Die Macht des Verleger-Ehepaars Eva und Christoph Dichand, Chefs der Medienhäuser Heute und Kronen Zeitung, das Schmeicheln und Toben von Wolfgang Fellner, Macher des Gratisblatts Österreich, die Unterwürfigkeit großer Teile der Spitzenpolitik gegenüber dem Boulevard: alles kein Geheimnis. Und trotzdem wollte lange kaum jemand offen darüber reden, wie symbiotisch bis korrupt das Verhältnis zwischen Regierenden und Teilen der österreichischen Medienbranche ist. Zu tief sitzt die Angst: vor Schmutzkampagnen, der Parteispitze, Jobverlust – oder den Ermittlern.

Doch die Mauer beginnt zu bröckeln. Denn immer neue Ermittlungsakten rekonstruieren Handlungen, die den Verdacht nahelegen, dass die Ausrichtung der Berichterstattung mit Inseraten erkauft wurde – oder zumindest werden sollte. Dazu reicht es immer mehr Beteiligten, die unter dem System leiden.

"Kann auch anders!"

Eine ehemalige Ministerin erzählt dem STANDARD über ihre erste Begegnung mit dem Wolfgang Fellner, Chefredakteur des Krawallblatts Österreich: Der sei "einfach ins Ministerbüro gekommen und hat mir gleich ein Konzept für Kampagnen im nächsten Jahr auf den Tisch gelegt". Er hätte zwar nicht gedroht – aber "baff" sei sie schon über die Unverfrorenheit Fellners gewesen, sagt die Politikerin.

Eine andere Ex-Ministerin erinnert sich an einen Termin, bei dem der als Choleriker gefürchtete Medienmacher unverhohlen angekündigt habe, er könne "auch anders", wenn das Inseratenbudget nicht erhöht werde.

Wolfgang Fellner, Chefredakteur der Österreich.
Foto: APA/HANS PUNZ

Inseratenschaltung

DER STANDARD hat mehr als zehn ehemalige Regierungsmitglieder von SPÖ, FPÖ und der ÖVP zur Inseratenpolitik in Österreich befragt. Sie alle schildern Begegnungen, bei denen sich Fellner mehr oder weniger wütend über zu geringe Inseratenschaltung in seinem Gratisblatt beschwert habe. Auch Heute-Verlegerin Eva Dichand habe die in ihren Augen zu geringe Anzeigenvolumen für ihr Medium immer wieder thematisiert – und dabei oft in Wir-Form gesprochen, also die Kronen Zeitung, die ihr Ehemann Christoph Dichand als Miteigentümer und Chefredakteur verantwortet, miteinbezogen. Der selbst sei nur selten in Erscheinung getreten; um Inserate geworben habe dann aber auch er.

Keiner der befragten Ex-Politiker will mit vollen Namen über diese Erfahrungen erzählen – selbst jene nicht, die längst weit vom Politikbetrieb entfernt sind. Die meisten wollen nicht einmal, dass ihre Zitate anonymisiert wiedergegeben werden.

Die Razzien bei Österreich im Herbst 2021 führten zum Rücktritt des damaligen Kanzlers Sebastian Kurz.
Foto: "Österreich"

"Der letzte Dreck!"

Die Befürchtung, vom Boulevard runtergeschrieben zu werden, ist auch Jahre nach Ende der politischen Karriere groß. Wohl auch deshalb eint die befragten Ex-Politiker ein Wunsch: dass sich die Beziehung zwischen Medien und Politik ändert. Dass es nicht mehr wohlwollende Berichterstattung im Abtausch gegen Annoncen gibt – oder es Drohungen setzt, wenn das Anzeigenbudget zu gering erscheint. Kurz: dass der Inseratensumpf, in dem Teile von Politik und Medien in Österreich stecken, endlich trockengelegt wird.

Doch wie konnte es so weit kommen, dass sich hochrangige Politiker eingeschüchtert bei Verlegern entschuldigen, wenn die eine Reform der staatlichen Medienförderung per SMS als "letzten Dreck" herunterputzen – so wie Ex-Minister Gernot Blümel (ÖVP) bei Heute-Herausgeberin Eva Dichand, wie soeben publik gewordenen Chats belegen?

Offenbar herrscht bei den drei großen Parteien die Meinung, dass man ohne die Gunst des auflagenstarken Boulevards in diesem Land nichts reißen könne. Als Beleg für diese Annahme dient Werner Faymann, von 2008 bis 2016 der längstdienende Kanzler im 21. Jahrhundert. "Tiere würden Faymann wählen", begeisterte sich die Kronen Zeitung für den damaligen SPÖ-Chef. Der kam auch mit Medienmacher Fellner bestens aus – und in dessen Produkten News und dem später gegründeten Revolverblatt Österreich bestens vor. Dafür mitverantwortlich sollen Millionen an Inseratengeldern gewesen sein, die Faymann zunächst als Wiener Wohnbaustadtrat und dann als Verkehrsminister dem Boulevard zugeteilt hat.

