Charaktere in Videospielen wurden bislang von Hand erstellt. Im Bild: eine Cosplayerin auf der Game-Expo in Schanghai.

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Früher verdiente eine freiberufliche Illustratorin bis zu 7.000 Yuan, also etwa 930 Euro, für jedes von ihr gezeichnete Poster für ein Videospiel. Diese Illustrationen werden hauptsächlich für das Marketing auf Social Media verwendet, und die Publisher in China ließen sich diese aufwendige und zeitraubende Tätigkeit auch einiges kosten. Kein Wunder, steckte in jedem der Poster doch bis zu einer Woche Arbeit.

Doch seit Februar sind diese Beschäftigungsmöglichkeiten verschwunden, wie das Tech-Magazin "Rest of World" recherchiert hat. Spielefirmen können ähnliche Illustrationen in Sekundenschnelle erstellen – möglich machen das Bildgeneratoren einer künstlichen Intelligenz (KI). Die eingangs erwähnte Illustratorin muss nur noch kleinere Korrekturen daran vornehmen, wie etwa die Beleuchtung optimieren oder schiefe Körperteile geraderücken oder überzählige Finger entfernen. Diese Tätigkeit ist längst nicht so gut bezahlt, und sie macht nur noch ein Zehntel des Umsatzes des Vorjahres aus.

Chinas Gaming-Riesen setzen auf Midjourney und Co

Programme wie DALL-E 2, Midjourney und Stable Diffusion machen es möglich, nahezu perfekte Zeichnungen zu erstellen. Das haben auch chinesische Videospielunternehmen, von Tech-Giganten wie Tencent bis hin zu Indie-Entwicklern, erkannt. Sie lassen nun ihre Videospielcharaktere, Umgebungen und Werbematerialien von einer KI erstellen.

Der Aufstieg der künstlichen Intelligenz hat in der boomenden chinesischen Videospielindustrie Besorgnis ausgelöst. Künstlerinnen und Künstler sind für die Spieleproduktion von entscheidender Bedeutung, sei es für die Konzeption von Charakteren oder das Zeichnen von Hintergrundelementen wie Stadtlandschaften oder Schildern. Angesichts der hohen Qualität der KI-Kunstwerke fragen sich viele in der Branche, wie lange sie ihre Jobs noch behalten, so sieben von "Rest of World" befragte Illustratorinnen und Illustratoren. Manche scherzten sogar, dass sie in Zukunft wohl auf der Straße Reisnudeln verkaufen müssen werden, um über die Runden zu kommen.

Zwei Personen erledigen die Arbeit von zehn

"Die KI entwickelt sich mit einer Geschwindigkeit, die unsere Vorstellungskraft weit übersteigt", sagte Xu Yingying, Illustratorin in einem unabhängigen Studio für Spielegrafik in Chongqing. Fünf der 15 für Charakterdesign zuständigen Angestellten des Studios wurden dieses Jahr entlassen. "Zwei Leute könnten möglicherweise die Arbeit erledigen, die früher von zehn Personen erledigt wurde", sagte sie.

Chinesische Tech-Giganten wie Tencent und Netease erforschen seit Jahren, wie sich die Kosten für die Entwicklung von Spielen mithilfe künstlicher Intelligenz senken lassen. Das Spiel "Naraka: Bladepoint" von Netease führte im März eine vorübergehende Funktion ein, die es den Spielern ermöglichte, mithilfe des unternehmenseigenen KI-Programms neue "Skins" für Avatare zu erstellen.

Effizienz ist alles

Die Spielegiganten stellen die Entwicklung von KI freilich anders dar: "Unser Ziel war es, bessere Werkzeuge zu entwickeln, die es unseren talentierten Teams von Art-Designern und Illustratoren ermöglichen, während des Entwicklungsprozesses von Spielen schneller und effizienter zu arbeiten", so ein Sprecher von Netease. Die Effizienz der KI ist unbestritten. Ein in Guangdong ansässiger Zeichner sagte gegenüber dem Magazin, dass Mitarbeiter früher eine Szene oder eine Figur an einem Tag zeichnen konnten. Heute können sie 40 Vorschläge generieren, aus denen ihre Chefs dann die besten auswählen. Aus Angst um den Job würden viele Illustratorinnen und Illustratoren bis spät in die Nacht arbeiten, um mehr zu produzieren. "Die KI hat uns produktiver, aber auch erschöpfter gemacht", sagte eine Zeichnerin. (red, 12.4.2023)