Michelle Cotton übernimmt ab Sommer 2024 die Leitung der Kunsthalle Wien.

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Die Kunsthalle Wien zum 30-jährigen Jubiläum im November 2022.

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Wien – Die Katze ist aus dem Sack und eine langerwartete Entscheidung gefallen: Ab Sommer 2024 wird die Britin Michelle Cotton die künstlerische Leitung der Kunsthalle Wien übernehmen und das Kollektiv WHW ablösen, wie Stadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) und Jurysprecher Dirk Snauwaert (Leiter des Wiels Zentrum für Zeitgenössische Kunst in Brüssel) am Freitag verkündeten. Derzeit ist Cotton Programmleiterin am Mudam, dem nationalen Museum für zeitgenössische Kunst in Luxemburg, und war davor Direktorin des Bonner Kunstvereins.

Mit ihrem bisherigen Wirken habe Cotton "Weitblick und Spürsinn bewiesen, und zwar sowohl für virulente gesellschaftspolitische Themen als auch für Künstlerinnen und Künstler, die mit großen Setzungen unsere Zeit im Spiegel der Kunst reflektieren", so Kaup-Hasler. Besonders wichtig seien eine Neupositionierung sowie eine Öffnung der Kunsthalle – ohne radikalen Bruch, so die Stadträtin. Es gehe darum, die lokale Kunstszene wahrzunehmen und gleichzeitig eine neue Öffentlichkeit anzusprechen.

Cotton selbst stellte sich auf Deutsch mit den Worten "Guten Morgen Wien, ich bin die Neue" vor und wechselte danach ins Englische. Sie sehe es als Herausforderung und Verantwortung, die Kunsthalle zu übernehmen. Und sie betonte den hohen Stellenwert von Kunst und Kultur in der Stadt. Die 1977 in Preston geborene Kuratorin gab jedoch zu, dass sie die lokale Szene in Wien und Österreich noch nicht gut kenne. Die Zeit bis zu ihrem Antritt im Sommer 2024 werde sie nutzen, um sich einen Überblick zu verschaffen und auch ihr Deutsch zu verbessern.

Öffnung und "awkwarde" Lage

Cotton möchte die Kunsthalle für diversere Publikumsschichten öffnen, betonte sie. Die Einrichtung solle weiterhin ein "lebendiger Ort für den Diskurs mit einer engagierten Community" sein, aber dennoch eine breite Besucherschaft anziehen. Schlagworte: Zugang, Öffnung, Kooperation. "Ich bin überzeugt davon, dass man hier viele Menschen erreichen kann", so Cotton. Sorgen mache sie sich allerdings wegen der schon oft kritisierten versteckten Lage im Museumsquartier, die sie als etwas "awkward" (im Sinn von "ungünstig") bezeichnete und diskutieren möchte. Zugang schaffe man auch räumlich, so Cotton.

Über ihr inhaltliches Programm verriet die zukünftige Leiterin, die Anglistik und Literatur am Londoner King's College studierte und ein Postgraduate-Studium der Kunstgeschichte abschloss, jedoch noch relativ wenig. Fest stehe, dass sie – wie in ihrer bisherigen Laufbahn – Neues zeigen möchte. "Menschen sind daran interessiert, etwas zu sehen, das sie noch nicht kennen", ist sie sich sicher. Sowohl in Bonn als auch in Luxemburg holte Cotton neue Namen vor den Vorhang. Auch für die Kunsthalle plane sie Ausstellungen von Kunstschaffenden, die noch keine institutionelle Ausstellung in Österreich hatten. Als Beispiel für eine Gruppenschau nennt sie Künstlerinnen des Cyberfeminismus aus den 1960- bis 1980er-Jahren.

Ihre kuratorische Laufbahn startete Cotton in der Norwich Gallery, sie war Programmverantwortliche bei S1 Artspace in Sheffield und Cubitt in London. Als Chefkuratorin wirkte sie von 2010 bis 2015 am Zentrum für zeitgenössische visuelle Kunst Firstsite in Colchester, bevor sie als Direktorin zum Bonner Kunstverein wechselte, den sie von 2015 bis 2019 leitete. Derzeit ist sie Programmleiterin am Mudam in Luxemburg.

Sorgen macht sich Michelle Cotton wegen der versteckten Lage der Kunsthalle im Museumsquartier. Sie möchte darüber diskutieren.
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Langwieriger Prozess

"Michelle Cotton hat ein spannendes Konzept mit attraktiven und zeitgemäßen Ausstellungsvorschlägen präsentiert. Ihre Vorstellungen zur Positionierung der Kunsthalle (...) haben überzeugt", urteilte die Jury, darunter Experten und Expertinnen wie Jasper Sharp und Ramesch Daha. Die Empfehlung sei "so klar" gewesen, "dass ich ihr unbedingt folgen wollte", so Kaup-Hasler. Für die Stadträtin ist es der Abschluss eines "mitunter nicht leichten, aber wichtigen Prozesses".

Insgesamt waren 37 Bewerbungen im zweiten Anlauf eingegangen, darunter 27 aus dem Ausland. Der Call musste Anfang des Jahres wiederholt werden, nachdem die ersten Einreichungen Ende 2022 laut Jury "nicht den Kriterien" entsprochen hatten. Das Kollektiv WHW, bestehend aus Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović, hatte sich dann nicht erneut beworben, da ihm intern signalisiert worden war, dass es keine Chancen gehabt hätte. Der Vorgang wurde öffentlich kritisiert, Aufsichtsrat Boris Marte legte sogar sein Mandat zurück, und WHW monierte, keine klare Erklärung erhalten zu haben.

Kaup-Hasler folgte damals dem einstimmigen Urteil der Jury und schrieb die Bewerbung neu aus. Sie begründete den Schritt damit, dass sich die Voraussetzungen für die Stelle – ohne Bewerbung von WHW – geändert hätten. Nun müsse vor allem das durch die Pandemie abhandengekommene Publikum zurückgewonnen werden. Die Neuausschreibung solle "ein neues Kapitel" aufschlagen, hieß es. Gesucht wurden Persönlichkeiten "mit künstlerischer und gesellschaftspolitischer Vision" und mit Erfahrung in der Konzeption und Umsetzung von Ausstellungen "auf internationalem Niveau".

Neustart für das Sorgenkind

2019 hatte Kaup-Hasler WHW als künstlerische Leitung an die Kunsthalle geholt. Den erhofften Neustart für die krisengebeutelte Einrichtung, die auch schon unter Vorgänger Nicolaus Schafhausen in die Bedeutungslosigkeit der Wiener Kunstszene schlitterte, konnten sie mit einem diversen Nischenprogramm aber nicht umsetzen. Dem STANDARD sagten die damaligen Leiterinnen nach drei Jahren im Amt, dass es nicht Ziel ihrer Ausstellungsprogrammatik sei, die Masse anzusprechen.

Die Ausgangssituation für Michelle Cotton ist also keine einfache, da die Kunsthalle schon länger als Sorgenkind der Stadt gilt. Ob Cotton der Einrichtung wieder zu mehr Sichtbarkeit in der Stadt und darüber hinaus verhelfen wird, wird sich ab Sommer 2024 zeigen. Einem Neustart steht jedenfalls nichts mehr im Weg. (Katharina Rustler, 14.4.2023)