Drohnen auf feindliche Soldaten fallen lassen – das Spiel greift damit ein reales und aktuelles Kriegsszenario auf.

Foto: Lesser Evil

Mit "Death from Above" startete das Münchner Start-up Lesser Evil vor ein paar Wochen eine umstrittene Kickstarter-Kampagne. Interessierte Spielerinnen und Spieler wurden dazu aufgerufen, für ein Kriegsspiel ein paar Euro einzuwerfen, das den Ukrainekrieg als Schauplatz hat. In der Uniform eines ukrainischen Soldaten steuerte man Drohnen, die man dann von oben auf Panzer, Jeeps oder russische Soldaten fallen lässt – was den Spieletitel erklärt: Tod aus der Luft.

Dass man sich mit der Spielidee nicht nur Freunde macht, ist dem Gründer des Start-ups, Hendrik Lesser, sicher klar gewesen. Der Unternehmer, der unter anderem Geschäftsführer des Games-Publishers Remote Control Productions ist, kann sich vielleicht deshalb doppelt darüber freuen, dass das Kickstarter-Ziel von 25.000 Euro nach kurzer Zeit bereits erreicht war und das Spiel damit demnächst in einer frühen Version (Early Access) den Vorbestellern zugänglich sein wird.

Aber darf man einen aktuellen Konflikt in dieser Form aufgreifen – auch wenn 30 Prozent der künftigen Verkaufserlöse an Hilfsorganisationen in der Ukraine gespendet werden sollen? Ist es kalkulierte Gewinnmaximierung, sich ein solches Thema in diesen Zeiten auszusuchen, oder hat das die Games-Branche nicht ohnehin immer betrieben? Darf es so ein Spiel überhaupt geben? Viele Fragen, zwei Meinungen.

Kontra

Alexander Amon

Ich war nie der größte Fan von Kriegssimulationen, aber natürlich habe ich auch zahlreiche Stunden mit Strategiespielen wie "Command & Conquer" oder auch Shootern wie "Battlefield" verbracht. Bei realen oder sehr aktuellen Schauplätzen muss auch ich ordentlich schlucken – mehr, als wenn beispielsweise Zerg und Protoss auf fernen Planeten aufeinandertreffen oder der Master Chief violetten Aliens ein paar Leuchtkugeln verpasst.

Wenn ein Spiel "Death from Above" heißt und nur aufgrund seiner miesen Optik von realen Bildern aus den derzeitigen Nachrichten unterscheidbar ist, sage ich auch als Gamer: Lasst das bitte.

Auch Formulierungen im Text der Kickstarter-Kampagne finde ich unpassend bis befremdlich. "Our game takes place during a serious and tragic real-life event, but we hope that our game is able to bring some fun and relief to players when they try it." Spaß und Entspannung, indem ich einen gerade stattfindenden Krieg simuliere?

Ich will jetzt gar nicht klingen wie die Verfechter der Killerspiel-Bewegung, aber mir ist das Zeitfenster zwischen realen Geschehnissen und virtuellem Spiegel für eine bessere Einordnung wichtig. Klar, es gab Spiele zum Vietnamkrieg, dem Irakkrieg und rund 100 Versoftungen des Zweiten Weltkriegs, aber das in der Regel nach einer gewissen Zeit und einer Möglichkeit der historischen Einordnung.

Der Krieg in Europa bestimmt seit über einem Jahr Teile unseres Lebens – bei der Weltwirtschaft angefangen bis zur Flüchtlingsthematik. Noch immer prasseln täglich Bilder auf uns ein – von zerbombten Häusern und verzweifelten Menschen. Das ist für mich kein Schauplatz, in das ein Spiel wie "Death from Above" passt. Hätten sich der Schöpfer und sein Team mehr an eine Idee gewagt, wie das vielfach ausgezeichnete "This War of Mine", hätte ich mir diese Zeilen wohl gespart.

Ich sage nicht, dass man überhaupt nie Spiele zu aktuellen Tragödien machen soll. Ein wenig Fingerspitzengefühl setze ich allerdings voraus.

Pro

Peter Zellinger

Man kann in "Death from Above" Kamikaze-Drohnen auf russische T-72-Panzer lenken. Als mir mein Kollege Alexander Amon zuerst davon erzählte, war auch mein erster Impuls: welch eine Geschmacklosigkeit. Dann habe ich den Trailer gesehen, und mir war klar: Das hier ist keine Kriegssimulation, sondern ein Satireprojekt. Zu den Aufträgen des Spielenden gehört es etwa, von den russischen Angreifern gestohlene Waschmaschinen zurückzuerobern, indem man russische Soldaten umstößt und die Weißware mit Saugnäpfen vom Schlachtfeld transportiert. Damit bezieht sich Publisher Lesser Evil auf die gerade am Beginn des russischen Überfalls aufgekommenen Bilder von russischen Panzerbesatzungen, die allerlei Haushaltgerät von den Ukrainern gestohlen hatten und als Beute nach Hause schicken wollten. Das ganze Spektakel bewegt sich grafisch auf absichtlich schlechtem Niveau, und die ungeschickten Animationen sollen das Dargebotene wie Szenen aus einem Slapstickfilm aussehen lassen. "Death from Above" ist kein Kriegsspiel. Es ist digitaler Spott über das Unfassbare.

Diese Form der Satire erinnert sehr an das Internetphänomen der North Atlantic Fella Organization. Deren selbsternannte Mitglieder – Fellas genannt – bekämpfen seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine russische Propaganda und Falschinformationen. Die Fellas tragen keine Waffen, sondern sie nutzen die Mittel der Satire und fluten das Netz mit bitterbösen Memes und geben Putin und seine Knechte der Lächerlichkeit preis. Aber nicht nur das: Mit der Satire wird den allgegenwärtigen russischen Informationskriegern endlich ein wirksames Mittel entgegensetzt. Der russische Troll wird mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Neu ist das nicht: Charlie Chaplin hat sich schon 1940, als der Weltkrieg tobte, über Adolf Hitler filmisch lustig gemacht. Heute gilt "Der große Diktator" als Meisterwerk.

Nun kann man ein eilig programmiertes und billig produziertes Spiel wie "Death from Above" nicht mit diesem Filmklassiker vergleichen. Dennoch ist es Teil eines Phänomens, das sich als Kryptonit für Russlands Propagandisten entpuppt – und das ist gut und wichtig so.