Trinkgeld erscheint den Österreicherinnen und Österreichern okay – nur politisch soll eine Geldzahlung nicht sein.

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Linz – Was ist eigentlich Korruption? Dem Gastro-Personal Trinkgeld geben? Das eher nicht, sagen 89 Prozent der österreichischen Bevölkerung. Obwohl man sich durch das Trinkgeld als Stammgast eine bevorzugte Behandlung zu erkaufen versucht. Umgekehrt gibt es Konsens darüber, dass "Geldzahlungen, um eine politische Entscheidung zu beeinflussen", als Korruption zu werten sind – 90 Prozent stimmen dem zu, nur vier Prozent wollen das nicht so sehen (die sechs verbleibenden Prozent trauen sich kein Urteil zu).

Das geht aus einer Umfrage des Linzer Market-Instituts für den STANDARD hervor. Dabei wurde auch die quasi "offizielle" Definition von Korruption abgefragt, wie sie auf der Website von Transparency International Austria steht: "Korruption ist der bewusste Missbrauch von anvertrauter Macht zum persönlichen Nutzen oder Vorteil." Dass man das jedenfalls als Korruption betrachten muss, wird von 86 Prozent bestätigt. Auffallend ist dabei, dass sehr junge Befragte in diesem Punkt deutlich weniger kritisch sind als Menschen über 50.

In der Gruppe der Befragten unter 30 finden auch nur etwa zwei Drittel etwas dabei, für eine schnellere Erbringung eine Leistung Geld anzubieten – und nur drei Viertel dieser jungen Befragten betrachten es als verwerflich, Behördenentscheidungen mit Geld nachzuhelfen.

Betrachtet man die Haltung aller Befragten, sind Geldzahlungen für die Einflussnahmen auf politische Entscheidungen ebenso wie Bestechung, um Behördenentscheidungen zu beeinflussen, bei neun von zehn Österreicherinnen und Österreichern verpönt.

Market-Institutsleiter David Pfarrhofer: "Ältere Befragte sind generell strenger, was Korruption betrifft – zwischen unterschiedlichen Bildungsschichten oder bei der Betrachtung von Männern und Frauen gibt es dagegen kaum Unterschiede. Man sieht das beispielsweise bei der Frage, ob sexuelle Gefälligkeiten, um Karriere zu machen, eine Form der Korruption darstellen. Das wird von Männern und Frauen in gleich hohem Maße verurteilt – unter den jungen Befragten ist die Ablehnung aber deutlich geringer."

Andere Formen der Anbiederung an Vorgesetzte werden dagegen von Frauen mehrheitlich verurteilt, von Männern aber mehrheitlich akzeptiert.

Pfarrhofer verweist auch darauf, was überwiegend nicht als Korruption gesehen wird: "Wenn einander Freunde und Geschäftspartner zum Essen einladen, ist das für eine große Mehrheit in Ordnung. Sieben von zehn Befragten sagen uns auch, dass sie es okay finden, wenn Einheimischen Rabatte für Produkte und Dienstleistungen aus der Region gewährt werden. Mehrheitlich für unproblematisch wird auch gesehen, wenn man als Freundschaftsdienst einen Auftrag oder einen Job vermittelt – was im Kern dem oft geforderten Transparenzgebot widerspricht."

Gesinnungsgemeinschaft kein Problem

56 Prozent finden nichts dabei, einer Partei beizutreten, um Karriere zu machen – und diese Einschätzung zieht sich durch die Wählerschaften aller politischen Parteien. Und sogar 79 Prozent finden es unproblematisch, wenn jemand vor allem mit Gleichgesinnten zusammenarbeiten will.

Woraus sich die Frage ergibt, in welchen Bereichen die österreichischen Wahlberechtigten Korruption vermuten. Pfarrhofer: "In der Folge der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse haben vor allem die ÖVP und die FPÖ den Stempel 'korrupt' aufgedrückt bekommen – in Wirklichkeit aber das gesamte politische System. Auch die SPÖ, die sich um ein Image der Aufdeckung und Korruptionsbekämpfung bemüht hat, wird von mehr als der Hälfte der Befragten als mehr oder weniger korrupt eingeschätzt." Die geringste Korruptionsanfälligkeit der Parlamentsparteien wird den Neos zugeschrieben, aber auch bei diesen vermutet ein Drittel der Befragten Korruption.

Sauberes Bundesheer, saubere Schulen

Von den Institutionen wird dem Bundesheer, der Arbeiterkammer und dem Schulsystem die geringste Korruptionsverbreitung zugetraut. Am oberen Ende der Skala findet man neben den Parteien auch den ORF: 28 Prozent finden die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt sehr korrupt, weitere 28 Prozent stecken sie in die zweite von vier Kategorien. In der dritten Kategorie ("wenig korrupt") ordnen den ORF 26 Prozent ein, nur fünf Prozent finden ihn gar nicht korrupt.

