In ihrer Heimat Russland gilt Maria Lwowa-Belowa als Wohltäterin für Kinder. Doch der Internationale Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag zeichnet ein anderes Bild: Die russische Beamtin soll dafür verantwortlich sein, dass seit Beginn des Ukrainekriegs massenweise Kinder aus den besetzten Gebieten deportiert und rechtswidrig nach Russland verschleppt wurden. So lautet der Vorwurf des Weltstrafgerichts, das nun per Haftbefehl nach ihr und ihrem Chef, Präsident Wladimir Putin, sucht.

Die 38-jährige Beamtin im Dienst der Russischen Föderation hat einen mehr als ungewöhnlichen Aufstieg zur Komplizin Putins hingelegt. Eigentlich ist sie Musikerin, hat das Dirigieren studiert, arbeitete als Lehrerin an Musikschulen und engagierte sich dort für Kinder. Heute trägt die 1984 in Pensa rund 550 Kilometer südöstlich von Moskau geborene Funktionärin den offiziellen Titel "Präsidialkommissarin für Kinderrechte in Russland".

Maria Lwowa-Belowa prägt Russlands Kinderrechtspolitik. Sie gilt als religiöse Patriotin.
AP/Metzel

In Pensa hatte sie die gemeinnützige Organisation Blagowest (Glockenton) gegründet, um sich für die Resozialisierung von Waisen einzusetzen. Doch als 2016 ihre Mitstreiterin Anna Kusnezowa zur russischen Kinderrechtsbeauftragten ernannt wurde, ging es auch mit der eigenen Karriere steil bergauf. Sie eröffnete weitere Reha-Zentren, größere und teurere, dank vieler staatlicher Zuschüsse.

Auch politisch machte Lwowa-Belowa Karriere. Im November 2019 trat sie in die Kreml-Partei Einiges Russland ein und wurde in das Präsidium des Generalrats der Partei gewählt. Und schwenkte immer mehr auf die Regierungslinie ein. Sie sprach sich mehrfach gegen die Unterbringung von Waisenkindern in geschlossenen Anstalten aus. Doch eine entsprechende Kampagne eines Vereins gegen den Bau solcher Anstalten unterstützte sie nicht – und auch einen Brief an Putin zur Situation von Behinderten, den 115 Vertreter und Vertreterinnen verschiedener NGOs unterzeichnet hatten, unterschrieb sie nicht.

Mit Priester verheiratet

Pawel Kogelmann, ihr Ehemann, gab 2019 seine Karriere als IT-Spezialist auf und wurde Priester – was in der russisch-orthodoxen Kirche für bereits Verheiratete möglich ist. Lwowa-Belowa musste nur, wie sie zitiert wird, "ein paar Miniröcke wegwerfen".

Die Kirche spielt in Russland politisch eine bedeutsame Rolle. Lwowa-Belowa ist tief religiös – auch dies beflügelte sicherlich ihre weitere Karriere. Von Putin wurde sie im Oktober 2021 zur Kinderrechtskommissarin ernannt. Er wollte damals bewundernd von ihr wissen: "Wie schaffen Sie das nur alles? Ich meine damit auch Ihr soziales Engagement." Lwowa-Belowas Antwort: "So sind kinderreiche Mütter eben: Multitasking-Talente."

Lwowa-Belowa hat fünf leibliche Kinder, fünf Adoptivkinder und für ein Dutzend weiterer Kinder mit Behinderungen die Vormundschaft übernommen. Brisant ist: Ihr neuester Familienzugang ist ein 15-jähriger Bursche aus dem ukrainischen Mariupol, das von russischen Streitkräften überfallen und zerstört wurde. "Der Präsident hat betont, dass jedes außer Landes gebrachte Kind die Chance haben muss, eine Familie zu finden", inszenierte sich Lwowa-Belowa nach der Adoption als Kinderretterin. Aus Sicht der Ukraine und des Internationalen Strafgerichts macht sie jedenfalls das Gegenteil. (Jo Angerer, red, 12.4.2023)