Rätselhaftes Reitervolk: Die Xiongnu errichteten in der mongolischen Steppe ein multiethnisches Reich.
Illustration: Galmandakh Amarsanaa, Rechteinhaber: Christina Warinner / Dairy Cultures Project

Wenn von historischen Mongolen und ihrem Reich die Rede ist, dann denken die meisten vermutlich an Dschingis Khan. Als allmächtiger Herrscher gelang es ihm rund um das Jahr 1200, die mongolischen Stämme zu einen und weite Teile Zentralasiens und Nordchinas zu erobern. Mehr als 1.000 Jahre vor ihm gab es freilich bereits ein ähnlich mächtiges Reich, das hierzulande wenig bekannt ist: das der Xiongnu, die damals in der mongolischen Steppe herrschten und das durch den Handel mit dem Alten Rom, dem Alten Ägypten und dem Kaiserreich China verbunden war.

Damit entwickelten sie sich zum größten Rivalen des Kaiserreichs China und sorgten indirekt für ein bleibendes Vermächtnis: Um sich vor diesen mongolischen Nomaden zu schützen, errichteten die Chinesen ihre berühmte Mauer. Trotz dieses großen indirekten Erbes sind die Zeitgenossen der Alten Römer und der Alten Ägypter wenig erforscht, was auch daran liegt, dass die Xiongnu kein Schriftsystem entwickelten. Historische Aufzeichnungen über sie stammen mithin fast ausschließlich von Rivalen und Feinden.

Diese Berichte, größtenteils von Chronisten der Han-Dynastie aufgezeichnet, liefern aber nur wenige nützliche Informationen über die Ursprünge der Xiongnu, ihren politischen Aufstieg oder ihre gesellschaftlichen Strukturen. Überliefert war bisher vor allem, dass sie Nomaden waren, von Viehzucht und Milchwirtschaft lebten und ihr riesiges Reich, das weit über die Grenzen der heutigen Mongolischen Volksrepublik hinausreichte, ähnlich wie Dschingis Khan zu Pferde erkämpften.

Analysen an zwei Elitefriedhöfen

Um herauszufinden, wie das Xiongnu-Reich im Innersten beschaffen war, führte ein internationales Team von Forschenden, unter anderem der beiden Max-Planck-Institute für evolutionäre Anthropologie und für Geoanthropologie, eine eingehende genetische Untersuchung von Bestatteten zweier Friedhöfe der kaiserlichen Xiongnu-Elite an der Westgrenze des Nomadenreichs durch: eines aristokratischen Elitefriedhofs in Takhiltyn Khotgor und eines lokalen Elitefriedhofs in Shombuuzyn Belchir.

"Wir wussten bereits, dass sich die Xiongnu durch ein hohes Maß an genetischer Vielfalt auszeichneten", erklärt Erstautorin Juhyeon Lee, Doktorandin an der Seoul National University in Südkorea. Doch aufgrund fehlender genomischer Daten auf Gesellschaftsebene sei unklar geblieben, ob diese Vielfalt aus einem heterogenen Flickenteppich lokaler homogener Gemeinschaften entstanden ist oder ob die lokalen Gemeinschaften selbst genetisch vielfältig waren. "Wir wollten wissen, wie diese genetische Vielfalt auf verschiedenen sozialen und politischen Ebenen sowie in Bezug auf Macht, Wohlstand und Geschlecht strukturiert war."

Ausgrabung des Xiongnu-Elitegrabs 64, in dem eine Aristokratin von hohem Rang bestattet war. Begräbnisstätte Takhiltyn Khotgor, Mongolischer Altai.
Foto: J. Bayarsaikhan

Hohe genetische Vielfalt

Bei den im Fachblatt "Scientific Reports" publizierten Untersuchungen zeigte sich, dass die auf den beiden Friedhöfen bestatteten Menschen eine extrem hohe genetische Vielfalt aufwiesen, und zwar auf allen Ebenen vorhanden – im gesamten Reich, innerhalb einzelner Gemeinschaften und sogar innerhalb einzelner Familien. Ein großer Teil dieser Vielfalt war jedoch dem sozialen Status geschuldet. Menschen mit dem niedrigsten Status, die als Satellitengräber der Eliten beigesetzt wurden, wiesen die größte genetische Vielfalt und Heterogenität auf.

