Es mag auf den ersten Blick verblüffend klingen, ist aber nicht ungewöhnlich: Viele Lebewesen enthalten DNA von Viren. Auch das Erbgut des Menschen besteht zu einigen Prozent aus ehemaliger Viren-DNA.

Eine Gruppe vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck untersuchte nun in einem großangelegten Screening, wie viel Viren-DNA sich in Mikroben befindet. Das überraschende Ergebnis, an dem auch das Max-Planck-Institut für medizinische Forschung und die Universität Groningen beteiligt waren, hat das Team um Christopher Bellas nun im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht.

Das Ergebnis verblüffte die Forschenden. Über 30.000 bisher unbekannte Viren konnten aus dem Erbgut rekonstruiert werden. "Wir waren sehr überrascht, wie viele Viren wir in dieser Studie gefunden haben", sagt Bellas. "In einigen Fällen stellte sich heraus, dass bis zu zehn Prozent des Genoms einer Mikrobe aus versteckten Viren bestehen."

In diesem Bergsee fand das Innsbrucker Team eine neue Gruppe von Viren. Um zu untersuchen, welche Wirte sie angreift, wurde ein großes Screening mit verschiedenen Einzellern durchgeführt. Dabei fand sich die DNA überraschend vieler Viren.
Foto: Ruben Sommaruga

Grund unbekannt

Warum das so ist, sei bislang unklar, sagt Bellas. Doch die Forschungen, die vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützt wurden, deuten darauf hin, dass es sich nicht um einen Zufall handelt. Die Viren-DNA dürfte eine wichtige Funktion für die einfachen Lebewesen haben. "Unsere stärkste Hypothese ist, dass sie die Zelle vor einer Infektion durch gefährliche Viren schützen", mutmaßt Bellas.

Bei einer Infektion durch Riesenviren könnte das geschehen. Diese neigen dazu, die DNA des Wirtsorganismus in ihre eigene zu integrieren.

Riesenviren haben aber eine Schwachstelle. Sie reagieren sensibel auf die DNA von speziellen Viren, den Virophagen. Dabei handelt es sich um Viren, die bei der Reproduktion auf die Hilfe eines weiteren Virus angewiesen sind. Infiziert ein Riesenvirus einen Einzeller und baut dieser eine darin enthaltene Virophagen-DNA in sein Erbgut ein, produziert er bei der Vervielfältigung womöglich selbst Virophagen. Das kann manchmal in der Abwehr des Riesenvirus enden. Viele der in der Studie gefundenen Viren haben Ähnlichkeiten mit Virophagen, was auf einen Zusammenhang hindeuten könnte.

Riesenviren verfügen über gigantische Genome. Durch die Tatsache, dass sie Wirts-Erbgut in ihr eigenes integrieren, könnten sie anfällig auf Virophagen-DNA in ihren Wirten sein.
Foto: Image courtesy of Julia Bartoli and Chantal Abergel, IGS and CNRS-AMU

Zufallsentdeckung in Bergsee

Die Entdeckung war nicht geplant, berichten die Forschenden. Eigentlich sollten 2021 in einem Tiroler Bergsee, dem Gossenköllesee, gefundene Viren genauer untersucht werden. "Ursprünglich wollten wir mit unserer Studie den Ursprung der neuen Viren finden", sagt Bellas. Weil nicht bekannt war, welche Lebewesen sie befallen, unternahm man das großangelegte Screening aller Mikroben, deren Erbgut bekannt ist.

Ein Computercluster namens "Leo" an der Universität Innsbruck half, den mehrere Hundert Gigabyte großen Datensatz zu analysieren. "Außerdem können DNA-Sequenzen dank der neuen Oxford-Nanopore-Technologie auch viel schneller gelesen werden", freut sich Bellas. Die DNA geht dabei durch winzige Poren in einer Membran. Jede einzelne Base erzeugt ein messbares Signal.

An dem Projekt waren neben Bellas auch Marie-Sophie Plakolb und Ruben Sommaruga beteiligt. Sie erhoffen sich, durch weitere Forschungen mehr über die Funktion der Viren-DNA zu erfahren. (rkl, 15.4.2023)