Das originale Bild von 2019 im Vergleich zu dem mithilfe von künstlicher Intelligenz optimierten aktuellen Bild.
Foto: Medeiros et al. 2023

Um einen Kreis zu zeichnen, braucht man für gewöhnlich einen Zirkel. In der Wissenschaft hat der Begriff des Zirkels meist eine andere Bedeutung. Und dennoch besteht auch bei dem neuen, von einem Team der Event-Horizon-Kollaboration veröffentlichten Bild eines Schwarzen Lochs, der Verdacht, es könnte bei der schönen kreisrunden Form ein Zirkel im Spiel sein.

Doch alles der Reihe nach. Im Jahr 2017 richtete ein weltumspannendes Netzwerk von sieben Teleskopen von nie dagewesenen Ausmaßen seinen Blick auf die Galaxie Messier 87 im Sternbild Jungfrau. Gemeinsam simulierten sie ein Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von der Größe der Erde. Sie nannte sich "Event-Horizon-Telescope". Der Name der Zusammenarbeit war Programm: Man hatte sich zum Ziel gesetzt, erstmals den dunklen Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs, in diesem Fall jenen von M87, abzubilden.

Das sensationelle erste Bild eines Schwarzen Lochs, aufgenommen von einem Netzwerk aus sieben Teleskopen, die über den ganzen Erdball verteilt waren.
Foto: AFP PHOTO / EUROPEAN SOUTHERN OBSERVATORY

Das entstandene Bild, das 2019 veröffentlicht wurde, sorgte zu Recht für Furore. "Wir waren, ehrlich gesagt, überrascht, wie gut der beobachtete dunkle Fleck mit der aus unseren Computersimulationen vorhergesagten Struktur übereinstimmt", sagte damals der Direktor des Bonner Max-Planck-Instituts für Radioastronomie, Anton Zensus. Der schwach sichtbare Fleck ist also von größter Bedeutung. Es handelt sich um den Ereignishorizont, aus dem kein Licht entweichen kann und der nur durch extreme Verzerrung des Raums durch Effekte der Allgemeinen Relativitätstheorie erklärt werden kann.

Das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxie, aufgenommen von der Event-Horizon-Kollaboration.
Foto: EHT Collaboration/National Science Foundation/Handout via REUTERS

Inzwischen gelang es derselben Kollaboration, ein weiteres Bild eines Schwarzen Lochs aufzunehmen. Diesmal stand das Zentrum unserer eigenen Galaxie, Sagittarius A*, im Fokus.

Der Schatten wird größer

Deshalb erregte die neue Veröffentlichung einer Forschungsgruppe der Event-Horizon-Telescope-Kollaboration, die diese Woche im Fachjournal "Astrophysical Letters" erschien, großes Aufsehen. Mithilfe von künstlicher Intelligenz war es der Astrophysikerin Lia Medeiros und ihrem Team gelungen, das Bild des Schwarzen Lochs M87 zu verbessern und insbesondere den Ereignishorizont schärfer hervortreten zu lassen.

Für dieses Bild analysierte eine KI namens "Primo" 30.000 mit Computersimulationen generierte Bilder von schwarzen Löchern, die Gas aggregieren. Aufgrund dieser Bilder lernte die KI, wie Schwarze Löcher eigentlich aussehen.

"Da wir Schwarze Löcher nicht aus der Nähe studieren können, spielt der Detailgrad eines Bildes eine entscheidende Rolle für unser Verständnis ihres Verhaltens. Die Breite des Rings auf dem Bild ist nun etwa um den Faktor zwei kleiner, was eine starke Einschränkung für unsere theoretischen Modelle und Tests der Gravitation sein wird", sagt Medeiros.

Bei der KI-Methode habe es sich um "Dictonary Learning" gehandelt. Medeiros betont die Vorzüge der Technologie und nennt als Beispiele Versuche, mithilfe von KI unvollendete Stücke von Beethoven in seinem Stil zu vollenden.

Dieser Vergleich wirft jedoch Fragen auf. Ist das neue Bild des Schwarzen Lochs also ein "echtes" Bild eines Schwarzen Lochs? Immerhin kann bei einem von einer KI erzeugten Beethoven-Stück kaum von einem "echten" Beethoven gesprochen werden.

Annahme: Es ist ein Schwarzes Loch

Fakt ist: Zum Training der KI wurden Simulationen von Schwarzen Löchern verwendet. Dort ging also Vorwissen über Schwarze Löcher ein. Das stellt eine Einschränkung für den wissenschaftlichen Gehalt des Bildes dar, denn ein Modell, das Gebrauch von einer Theorie macht, kann nicht dazu verwendet werden, dieselbe Theorie zu bekräftigen. Dabei würde es sich um einen Zirkelschluss handeln. Der Begriff kommt aus der Logik: Wer zum Beweis einer Tatsache die Tatsache voraussetzt, hat in Wirklichkeit nichts bewiesen.

