Im Spital in Ottakring sind wegen Pflegemangels knapp 200 der 940 Betten gesperrt. Engpässe im Spitalsbereich sind laut dem Wiener Gesundheitsverbund europaweit eine Herausforderung.

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Die Grippewelle in Österreich wurde – nach einer Rekordanzahl von Erkrankungen zum Jahreswechsel – vergangene Woche offiziell für beendet erklärt. Auch Corona spielt in den Wiener Krankenhäusern derzeit nur noch eine untergeordnete Rolle. Eigentlich sollte für das Gesundheitspersonal in den Spitälern, das in den vergangenen Monaten erneut extrem gefordert wurde, die Zeit des verhaltenen Durchschnaufens beginnen. Davon ist angesichts des eklatanten überregionalen Personalengpasses im Gesundheitssystem aber keine Spur: Die Situation in den Krankenhäusern bleibt angespannt, hunderte Betten sind gesperrt, die Hilferufe werden lauter.

Eine aktuelle Gefährdungsanzeige aus der Klinik Ottakring zeichnet ein verheerendes Bild. Sie wurde vergangene Woche eingereicht und liegt dem STANDARD vor. Demnach warnen Ärzte vor einem temporären "potenziellen Ausfall" der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Spitals. Das ist jene Anlaufstelle im Krankenhaus, die die Akutversorgung bei Notfällen oder mit der Rettung zugewiesenen Fällen übernimmt. Aufgrund einer Häufung von Kündigungen könne das Dienstrad für Oberärztinnen und Oberärzte an einzelnen Tagen "zukünftig intern nicht mehr besetzt werden", heißt es da.

Sechs Abgänge, zwei Neue im Dienstrad

Seit 2022 soll es in diesem Dienstrad bis inklusive Sommer 2023 zu sechs Abgängen und zwei Neuzugängen gekommen sein. Bereits jetzt könne das Dienstrad der Oberärztinnen und Oberärzte in der ZNA nur besetzt werden, weil andere ärztliche Kollegen in der Klinik Ottakring, die zuvor unter Wilhelminenspital firmierte, aushelfen. Wörtlich steht in der Anzeige: "Im Falle nicht besetzbarer Dienste steht ein kompletter Ausfall der Versorgung kritisch kranker PatientInnen in der ZNA der Klinik Ottakring bevor, der von anderen Krankenhäusern kompensiert werden muss."

Oberärztinnen und Oberärzte übernehmen als Führungspersonen im Tagesgeschehen die Letztverantwortung für die Akutversorgung. Dass sich nicht mehr Allgemeinmediziner sowie Fachärztinnen für Innere Medizin für eine Position als Oberarzt im Dienstrad melden, wird intern im Spital in Ottakring auch dadurch erklärt, dass die hohe Verantwortung und die immense Arbeitsbelastung nicht mit der Entlohnung zusammenpassen.

Österreichweit ist der Fachkräftemangel im Spitalsbereich groß. Eine besondere Herausforderung ist der Personalengpass in der Pflege.
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Engpass in der Pflege

In der Anzeige wird auch auf den Fachkräftemangel in der Pflege und auf die Überlastung des bestehenden Pflegeteams verwiesen – sowie auf einen "nicht nur drohenden, sondern bereits bestehenden Zusammenbruch" der ausreichenden Patientenversorgung. Zwar seien seit einer Gefährdungsanzeige im Dezember 2022 die Rettungszufahrten nach Ottakring temporär reduziert worden. Nach wie vor gebe es aber Situationen mit bis zu zehn Rettungen in weniger als einer Stunde, die die Notaufnahme anfahren. Maximal geplant seien fünf Zufahrten pro Stunde. Damit gehen stundenlange Wartezeiten für Patienten, die sich im Wartebereich der Notaufnahme stapeln, einher.

Die Folge sei eine vermeidbare Gefährdung und in einigen Fällen auch Schädigung von Patientinnen und Patienten durch den Ressourcenmangel in der Versorgung. So sei es Ende Dezember 2022 zu einem "vermeidbaren Herz-Kreislauf-Stillstand" eines Patienten gekommen, weil die Triagezeit überschritten wurde.

Eine andere ältere Patientin musste "6,5 Stunden bis zur ärztlichen Erstbegutachtung auf einer Ambulanzliege warten" – und das mit schmerzhaften Druckgeschwüren am Steißbein. Aufgrund des Pflegemangels sind derzeit zudem knapp 200 der 940 Betten gesperrt – was laut der Anzeige dazu führt, "dass anhaltend PatientInnen trotz Indikation zur stationären Aufnahme entlassen werden müssen".

Seit einer Gefährdungsanzeige im Dezember 2022 wurden die Rettungszufahrten nach Ottakring temporär reduziert. Nach wie vor soll es aber Situationen mit zu vielen Rettungszufahrten geben.
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Ausfall der Notaufnahme steht "nicht zur Diskussion"

Der Wiener Gesundheitsverbund (Wigev) räumt auf STANDARD-Anfrage ein, dass einzelne Dienste des Funktionsoberarztes in Ottakring vor allem in den Sommermonaten noch nicht geplant werden konnten. "Wir arbeiten derzeit an einer Lösung." Im Wigev gehe man aber davon aus, dass bald weitere Ärztinnen und Ärzte für die ZNA gewonnen werden können.

Ein Ausfall der ZNA Ottakring stehe "nicht zur Diskussion". Zudem wird darauf verwiesen, dass in der Ottakringer Notaufnahme im Bereich der Ärztinnen und Ärzte 33 Dienstposten – und damit 88 Prozent – besetzt seien. Vier Dienstposten seien unbesetzt. Der Einsatz von Wigev-externen Ärztinnen und Ärzten ist vorerst nicht angedacht.

134 Ärzte-Stellen im Wigev unbesetzt

Nach der Gefährdungsanzeige hätten mehrere Besprechungen mit Oberärzten und dem Abteilungsleiter der ZNA sowie weiteren Führungskräften stattgefunden. Im Mittelpunkt stünden eine verstärkte Rekrutierung von Fachärztinnen und Fachärzten, eine Attraktivierung des Arbeitsplatzes sowie Entlastungsmaßnahmen.

Insgesamt sind im Wiener Gesundheitsverbund (exklusive AKH) 545 Stellen in der Pflege sowie 134 Stellen für Ärztinnen und Ärzte offen. Spitalsbetreiber in Österreich und ganz Europa seien laut Wigev vom Fachkräftemangel betroffen. (David Krutzler, 17.4.2023)