Geheime Dokumente der Nato und des US-Verteidigungsministeriums (Pentagon) mit Informationen über Zustand und Pläne des ukrainischen Militärs haben den Weg in die Öffentlichkeit gefunden – ein Albtraum für jeden Geheimdienst. Wie die "New York Times" am Freitag berichtete, sind solche Dokumente auf Twitter und Telegram veröffentlicht worden. Das Pentagon untersucht derzeit, wer hinter diesem Leak stecken könnte. Zumindest offiziell gibt man sich momentan ahnungslos, wie diese Dokumente in die sozialen Medien gelangen konnten.

Im Pentagon, dem US-Verteidigungsministerium, schrillen die Alarmglocken.
Foto: AP Photo/Patrick Semansky

US-Präsident Joe Biden gab Anweisung, eine Löschung der Dokumente auf diesen beiden Social-Media-Plattformen zu veranlassen, was aber bisher nicht zur Gänze gelungen sein dürfte. "Wir sind uns der Berichte über die Beiträge in den sozialen Medien bewusst, und die Abteilung prüft die Angelegenheit", sagte Sabrina Singh, die stellvertretende Pressesprecherin des Pentagon.

Wurden Dokumente manipuliert?

Laut "New York Times" hat das Pentagon festgestellt, dass einige Dokumente zumindest teilweise nicht den Originalen entsprechen. Sie seien verändert worden; so seien amerikanische Schätzungen zu den Kriegstoten auf einer Seite, nämlich der Ukraine, zu hoch angesetzt worden – auf der russischen Seite hingegen zu niedrig. Diese Änderungen beziehungsweise Manipulationen könnten laut US-Verteidigungsministerium auf eine direkte Involvierung Moskaus hindeuten: Die Verbreitung offenbar manipulierter Regierungsdokumente könnte eine gezielte Desinformationskampagne sein.

Das Pentagon versichert der "New York Times", dass die geleakten Dokumente keine konkreten Schlachtpläne enthalten würden – sie würden also keine direkten Informationen über die zu erwartende ukrainische Offensive gegen die russischen Truppen beinhalten. Dennoch sei der Leak extrem bedenklich, auch wenn die fraglichen Informationen in den Dokumenten eine "Momentaufnahme" aus der Zeit rund um den 1. März 2023 und damit schon recht alt seien.

Rückschlüsse möglich?

Dennoch sei die Publikation der Dokumente problematisch: Experten könnten aus Fotografien und Diagrammen Rückschlüsse auf geplante Waffenlieferungen und Truppenkontingente ziehen. Wer auch immer für diesen Leak verantwortlich sei, habe einen "bedeutenden Verstoß gegen die amerikanischen Geheimdienstgesetze" zu verantworten, so die "New York Times". Sie führt weiter aus: "Die Dokumente erwähnen zum Beispiel die Ausgaben für Himars, ein von den Amerikanern geliefertes hochmobiles Artillerieraketensystem, mit dem Ziele wie Munitionslager, Infrastruktur und Truppen aus der Ferne angegriffen werden können." Dieses Raketensystem trug im vergangenen Herbst dazu bei, dass die ukrainischen Truppen bedeutende Erfolge im Kampf gegen das russische Militär in der Ostukraine verzeichnen konnten.

Wesentliche Teile der Dokumente dürften authentisch sein und könnten Russland wertvolle Informationen liefern – etwa zu Zeitplänen für die Lieferung von Waffen und Truppenbewegungen sowie über den detaillierten Aufbau der ukrainischen Truppen. Auch andere militärische Details scheinen korrekt zu sein, so die Informanten der "New York Times".

In jedem Fall stellt der Leak einen seltenen Erfolg für die russischen Geheimdienste dar – während bei den Kollegen und Kolleginnen in den USA und den Verbündeten in der Nato nun Alarmstimmung herrschen dürfte. Nach Angaben der "New York Times" ist dieses Leck der erste Durchbruch des russischen Geheimdiensts seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine. Über konkrete Auswirkungen der Causa auf die weitere geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen Kiew und Washington ist momentan nichts bekannt. (gian, 7.4.2023)