Pfarrhofer: "Das hat nicht unbedingt mit vermuteten Skandalen zu tun: Wer sich und seine Weltsicht im ORF nicht wiederfindet, neigt dazu, das für eine korruptionsbedingte Übervorteilung zu halten – das wäre eine Erklärung dafür, dass überdurchschnittlich viele Anhänger der FPÖ den ORF für korrupt halten. Die wenigen deklarierten Wählerinnen und Wähler von MFG und Bierpartei zeigen ein ähnliches Muster, aber da gibt es zu große Schwankungsbreiten, um das im Detail zu analysieren. Ähnlich sieht die Einschätzung der Tageszeitungen aus – gegenüber Privatradio und Privatfernsehen ist das Misstrauen geringer."

Selbsteinschätzung: Ziemlich korrupt

Um einschätzen zu können, ob Österreich nun ein besonders korruptes Land ist oder ob die Wahrnehmung von Korruption vor allem der Berichterstattung über vermeintliche oder reale Skandale geschuldet ist, lohnt ein internationaler Vergleich. Transparency International (TI) hat einen solchen Vergleich im Jänner 2023 veröffentlicht und Österreich ein deutliches Abrutschen im Ranking attestiert.

Um einordnen zu können, wie das die Bevölkerung wahrnimmt, ließ DER STANDARD 800 Wahlberechtigte gefühlsmäßig bewerten, welche Länder "sehr korrupt, korrupt, wenig korrupt oder gar nicht korrupt" sind.

Für Österreich sieht das so aus: 24 Prozent bezeichnen unser Land als sehr korrupt – besonders stark teilen diese Einschätzung die Anhänger der Freiheitlichen, in besonders geringem Maße jene der ÖVP.

Über die gesamte wahlberechtigte Bevölkerung (jenseits der Parteigrenzen) betrachtet, zeigt sich eine weitgehend gleichmäßige Verteilung: Neben dem runden Viertel, das Österreich als "sehr korrupt" wahrnimmt, stehen weitere 38 Prozent, die es für immerhin "korrupt" halten. Dazu kommen noch 27 Prozent, die die Einschätzung "wenig korrupt" abgeben. Nur drei Prozent halten Österreich für gar nicht korrupt.

Freunderlwirtschaft irgendwie okay?

"Die Leute, die überhaupt keine Korruption in Österreich sehen, muss man schon mit der Lupe suchen – in dem einen oder anderen Bereich vermutet eben jeder ein bisserl einen Unterschleif", sagt Market-Forscher David Pfarrhofer, "und das, obwohl 73 Prozent die Vermittlung von Aufträgen an Freunde, also die klassische Freunderlwirtschaft, gar nicht als Korruption einstufen."

Im Ländervergleich ist die Einschätzung der österreichischen Befragten nicht viel anders als die Einstufung, die Transparency International vorgenommen hat. Sowohl in der TI-Einstufung als auch in der STANDARD-Umfrage des Market-Instituts bekommen Dänemark, Neuseeland, Finnland, Schweden und die Schweiz besonders gute Einschätzungen – deutlich bessere als Österreich.

Umgekehrt werden Russland, die Türkei, Brasilien und Südafrika – in dieser Reihenfolge – sowohl von TI als auch von den Befragten in der Umfrage des STANDARD als besonders korrupt eingestuft.

Sieben von zehn österreichischen Wahlberechtigten geben Russland die schlechteste Note und nennen es "sehr korrupt" – darüber sind sich alle Bevölkerungsgruppen und Parteiwählerschaften weitgehend einig.

Parteiischer Blick auf die Ukraine

Nicht ganz so eindeutig ist die Einschätzung der von Russland angegriffenen Ukraine: Da sagen 76 Prozent der Freiheitlichen, dass sie sehr korrupt sei – in der Grünen-Wählerschaft glauben das nur 29 Prozent.

Nach den Market-Zahlen liegt Österreich besser als die Ukraine, Ungarn, Italien, Polen, Griechenland, die USA, Hongkong und die Slowakei – aber schlechter als Tschechien und Deutschland.

Übrigens: Eine kleine Minderheit hält auch die Korruptionsbekämpfer von Transparency International für korrupt – die entsprechenden Antworten kommen in hohem Maße aus der FPÖ-Wählerschaft, die allen Institutionen misstraut. (Conrad Seidl, 11.4.2023)