Im Gegensatz dazu wiesen lokale und aristokratische Eliten eine geringere genetische Gesamtvielfalt und einen höheren Anteil osteurasischer Abstammung auf. Elitestatus und Macht waren also möglicherweise auf bestimmte genetische Untergruppen der breiteren Xiongnu-Bevölkerung konzentriert. Dennoch scheinen selbst Elitefamilien Heiraten genutzt zu haben, um die Beziehungen zu neu eingegliederten Gruppen zu festigen, insbesondere in Shombuuzyn Belchir.

Frauen hatten prunkvollste Gräber

Eine zweite wichtige Erkenntnis war, dass hochrangige Xiongnu-Bestattungen und Elite-Grabbeigaben überproportional häufig Frauen zugeordnet werden können. Das deckt sich mit historischen Aufzeichnungen und archäologischen Belegen, denen zufolge Xiongnu-Frauen bei der Expansion des Reiches und der Integration neuer Gebiete entlang seiner Grenzen eine besonders wichtige politische Rolle spielten.

Goldene Symbole der Sonne und des Mondes – wichtige Symbole der Xiongnu – schmücken den Sarg, der im Elitegrab 64 in der Begräbnisstätte Takhiltyn Khotgor im mongolischen Altai gefunden wurde.
Foto: J. Bayarsaikhan

Auf dem aristokratischen Elitefriedhof von Takhiltyn Khotgor wurden diesen Frauen monumentale Elitegräber errichtet – jede dieser Frauen war von einer Schar von Männern aus dem einfachen Volk flankiert, die in einfachen Gräbern bestattet wurden. Die Frauen wurden in kunstvollen Särgen mit den goldenen Sonnen- und Mondsymbolen der kaiserlichen Macht der Xiongnu beigesetzt. Ein solches Grab enthielt sogar ein Gespann von sechs Pferden und einen Teil eines Streitwagens.

Auf dem nahe gelegenen lokalen Elitefriedhof von Shombuuzyn Belchir belegten Frauen ebenfalls die reichsten und am aufwendigsten gestalteten Gräber. Die Grabbeigaben bestanden aus Holzsärgen, goldenen Emblemen und vergoldeten Gegenständen, Glas- und Fayence-Perlen, chinesischen Spiegeln, einem Bronzekessel, Seidenkleidern, hölzernen Karren und mehr als einem Dutzend Nutztieren sowie drei Gegenständen, die üblicherweise mit männlichen Reiterkriegern in Verbindung gebracht werden: einem chinesischen Lackbecher, einer vergoldeten eisernen Gürtelschnalle und Pferdegeschirr.

Kontinuität der Eliteprinzessinnen

Diese Gegenstände und ihre Symbolik zeugen von der großen politischen Macht der Frauen. "Frauen hatten als Vertreterinnen des Xiongnu-Kaiserreichs entlang der Grenze große Macht. Sie hatten oft exklusive Adelsränge inne, hielten die Traditionen der Xiongnu aufrecht und beteiligten sich sowohl an der Politik der Steppenmächte als auch an den sogenannten Seidenstraßennetzwerken", sagt der an der Untersuchung beteiligte Archäologe Bryan Miller von der University of Michigan.

Obwohl das Xiongnu-Reich schließlich im späten 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zerfiel, belegen die Ergebnisse der Studie ein lang anhaltendes gesellschaftliches und kulturelles Erbe. "Unsere Ergebnisse bestätigen die seit langem bestehende nomadische Tradition, dass Eliteprinzessinnen eine entscheidende Rolle im politischen und wirtschaftlichen Leben der Großreiche spielten – eine Tradition, die mit den Xiongnu begann und mehr als tausend Jahre später im Mongolenreich fortgesetzt wurde", sagt der Archäologe Jamsranjav Bayarsaikhan vom Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena: "Während die Geschichtsschreibung nomadische Reiche bisweilen als zerbrechlich und kurzlebig abgetan hat, so haben ihre Traditionen doch bis heute überdauert." (tasch, 16.4.2023)