Einige der Simulationen, die zum Training für die KI "Primo" verwendet wurden.
Institute for Advanced Study

Das Problem bekommt durch den Einsatz von KI in der Wissenschaft eine neue Brisanz. KI-Anwendungen stehen immer wieder in der Kritik, auf nicht nachvollziehbare Weise vorhandene Information zu verwenden. Erst kürzlich machte ein "Mondmodus" der Kamera eines neuen Samsung-Smartphones von sich reden. Es stellte sich heraus, dass die aufgenommenen Bilder Details zeigen, die eigentlich gar nicht sichtbar waren. Der Verdacht lag nahe, dass die Software des Telefons erkennt, wenn der Mond im Bild ist, und die bekannten Details der Mondoberfläche ergänzt.

Was bei Smartphones zu der philosophischen Spitzfindigkeit führt, ob es sich bei einer solchen Abbildung des Mondes um ein "echtes" Bild handelt, ist für die Wissenschaft tatsächlich ein Problem. Immer häufiger wird derzeit KI in der Wissenschaft verwendet, etwa in der Quantenphysik, um aufwendige Berechnungen abzukürzen, wenn es um viele sehr ähnliche Rechnungen mit erwartbarem Ergebnis geht. Ein solcher Schritt muss gut argumentiert sein.

Sehen wir nur, was wir sehen wollen?

In ihrer Publikation nehmen die Forschenden Bezug auf die Problematik. Sie betonen, dass bei dem ursprünglichen Bild von M87 aus dem Jahr 2019 großer Wert darauf gelegt worden sei, dass die Methoden "model-agnostic" waren, also trotz des komplexen Prozesses der Erstellung des Bildes aus den Rohdaten kein Modell eines Schwarzen Lochs Eingang in die Analyse fand.

Doch das ist bei dem nun erstellten Bild nicht mehr der Fall. Tatsächlich sind viele der Annahmen gut begründet. So ist etwa die Rotationsachse aus Beobachtungen des für Radioteleskope sichtbaren "Jets" hergeleitet. Auch die Tatsache, dass der Jet in Richtung der Erde oder von ihr weggerichtet sein könnte, wurde berücksichtigt. Zudem griff man nicht auf die ursprünglich für das M87-Bild verwendeten Daten zurück, sondern verwendete einen neu kalibrierten Datensatz von höherer Qualität. All das führt dazu, dass die Verbesserung der Qualität des Bildes tatsächlich auch auf verbesserten Beobachtungsdaten und nicht nur auf den theoretischen Simulationen beruht.

Ein Hubble-Bild der Galaxie Messier 87 inklusive des Jets, der vom Galaxienkern ausgestoßen wird.
Foto: NASA and the Hubble Heritage Team (STScI/AURA)

Schließlich ging man sogar so weit, die theoretischen Simulationsdaten nicht in ihrer vollen Auflösung zu verwenden, sondern vorher weichzuzeichnen, bis sie etwa der theoretisch erreichbaren Auflösung des für das ursprüngliche M87-Bild verwendeten Teleskopennetzwerks entsprach.

Annahme: Es ist ein Schwarzes Loch

"Model-agnostic" wie die ebenfalls stark bearbeitete Aufnahme von 2019 ist das neue Bild des Schwarzen Lochs jedenfalls nicht mehr. Dass es nun noch mehr aussieht wie ein Schwarzes Loch, liegt zu einem großen Teil daran, dass man von vornherein annahm, es mit einem Schwarzen Loch zu tun zu haben. Zum Glück ist die Existenz Schwarzer Löcher inzwischen hinreichend geklärt, nicht zuletzt dank Arbeiten von Forschenden wie Andrea Ghez und Reinhard Genzel, die dafür 2020 den Nobelpreis verliehen bekamen.

Forschende müssen bei der Analyse dennoch aufpassen, es bei dem Bild nicht doch noch mit einem Zirkel zu tun zu bekommen. Medeiros nennt eine genauere Bestimmung der Masse des Schwarzen Lochs als mögliche Anwendung. Das ist unproblematisch, solange man sich einig ist, dass es sich wirklich um ein Schwarzes Loch handelt. Fraglich ist aber, inwieweit das neue Bild für Tests der Gravitationstheorie geeignet ist, wie Medeiros es andeutet.

Es könnte ohnehin bald neue Bilder von Schwarzen Löchern geben. Medeiros berichtet, dass ein neues, noch größeres Teleskopennetzwerk der Event-Horizon-Telescope-Kollaboration seinen Blick gerade wieder ins All richtet, auf der Jagd nach einem noch genaueren Bild von M87. (Reinhard Kleindl, 15.4.2023)