Ob im deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft Juden vergast worden sind, will ein 54-Jähriger vor Gericht nicht beantworten.

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Wien – Peter E. ist wohl einer jener Menschen, die sich in den vergangenen Jahren selbst den Namen "Querdenker" gegeben haben. Der 54-jährige Deutsche spricht vor dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Landesgerichtsvizepräsidentin Christina Salzborn von der "Corona-Plandemie", sieht darin aber keine "Verschwörungstheorie", sondern "Verschwörungsanalytik". Vor Gericht hat den Unbescholtenen nun gebracht, dass er laut Staatsanwältin im Jänner 2022 in der Telegram-Gruppe "Out of the Box TV_Der Irrsinn hat Programm" ein Video geteilt haben soll, in dem der nationalsozialistische Massenmord an Juden in Gaskammern von Vernichtungslagern geleugnet wird.

Wie unabhängig er ist, will der seit über 15 Jahren in Österreich lebende Angeklagte, der in seiner Heimat ein Fachhochschulstudium absolviert hat, in Österreich aber größtenteils arbeitslos war, bereits zu Beginn bei der Vereidigung der Laienrichterinnen und -richter demonstrieren. Nach der Aufforderung der Vorsitzenden an die Anwesenden, sich dafür zu erheben, bleibt E. auf dem Anklagestuhl sitzen. "Halloo? Ich bleib sitzen, okay?", unterbricht er Salzborn, die gerade beginnt, die Eidesformel vorzulesen. "Nein, Sie auch", stellt die Vorsitzende klar.

Anwältin will Vertagung

Seine Verfahrenshelferin, eine offenbar auch in Wien eingetragene ungarische Anwältin, überrascht dann mit einer Vertagungsbitte. Sie habe die Anklageschrift erst am 30. März erhalten und bisher keine Gelegenheit gehabt, mit ihrem Mandanten zu sprechen. Aufgrund der Osterfeiertage sieht sie das Recht auf die ihr zustehende achttägige Vorbereitungszeit verletzt. Der Senat lehnt den Antrag ab: Erstens stellt sich nach Rückfrage in der Kanzlei heraus, dass das Schriftstück bereits am 29. März zugestellt wurde, zweitens bezieht sich die achttägige Frist nicht auf Werk-, sondern Kalendertage.

Die Anwältin gibt nicht auf: Sie habe geplant, einen schriftlichen Beweisantrag zu stellen, damit ein psychiatrisches Gutachten ihres Mandanten erstellt wird, um seine Zurechnungsfähigkeit überprüfen zu lassen, das sei ihr nun verwehrt. Vorsitzende Salzborn weist diesbezüglich darauf hin, dass es ihr freistehe, diesen Antrag jetzt zu stellen. Beisitzer Stefan Apostol hält dazu deutlich vernehmbar fest: "Es gibt auch eine mündliche Verhandlung." Da es keinen Hinweis gibt, dass E. nicht weiß, was er macht, wird auch dieser Antrag schlussendlich abgewiesen.

Tägliche Postings

Die Einvernahme des Angeklagten beginnt also, E. sagt, er könne sich nicht mehr konkret daran erinnern, am 14. Jänner des Vorjahres das inkriminierte Video in der gut 5.800 Mitglieder umfassenden Gruppe geteilt zu haben. Da es aber unter seinem Posternamen erschien, hält er es für wahrscheinlich. Dass er über seine Diskursbeiträge keinen Überblick hat, verwundert nicht. "Ich poste öfters", eröffnet der Mindestsicherungsbezieher. "Wie oft?", will Salzborn wissen. "Täglich."

Warum er genau diesen Film, in dem der Holocaust unter anderem als "gelungene historische Fiktion" bezeichnet und behauptet wird, jeder Chemiker wisse, dass man "mit Cyanidsäure (Zyklon B ist Cyanwasserstoff, Anm.) keine Menschen töten" könne, den Mitlesenden zur Verfügung gestellt hat? "Es geht um Meinungspluralismus. Darum geht es mir." – "Und warum posten Sie keine Katzenvideos? Sind die nicht so spannend?" – "Die bringen keinen Mehrwert." – "Was ist der Mehrwert an diesem Video?" – "Schauen Sie, als Deutscher kommentiere ich das Thema nicht."

Bei der Einvernahme durch das Landesamt für Verfassungsschutz im vergangenen November hatte E. laut Anklägerin sich noch als Anhänger des II. Deutschen Reichs (also des deutschen Kaiserreichs zwischen 1871 und 1918, Anm.) bezeichnet, zum Holocaust wollte er sich nicht äußern, da er noch auf diesbezügliche Veröffentlichungen von Putin und des Vatikan warte. Vor Gericht sagt der Angeklagte nun, dass es Judenverfolgungen gab, in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern.

Nur teilweise akzeptierte Wahrheit

Beisitzer Apostol wird es irgendwann zu bunt. "Es ist gerichtsnotorisch, dass es den Holocaust gegeben hat und mindestens sechs Millionen Juden getötet wurden, unter anderem in Gaskammern. Das ist die Wahrheit. Weil Sie von 'Meinungspluralismus' gesprochen haben – da gibt es keine unterschiedlichen Meinungen. Entweder man akzeptiert die Wahrheit, oder man ist ein Holocaustleugner. Was machen Sie?" – Der Angeklagte hält kurz inne. "Ich akzeptiere die Wahrheit", sagt er dann. "Auch, dass Juden vergast worden sind?" – "Auf diese Frage antworte ich nicht." – "Das ist auch eine Antwort."

Eine Geschworene will wissen, ob E. je selbst das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau oder das Konzentrationslager Mauthausen besucht habe. "Nein", lautet die knappe Antwort. Er erklärt dafür, dass er den Nationalsozialismus für eine "kollektivistische linke Ideologie, die für Zentralismus steht", halte. Auf die Frage seiner Rechtsvertreterin, ob er als Deutscher die österreichische Gesetzeslage bezüglich Wiederbetätigung kenne, hört man als Replik: "Die eigene Meinung zu verbreiten ist definitiv verboten."

"Lasse mich nicht als rechtsextrem bezeichnen!"

Seine Möglichkeit des Schlusswortes nutzt der Angeklagte, um drei Dinge klarzustellen: "Erstens: Ich lasse mich nicht als rechtsextrem bezeichnen! Zweitens: Wird sich die Wahrheit irgendwann mal ihren Weg bahnen. Drittens: Ich berufe mich auf Fahrlässigkeit." Letzteres versucht er damit zu begründen, dass er das Video angeblich nicht betrachtet habe, bevor er es geteilt habe.

Die Geschworenen mögen das nicht recht glauben und verurteilen ihn einstimmig im Sinne der Anklage. Die Strafe: Zwei Jahre bedingte Haft, zusätzlich bekommt E. Bewährungshilfe und muss das Programm "Dialog statt Hass" absolvieren. Nach kurzer Beratung mit seiner Verfahrenshelferin bittet der Angeklagte um drei Tage Bedenkzeit. Auch die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 11.4.2023)