Das französische Atomkraftwerk Blayais ist 1981 in Betrieb gegangen und liegt damit deutlich über dem Schnitt europäischer AKWs. Irgendwann muss es rückgebaut werden.

Foto: reuters / regis duvignau

Raus aus Atom, rein in erneuerbare Energien. So lautet die Botschaft in Ländern wie Deutschland, die ursprünglich auf Kernenergie gesetzt und nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima in Japan umdisponiert haben. Zwar hat Russlands Überfall auf die Ukraine den Ausstieg etwas verzögert, er ist aber beschlossen. Damit gibt es viel Arbeit, was den kontrollierten Rückbau der AKWs betrifft. Es bedarf spezieller Werkzeuge, um einen Atommeiler zu zerlegen. Hier kommt Tyrolit ins Spiel.

Das zur Swarovski-Gruppe gehörende Tiroler Unternehmen stellt nicht nur Schleifmittel unterschiedlichster Körnung für diverseste Anwendungszwecke her, es produziert auch Diamantseile, Trennscheiben und Wandsägen. Letztere werden unter anderem für das Einschneiden von Fenstern oder Türen in Betonwände benötigt; oder kommen beim kontrollierten Rückbau – will heißen: nicht durch eine Sprengung ausgelöster Beseitigung von Brücken, Gebäuden und AKWs – zum Einsatz, letzteres in Remote Control.

"Stück für Stück wird abgesägt"

"Ein stillgelegtes AKW strahlt noch lange Zeit, da kann man nicht mit Mitarbeitern hinein. Also macht man das remote", sagte Tyrolit-Chef Thomas Friess dem STANDARD. "Dabei sitzt jemand mit Joystick in strahlungssicherer Entfernung und sägt Stück für Stück vom AKW ab."

Mit dem Rückbau beauftragt werden darauf spezialisierte Firmen. Die Wandsägen liefert unter anderem Tyrolit. Das Unternehmen hat sich laut Eigenangaben nicht nur auf diesem Gebiet einen Technologievorsprung erarbeitet. In Zukunft wird wohl noch mehr von diesem Produktsegment benötigt, zumal viele Atomkraftwerke langsam an ihr Lebensende kommen.

Hohes Durchschnittsalter

Die insgesamt 183 Kernkraftwerke (Stand 2019) in Europa sind durchschnittlich 35 Jahre alt. Erst vier davon wurden vollständig stillgelegt, 104 sind "nur" abgeschaltet. In Deutschland haben die verbliebenen drei AKWs Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2, die Ende 2022 vom Netz sollten, wegen der kritischen Versorgungslage aufgrund des Ukrainekriegs eine Schonfrist bekommen; sie sollen jetzt kurz nach Ostern stillgelegt werden.

Auch der weltweite Atomkraftwerkspark beginnt zunehmend zu veralten. So sind Anfang 2022 laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) auf der ganzen Welt 439 Kernkraftwerke mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren in Betrieb. Abgeschaltet wurden zwar schon 203, doch komplett stillgelegt sind bisher erst 20 Reaktoren.

Nischenprodukt

Wandsägen mit Remote Control sind freilich nur eine Nischenanwendung, so wie Tyrolit selbst in einer Nische tätig ist, dort aber Champion zu sein behauptet. "Wir sind das weltweit größte Schleifwerkzeugunternehmen, das ausschließlich das macht", sagt Friess, der Anfang 2022 Christoph Swarovski auf dessen Wunsch an der Spitze des Unternehmens abgelöst hat. 3M und St. Gobain seien auch im Schleifbereich tätig, deutlich größer, aber auch in anderen Geschäftsfeldern unterwegs. "Wir leben und sterben mit dem Schleifen", streicht Friess die besondere Stellung von Tyrolit heraus.

Der Firmensitz von Tyrolit in Schwaz, Tirol. Rund 1200 der weltweit 4200 Mitarbeiter des Schleifmittelherstellers arbeiten ebendort.
Foto: ho

Die Ursprünge von Tyrolit reichen in das Jahr 1919 zurück. Daniel Swarowski kam Anfang des 20. Jahrhunderts mit einer Innovation – besonders reines Glas – aus Böhmen nach Tirol. Die Swarowski-Kristalle entstanden, und aus dem Schleiferfordernis ist Tyrolit hervorgegangen. Tirol deshalb, weil Swarowski eine Region gesucht hat, wo es Wasserkraft gibt, aber keine Glasindustrie, die ihm die Entdeckung hätte abspenstig machen können. Während Swarowski später auch in den Optikbereich expandierte, verselbstständigte sich Tyrolit relativ rasch. Mittlerweile ist Swarovski nur mehr ein kleiner, relativ unbedeutender Abnehmer von Tyrolit-Produkten, weil sich die Muttergesellschaft die Schleifkörper teilweise selbst macht.

31 Werke in elf Ländern

Tyrolit ist mittlerweile mit 31 Werken in elf Ländern vertreten, von Argentinien bis China, von Südafrika bis in die Türkei, wo die Tiroler im vorigen Sommer den Konkurrenten Egeli Egesan zu gut 75 Prozent übernommen haben. Das Unternehmen mit Sitz in Istanbul stellt Trenn- und Schruppscheiben sowie diverse Schleifwerkzeuge und Schleifbänder her. Ähnlich werde man auch bei weiteren Zukäufen vorgehen – "immer die Mehrheit oder zu hundert Prozent und Rücksicht auf die Unternehmenskultur nehmen", sagt Friess.

Im zu Ende gegangenen Jahr hat Tyrolit den Umsatz von 663 auf 727 Millionen Euro gesteigert. In zwei, drei Jahren will man die Milliardenumsatzmarke knacken. Das Unternehmen beschäftigt 4200 Mitarbeiter, 1200 im Stammhaus in Schwaz. (Günther Strobl, 7.4.2023)