Menschen in der sudanesischen Hauptstadt Khartum bringen sich in Sicherheit, nachdem es in der Stadt zu Kämpfen gekommen ist.

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Einen Tag nach dem Ausbruch schwerer Kämpfe im Sudan zwischen den regulären Streitkräften des Landes und der Miliz Rapid Support Forces (RSF) haben die Gefechte auch am Sonntag angehalten. Während RSF-Chef Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti) die Einnahme strategisch wichtiger Orte wie des Präsidentenpalasts, des Hauptquartiers der Streitkräfte sowie des Flughafens in Khartum bekanntgab, bestritt Streitkräftechef Abdelfattah al-Burhan die Behauptung Hemetis. Alle diese Einrichtungen würden nach wie vor von den Streitkräften kontrolliert, sagte der faktische Präsident in einem Interview mit Al Jazeera.

Sowohl aus der Hauptstadt Khartum als auch aus der Nachbarstadt Omdurman wurden am Sonntag heftige Kämpfe gemeldet. Auch in der nordsudanesischen Stadt Merowe und der Hafenstadt Port Sudan sollen Gefechte stattgefunden haben. Nach Angaben des sudanesischen Ärzte-Komitees wurden allein in Khartum bis Sonntagmittag mehr als 50 Zivilisten getötet, rund 600 Verletzte seien in Spitäler eingeliefert worden. Bei den Kämpfen wurden aufseiten der Regierungstruppen sogar Artillerie und Kampfjets eingesetzt: Mit Letzteren hätten die Streitkräfte das RSF-Hauptquartier in Omdurman angegriffen, hieß es. Auf dem Flughafen in Khartum sollen zwei Passagierjets ausgebrannt sein. Auch drei Mitarbeiter des World Food Programme wurden getötet, die UN-Institution stellt vorübergehend ihre Aktivitäten im Sudan ein. Am Sonntagnachmittag wurde zumindest eine dreistündige Feuerpause vereinbart, damit sich Zivilisten in Sicherheit bringen können.

Am Sonntagabend berichteten der Nachrichtenagentur Reuters zufolge Augenzeugen, Mitglieder der RSF seien weiter im Flughafengebäude, das von der Armee belagert werde. Diese halte sich aber mit Angriffen zurück, um größere Schäden zu vermeiden. Zeugen und Anrainer sagten, ein großes Problem seien Tausende schwer bewaffneter RSF-Kämpfer, die in Vierteln von Khartum und anderen Städten stationiert seien und von offizieller Seite nicht kontrolliert werden könnten. Das staatliche Fernsehen stellte seine Sendungen mit der Begründung ein, die Ausstrahlung von RSF-Propaganda zu verhindern.

Unklare Verhältnisse

Unterdessen bezichtigten sich die beiden Generäle gegenseitig, die Kämpfe begonnen zu haben. Er sei am Samstagmorgen um neun Uhr von einem Angriff der RSF-Milizionäre auf seine Residenz überrascht worden, gab Streitkräftechef al-Burhan bekannt: ein Vorwurf, den Hemeti zurückwies. Der gewalttätige Konflikt habe mit einem Angriff der Streitkräfte auf das RSF-Hauptquartier in Omdurman begonnen, so Hemeti. Al-Burhan sei ein "Verbrecher", der sich ergeben müsse, fuhr der Milizenchef fort, der bislang als Stellvertreter al-Burhans im Souveränen Rat, der faktischen Regierung des Sudans, fungierte.

Auf ihrer offiziellen Facebook-Seite nannten die Streitkräfte Hemeti ihrerseits einen "gesuchten Kriminellen": Bei dessen rund 100.000-köpfiger Miliz handele es sich um eine "Rebellentruppe", sie müsse aufgelöst werden.

Einbindung in Armee

Die Spannungen zwischen den beiden führenden Generälen des Landes hatten sich in jüngster Zeit zugespitzt, nachdem in einer Vereinbarung mit der zivilen Opposition des Landes im vergangenen Dezember die Integration der RSF in die reguläre Armee vereinbart worden war. Hemeti wollte eine derartige Einbindung seiner Truppe frühestens in zehn Jahren zulassen und verteilte die Milizionäre im ganzen Land, was von den Militärs als Provokation betrachtet wurde.

Die Rapid Support Forces waren vor zehn Jahren von dem damaligen Präsidenten Omar al-Bashir gegründet worden. Die in den Darfur-Provinzen eingesetzte Truppe bestand vorwiegend aus Kämpfern der berüchtigten Reitermiliz "Janjaweed": Ihr waren im dortigen Konflikt zwischen der arabischen und der afrikanischen Bevölkerung Kriegsverbrechen und Völkermord vorgeworfen worden. Hemeti wurde von al-Ba shir zum Chef der RSF-Miliz gekürt, obwohl der Spross einer Kamelzüchterfamilie lediglich drei Jahre lang die Schule besucht hatte. Als RSF-Chef brachte es Hemeti zu sagenhaftem Reichtum, unter anderem indem er seine Milizionäre gegen Bezahlung für Einsätze in den Bürgerkriegen im Jemen und in Libyen auslieh. Später bereicherte sich Hemeti auch an illegalen Goldminen in den Darfur-Provinzen: Heute soll er einer der reichsten Sudanesen sein.

Verbindungen zur Söldnergruppe Wagner

Als der vom Strafgerichtshof in Den Haag des Völkermords angeklagte al-Bashir nach monatelangen Protesten der Bevölkerung im April 2019 zurücktreten musste, distanzierte sich Hemeti umgehend von seinem einstigen Gönner und gewann dadurch an Einfluss. Er stieg zum Stellvertreter al-Burhans im Souveränen Rat, also zum faktischen Vizepräsidenten, auf. Im Juni 2019 waren seine Milizionäre an einem Massaker an über 100 Demonstranten maßgeblich beteiligt – trotzdem wurde ihr Anführer nicht zur Verantwortung gezogen. Hemeti werden auch enge Verbindungen zur russischen Söldnertruppe Wagner nachgesagt.

Obwohl der RSF-Chef den Putsch al-Burhans im Oktober 2021 und den damit verbundenen Abbruch der Reformbemühungen unterstützte, verstärkten sich die Spannungen zwischen den beiden Generälen zusehends. Hemeti sei mit der zweiten Position nicht mehr zufrieden gewesen, meint die Khartumer Politikanalystin Kholood Khair: "Allerdings hat er seine Unterstützung in der Bevölkerung wohl maßlos überschätzt."

Welche Auswirkungen der Machtkampf auf die ins Stocken geratenen Reformbemühungen haben wird, ist noch völlig offen. Nach jahrelangem Tauziehen und anhaltenden Protesten der Bevölkerung einigten sich Militärs und Opposition Mitte Dezember auf die Bildung einer neuen zivilen Übergangsregierung: Einzelheiten blieben allerdings offen. (Johannes Dieterich, Reuters, 16.4.2023)