Ex-Kanzler Werner Faymann (SPÖ).
Foto: imago images/Xinhua

Wer nicht füttert, wird gebissen

Als "Erbsünde" der SPÖ bezeichnet sein Nachfolger Christian Kern die Faymann’sche Inseratepolitik. Über Jahre wurde wegen Verdachts der Inseratenkorruption ermittelt, das Verfahren aber letztlich eingestellt. Dazu äußern will sich Ex-Kanzler Werner Faymann heute nicht mehr. Er gebe seit seinem Ausscheiden aus der Politik prinzipiell keine Interviews, richtet sein Büro dem STANDARD aus.

Wie es ausgehen kann, wenn man den Boulevard eben nicht mehr füttert, musste Christian Kern erfahren. Als SPÖ-Kanzler wollte er gemeinsam mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) die Inseratenausgaben deutlich verringern und die Macht des Boulevards schmälern. Die Folge: Mitterlehner wurde mit tatkräftiger Unterstützung von Österreich abgesägt; Kern verlor die Nationalratswahl 2017 mit Karacho.

Vorteilhafte Berichterstattung

Dafür verantwortlich war auch Sebastian Kurz (ÖVP). Schon Monate vor seinem Amtsantritt als Regierungschef umwarb Kurz Herausgeber und manche Chefredakteure. Schmeichelte ihnen, indem er sie um ihren Rat bei politischen Themen fragte – und erhöhte als Kanzler die Werbeausgaben stark. Die Berichterstattung fiel weitgehend freundlich aus. Krone-Hausdichter Michael Jeannée etwa glückseelte: "Die Deutschen träumen davon", Kurz sei "die Jugend, die Zukunft, etwas, worauf dieses Land bauen kann". Es gäbe keinen Zweifel, das Wort des Jahres sei: "KURZ!"

Derlei erfreute das Team um den Kanzler. Ganz besonders, als das von der damaligen ÖVP/FPÖ-Regierung geplante "Ausländersparpaket" Aufmacher der Kronen Zeitung wurde. "Weniger Geld für Flüchtlinge" titelte das Blatt in seiner Ausgabe am 16. März 2018. "So perfekt kann eine Zeitung doch nicht sein", simste ÖVP-Kommunikationschef Gerald Fleischmann darob.

Krone und Heute erhielten Zuwendungen in Millionenhöhe.
Foto: "Heute"

Razzien in Medienhäusern

Vergangene Woche, der letzte Donnerstagmorgen im März. Mehr als zwanzig Ermittler rücken in einen noblen Altbau in der Walfischgasse 13 im ersten Wiener Bezirk zu einer Razzia ein. Auf mehreren lichtdurchfluteten Etagen haben hier das Gratisblatt Heute und der dazugehörige AHVV-Verlag ihren Sitz. Über Stunden durchsuchen die Beamten der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Büros von Geschäftsführung, Buchhaltung und Technik, verlassen das Büro mit USB-Sticks voller Daten und mehreren Ordnern. Die WKStA hegt den Verdacht, dass positive Berichterstattung in Heute und Kronen Zeitung zugunsten des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz mit Inseratengeldern erkauft wurde. "FALSCH", wies Heute-HerausgeberinEva Dichand auf dem Kurznachrichtendienst Twitter die Vorwürfe von sich.

Millionenbeträge für Krone und Heute

Seitdem formuliert sich in Artikeln in der Kronen Zeitung die Verteidigungslinie des Verleger-Ehepaars Dichand: Schlichtweg alle Medien hätten von der türkis-blauen Medienpolitik profitiert, bei manchen sei die Steigerung der Inserate sogar noch größer gewesen. Was dabei unter den Tisch fällt: Bei den Zuwendungen für Krone und Heute ging es um Millionenbeträge, bei anderen Medien nicht.

Schon länger im Visier der Ermittler sind die Gebrüder Wolfgang und Helmuth Fellner, Letzterer gilt in der Mediengruppe Österreich als Verantwortlicher für kaufmännische Belange. Der Verdacht auch hier: Das vom Team Kurz geführte Finanzministerium habe Inserate geschaltet und im Gegenzug dafür freundliche Berichterstattung und frisierte Umfragen bekommen. Die Razzien bei Österreich im Herbst 2021 führten zum Rücktritt des damaligen Kanzlers Sebastian Kurz. Die letztwöchige Durchsuchung bei Lokalrivale Heute walzte Fellner freilich genüsslich auf einer Titelseite aus.

Eva Dichand, Chefin des Medienhauses Heute.
Foto: imago images / Viennareport

Bussi-Bussi und Baba

Zum Kronzeugen der Staatsanwaltschaft gegen die Medienmacher Fellner und Dichands will Thomas Schmid werden, Ex-Kurz-Vertrauter, Ex-Spitzenbeamter im Finanzministerium und Ex-Vorstand der Staatsholding Öbag und Schlüsselfigur in der Affäre. Mehr als 300.000 Chats fanden Ermittler auf seiner Festplatte.

