4.2023)