Die NGO SOS-Balkanroute bekräftigte bereits die in der Vorwoche erhobenen Vorwürfe gegen das Abschiebelager Lipa nahe der bosnischen Stadt Bihać. "Ein hoher Zaun, auf jedem Schritt und Tritt Kameras, Fenster mit Gefängnisgittern und fast kein Tageslicht in den Zellen", hieß es am Dienstag in einer Aussendung mit dem Titel "So sieht das österreichische Guantánamo in Bosnien aus".

Österreichische Beteiligung

Die EU-Vertretung in Bosnien, das bosnische Fremdenamt und der Bürgermeister von Bihać würden bestätigen, dass das Wiener Migrationszentrum ICMPD "für den Bau der Haftzellen verantwortlich ist", so SOS-Balkanroute. Das Anfang der 1990er-Jahre von Österreich und der Schweiz gegründete und mittlerweile von 19 Staaten getragene ICMPD wird dabei als "ÖVP-nahes Institut" bezeichnet.

Finanzierungspartner des Lagers Lipa.
Foto: sos balkanroute

Illegale Pushbacks

Laut der NGO kommen Personen in das Abschiebezentrum, die zuvor von der Polizei des Schengen-Neumitglieds Kroatiens durch illegale Pushbacks nach Bosnien-Herzegowina verfrachtet wurden. Ein Betroffener gab laut SOS-Balkanroute an, dass er vier Tage in einer sehr kalten Garage bei nur wenig Wasser und Brot festgehalten worden sei. Ein anderer sagte, dass die kroatische Polizei Geld, Schuhe und Handys eingesammelt und verbrannt habe. Die Migranten seien geschlagen und ins Camp Lipa gebracht worden. "Fast alle Betroffenen berichten nahezu ausnahmslos von massiver Gewalt durch die Polizei", so die Organisation, die daher eine sofortige Aussetzung von Dublin-Abschiebungen nach Kroatien forderte.

"Von Pushbacks wissen wir nur aus Medienberichten und können diese daher nicht näher kommentieren", hieß es vom ICMPD gegenüber der APA. Die Organisation verwies im Zusammenhang mit Camp Lipa auch auf Aussagen der EU-Vertretung und der bosnischen Regierung. Wie es von der EU-Delegation gegenüber dem Sender N1 hieß, bleiben Migranten höchstens 72 Stunden in dem Camp. Danach würden sie ins Migrationszentrum bei Sarajevo gebracht. Den Migranten werde in Bosnien-Herzegowina eine Unterbringung mit Schutz, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung einschließlich psychosozialer Unterstützung zuteil, betonte die vom österreichischen Diplomaten Johann Sattler geleitete EU-Vertretung.

Plan des Lagers Lipa.
Foto: sos balkanroute

"Völlig unter Kontrolle"

Bosniens Außenminister Elmedin Konaković sagte bei einem Besuch im Camp Lipa am Wochenende, dass es keinen Grund zur Beunruhigung gebe. Der von Kritikern als Gefängnis dargestellte Bereich sei "ein Raum für die kurzzeitige Internierung von Migranten, die sich einem Sicherheitscheck unterziehen müssen", sagte der Minister. Die Lage im Camp Lipa sei "völlig unter Kontrolle". Derzeit würden sich nur etwas über 300 Menschen dort aufhalten, so Konaković nach Angaben der "Sarajevo Times".

Das Abschiebelager Lipa von außen.
Foto: sos balkanroute

Dem Lokalaugenschein wohnte auch der Bürgermeister des nordbosnischen Bihać, Elvedin Sedić, bei. Dieser hatte in den vergangenen Tagen deutliche Kritik an dem Bauprojekt geäußert und von einer fehlenden Baugenehmigung gesprochen. Er fühlte sich ebenso übergangen wie der regionale Regierungschef Mustafa Ružnić. Kritik kam laut SOS-Balkanroute auch vom bosnischen Minister für Menschenrechte, Senad Hurtić. Dieser bezeichnete es als "degoutant, ein Gefängnis in einem Flüchtlingscamp zu bauen".

