Der Rückblick auf die "gute alte Zeit" gehört – jedenfalls im Klischee – zum Standard-Repertoire von Senioren. Von der Pensionierungsaltersschwelle bin ich noch gut drei Jahrzehnte entfernt, dennoch lösen manche Videospiele bereits Nostalgieschübe aus. Hach, das war noch was in den frühen 2000ern, als ich und meine spätpubertierende Bande aus Schulkollegen unsere Rechner zusammenpackten und uns zu LAN-Partys versammelten.

An jenen Energydrink-geschwängerten Tagen und Nächten abenteuerten wir gemeinsam durch Fantasywelten, jagten uns Kugeln in Shootern um die Ohren und schickten Armee nach Armee in Richtung unserer Basen. In der Tat waren Echtzeitstrategiespiele wie "Command & Conquer Generals" oder "Age of Empires 2" ein Fixpunkt des gemeinschaftlichen Zockvergnügens.

Und heute? Das Genre hält sich wacker, dank "Starcraft" auch als E-Sport-Aushängeschild. Am Massenmarkt hat es nach dem Hype um die Jahrtausendwende seine hohe Zeit aber hinter sich. So wie ich als Enddreißiger nicht nur mein Haupthaar, sondern auch meine hohe Zeit als reaktionsschneller Multitasker langsam zu Ende gehen sehe. Press F to pay respects.

Ein Hit auf LAN-Partys der frühen 2000er: "C&C Generals".
Foto: Screenshot

Den Tatsachen ins Auge blicken

Fünf Truppenverbände managen, gleichzeitig für Nachschub sorgen und die Basis ausbauen? Damals kein Problem. Heute allerdings undenkbar. Die Aufgabenstellungen des Genres, zumindest wenn man gegen stärkere KI kompetitiv bleiben möchte, sorgen bei mir für einen Stresslevel, der sich zu sehr nach Arbeit anfühlt. Klar lässt sich das mit Training und Routine verbessern, doch der Aufwand dafür steigt mit dem Alter exponentiell an. Gefühlt jedenfalls.

Letztlich muss ich biologischen Tatsachen ins Auge blicken und einsehen, dass ich nun mal nicht mehr über den Fokus und die Reaktionsgeschwindigkeit eines 17-Jährigen verfüge. Darüber kann man jammern oder daraus eben Lehren ziehen. Und ich habe beschlossen, dass ich die unausweichliche Progression zum "Silver-Gamer" lieber wie einen Levelaufstieg behandle. Wisdom +1.

Hilft auch den Einwohnern beim Entschleunigen: die Cannabis-Plantage meiner Kolonie in "Kingdoms Reborn".
Foto: Kingdoms Reborn

Lebe lieber langsam

Der – wenn man so möchte – "Verfall" zeigt sich natürlich auch bei Games anderer Genres, die aber entweder weniger Multitasking voraussetzen, dieses nicht quer über eine Spielkarte verstreuen oder mir dafür einfach mehr Zeit einräumen. Jüngst habe ich etwa "Kingdoms Reborn" für mich entdeckt, einen multiplayerfähigen Mix aus Städtebau und Kartenmechanismen, der Vibes von "Banished" und "Anno" versprüht.

Klar gibt es auch hier Zeitdruck, denn für die wiederkehrenden Winter sollte man genügend Vorräte an Nahrung und Brennmaterial haben. Aber wenn die grundlegenden Produktionsketten errichtet sind, kann man sich auch darauf beschränken, diese gemächlich zu erweitern und dem Wuseln am Bildschirm zuzusehen. Echtzeitstrategie muss eben nicht zwingend an hohe APM-Raten (APA, die für kompetitive Vergleiche genutzte Einheit "Actions per Minute") gekoppelt sein, die ich heute nur noch mit der Zufuhr von potenziell letalen Mengen an Energydrinks bewältigen könnte.

Eine halbe Gemächlichkeitsstufe höher rangieren Echtzeitstrategiespiele, bei denen man das Geschehen pausieren und währenddessen Aktionen planen kann. Vor allem aber haben es mir Rundenstrategietitel immer mehr angetan. Da kann ich mir in aller Ruhe meine umfassenden Pläne zur Eroberung, Rettung oder Zerstörung der Welt zurechtlegen und nachher ebenso langsam umsetzen. Oder quasi in Zeitlupe dabei zusehen, wie sie grandios schiefgehen.

Langsam und doch fordernd: Rundenstrategiekost wie "Ozymandias".
Foto: Ozymandias

Back to the roots

Und wenn ich gerade keine Lust auf komplexe Taktikmanöver habe, gibt es immer noch das Genre, das mich in den frühen Tagen meiner Gaming-Geschichte auf Schritt und Tritt begleitet hat: Point-&-Click-Adventures. "Monkey Island", "Day of the Tentacle", "Indiana Jones", "Baphomets Fluch" und wie sie alle heißen.

Auch sie existieren mittlerweile in einer Nische, die aber konsequent gepflegt wird. Immerhin bescherte Serienschöpfer Ron Gilbert erst vergangenes Jahr dem "Monkey Island"-Epos einen würdigen neuen Teil. In Ruhe Rätsel zu genießen und sich von der Handlung mitnehmen zu lassen, empfinde ich als sehr belohnende digitale Entschleunigung nach einem langen Arbeitstag.

Entschleunigte Unterhaltung, damals wie heute: Point-&-Click-Adventures à la "Monkey Island".
Foto: Return to Monkey Island

Auch Verlieren kann okay sein

Ganz abgemeldet habe ich mich von stressigeren Spieleerfahrungen natürlich nicht. Hie und da lasse ich dann doch in "PUBG", "League of Legends" und Konsorten den Skill alter Tage aufblitzen. Vor allem aber liegt der Stellenwert dieser Multiplayer-Games für mich mittlerweile darin, ein gemeinsam mit Freunden gepflegtes Hobby zu sein.

Ich bin hier, um Spaß zu haben. Dieser Gedankengang hilft enorm, dass ich auch solche Games trotz aller Hektik immer noch genießen kann. Selbst wenn mir mal wieder ein Teenager kaltschnäuzig auf dem Schlachtfeld meine Grenzen aufzeigt. (Georg Pichler, 8.4.23)