In den Einvernahmeprotokollen lässt sich die Verbandelung von Teilen der Wiener Polit- und Medien-Schickeria nachlesen. Mit den Dichands etwa war Thomas Schmid privat eng verbandelt. Man urlaubte gemeinsam in Sardinien, mit Krone-Chefredakteur Christoph Dichand ging Schmid 2019 in Äthiopien wandern. Schmid bekochte Heute-VerlegerinEva Dichand, die er in Chats gerne "Engel" nannte, und Ex-Finanzminister Gernot Blümel bei sich daheim; die Verlegerin brachte zum Dinner einen von ihrer Haushälterin gebackenen Kuchen mit. Für seine Paris-Trips bot sie Schmid an, in ihrer dortigen Wohnung zu übernachten.

Den Einfluss der Dichands habe er erstmals 2013 als Kabinettchef im Finanzministerium erlebt, erzählte Schmid den Ermittlern. Damals besuchten die Kinder des Verleger-Ehepaars die Privatschule Vienna International School. Das Außen- und das Bildungsministerium wollten der elitären Schule die Fördergelder entziehen. Die Dichands intervenierten laut Schmid für eine Fortsetzung der Subventionen. Offenbar mit Erfolg: Das Finanzministerium sicherte fortan die Förderung der Schule.

"So perfekt kann eine Zeitung doch nicht sein", schwärmte Gerald Fleischmann, einst der Medienberater von Sebastian Kurz, von diesem Cover der "Kronen Zeitung". Mittlerweile ist Fleischmann Beschuldigter in zwei Inseratencausen – und erneut der Kommunikationschef der ÖVP. Er bestreitet die Vorwürfe.
Foto: "Kronen Zeitung"

Es ist ein kleines Land

Das enge Verhältnis von Politik und Medien reicht weit über den Boulevard hinaus. Vergangenes Jahr musste Rainer Nowak als Chefredakteur der Tageszeitung Presse gehen, nachdem Chats zwischen ihm und Thomas Schmid publik geworden waren, die den Verdacht von wohlwollender Berichterstattung im Sinne Schmids und Kurz’ nährten. Dazu sagte Schmid bei der WKStA aus, dass sich Kurz persönlich dafür eingesetzt habe, Martina Salomon "gegen die Wünsche der Redaktion" als Kurier-Chefredakteurin durchzusetzen.

Es wäre aber falsch, dieses Widerspiel aus Geben und Nehmen nur einer Partei zuzuordnen. Dass etwa wichtige Posten beim ORF durch politische Einflussnahme jeglicher Couleur vergeben werden, gilt als offenes Geheimnis und wird vom Redaktionsrat nicht erst vehement kritisiert, seit ORF-Fernsehchefredakteur Matthias Schrom nach Chatnachrichten mit dem früheren FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache zurücktreten musste.

Wien führt

Was Inserate-Ausgaben betrifft, ist die rot regierte Stadt Wien führend – da wären üppige Werbekampagnen der Müllabfuhr, die ein Monopol hat, bis zu Anzeigen, die über weitgehend bekannte Bademöglichkeiten informieren. Und wohl nicht von ganz ungefähr soll der SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch Parteimitarbeitern im Rahmen einer Kündigungswelle versichert haben, er könne sie beim Gratisblatt Österreich unterbringen.

Stellt sich die Frage, ob es ein echtes Interesse daran gibt, diese Verquickungen aufzulösen. Just als Ermittler am Donnerstag vergangener Woche das Büro von Eva Dichand durchsuchten, langte im Nationalrat die neue Novelle zum Medientransparenzgesetz ein.

Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Kann es so weitergehen?

"Ein Mehr an Transparenz ab dem ersten Euro", verspricht Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) damit. "Das wird einige Schlupflöcher schließen und ein paar Schlitzohrigkeiten zur Umgehung der Meldepflicht beenden", sagt auch Medienforscher Andy Kaltenbrunner. Dennoch wurde letztes Jahr mit dem Förderpaket für digitale Transformation ein weiteres Füllhorn von 70 Millionen Euro an Medienhäuser ausgeschüttet. Teils ist nur in Schlagwörtern bekannt, für welche Transformationsprojekte die Medien das Fördergeld verwenden (DER STANDARD hat es transparent ausgewiesen). Kaltenbrunner kritisiert: "Es ist demokratiepolitisch eine nächste Niederlage, wenn wir intransparente Inseratenzahlungen durch intransparente Medienförderungen ersetzen." Striktere Regeln sind nicht in Sicht.

Bleibt also nur das Strafrecht? Juristisch betritt die WKStA Neuland, da der Fall Faymann anders gelagert war. Zwar muss sie nicht beweisen, dass tatsächlich positiv über Kurz berichtet wurde, sondern nur, dass diese Ausrichtung "angeboten" wurde. Doch auch das wird ein schwieriges Unterfangen. Schmid spricht von einer "stillschweigenden Vereinbarung" mit Dichand, man habe einander signalisiert, was man voneinander will. Schriftlichen Vertrag gebe es natürlich keinen. Chats legen einen Deal zwar nahe – großteils aber nur solche, die Schmid selbst verfasst hat.

Eine Nagelprobe für die Beziehung zwischen Politik und Medien steht im Herbst 2024 mit der nächsten Nationalratswahl an. Wer dann Liebling des Boulevards sein wird, steht noch nicht in den Blättern. (Fabian Schmid, 8.4.2023)