Geldgeber Österreich

Österreich zählt zu den größten Geldgebern des Projekts. Das Innenministerium bestätigte in der Vorwoche, dass es der Internationalen Organisation für Migration (IOM) insgesamt 821.672 Euro zur Verfügung gestellt hat. Davon seien 483.000 Euro für den Ausbau der Strom- und Elektrizitätsversorgung sowie des Wasser- und Abwassernetzes auf dem Gelände des Aufnahmezentrums Lipa verwendet worden, um die Aufnahmefähigkeit für 1.500 Personen zu sichern und einen ganzjährigen Unterkunftsbetrieb zu ermöglichen. 17.000 Euro seien für die Finanzierung eines aus dem Bestand des Roten Kreuzes ausgeschiedenen Krankenwagens aufgewendet worden, weitere 321.671 Euro flossen in die Anschaffung von 71 Wohn- und Schlaf-Containern für die Camps (36 Container) und Lipa (35 Container).

Das Abwassersystem des Lagers Lipa wird auch unter österreichischer Beteiligung erbaut.
Foto: sos balkanroute

Das Innenministerium sei aber "weder in die Konzeption noch in die Finanzierung oder in den Betrieb involviert". Dieser Stellungnahme schloss sich auch die oberösterreichische Landesregierung an, die 300.000 Euro zum Bau des Zentrums beigesteuert hat.

Kritik vom grünen Koalitionspartner

Die österreichischen Grünen haben nun eine Fact-Finding-Mission zu den Berichten über das Camp angekündigt. "Irgendjemand hat dieses menschenrechtliche Desaster in Gang gesetzt und trägt folglich auch die Verantwortung dafür. Das alles muss nun schonungslos offengelegt werden", forderte Migrationssprecherin Ewa Ernst-Dziedzic laut Aussendung am Mittwoch.

Ernst-Dziedzic will "nun selbst versuchen, zur Aufklärung beizutragen und mich vor Ort auf Fact-Finding-Mission begeben. Bei einem Lokalaugenschein und im Gespräch mit den beteiligten Personen wird sich die Situation sicher ein Stückweit aufklären lassen", sagte sie. Hilfe vor Ort bedeute nicht, Menschen in geschlossene Systeme zu sperren und ohne ein faires Verfahren abzuschieben, so die Grüne.

Aufklärung von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) zu den Vorwürfen forderte auch die SPÖ. SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner kündigte eine parlamentarische Anfrage an, um den Vorwürfen, wonach mit österreichischem Steuergeld ein menschenrechtswidriges Gefängnis gebaut worden sein soll, und der Rolle des ICMPD auf den Grund zu gehen.

Seit 2021 in Bau

Das Camp liegt in einem unwirtlichen Gelände 25 Kilometer südöstlich von Bihać. Es war im Sommer 2020 errichtet worden, um auf der Balkanroute hängengebliebene Migranten aus dem Zentrum der nordbosnischen Stadt wegzubekommen. Allerdings musste es von der IOM schon nach wenigen Monaten geschlossen werden, weil es entgegen Zusagen der bosnischen Behörden nicht an das Wasser- und Stromnetz angeschlossen wurde. Hunderte Migranten wurden so obdachlos und irrten im tiefsten Winter in der Gegend umher, was international großes Aufsehen erregte. Unter dem Eindruck der humanitären Krise sagte damals auch Österreich eine Million Euro an Unterstützung für die IOM zu. Nachdem zunächst Zeltlager aufgestellt worden waren, begann Anfang 2021 der Bau eines neuen Flüchtlingscamps, das nun wegen seines angeblichen Gefängnisbereichs in der Kritik steht. (APA, Lea Kulaš, 12.4.2023)