Mit der neuen Krebsimpfung werden T-Zellen aktiviert, die gezielt mutierte Proteine, die sich auf der Oberfläche von Krebszellen befinden, attackieren.

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Die mRNA-Technologie könnte schon bald auch die Krebstherapie revolutionieren. Das US-Biotech-Unternehmen Moderna hat einen wesentlichen Fortschritt mit einer mRNA-Impfung erzielt. In einer klinischen Phase-II-Studie mit einer immunologischen Behandlung inklusive individuellem mRNA-Vakzin sank die Häufigkeit von Rückfällen bei Melanomerkrankungen um 44 Prozent, teilte das Unternehmen mit.

Die mRNA-Technologie wurde ursprünglich sowohl in Europa als auch in den USA zunächst als mögliche immunologische Therapie gegen Krebs in der Form von Vakzinen entwickelt. Mit der Covid-19-Pandemie wurde das Verfahren dann ab Frühjahr 2020 für Corona-Impfstoffe verwendet und führte mit einer noch nie dagewesenen Schnelligkeit zu wirksamen und breit verfügbaren Vakzinen vor allem zur Verhinderung von schweren Covid-19-Erkrankungen. Nun rückt der ursprüngliche Fokus für diese Vakzine wieder in den Mittelpunkt. Beim Jahreskongress der Amerikanischen Krebsforschungsgesellschaft (AACR) in Orlando im US-Staat Florida stellte Moderna seine neuesten Ergebnisse vor.

Lernen, den Tumor anzugreifen

Krebsimpfstoffe sollen den T-Zellen des Immunsystems beibringen, einen Tumor anzugreifen, indem sie einem Protein oder Antigen ausgesetzt werden, das aus einer Krebszelle herausragt. Die Wirkung der meisten Impfstoffe war allerdings bisher nicht besonders gut, weil die gleichen Antigene, die auf Tumoren gefunden werden, auch auf normalen Zellen vorkommen.

In den frühen 2010er-Jahren, als die Kosten für die DNA-Sequenzierung sanken, wandten sich einige Wissenschafter der Sequenzierung der Mutationen im Tumor eines Patienten zu. Sie entwickelten einen Impfstoff, der jene mutierten Proteine, sogenannte Neoantigene, lieferte, die nur auf den Tumorzellen zu finden sind, wie das Fachblatt "Sciene" berichtet. Mehrere kleine Studien, die seit 2015 veröffentlicht wurden, haben gezeigt, dass Neoantigen-Impfstoffe impfstoffspezifische T-Zellen bei Patienten mit soliden Tumoren wie Melanomen, Dickdarm-, Lungen- und Hirnkrebs stimulieren und zumindest bei Melanomen das Krebswachstum bremsen können

Moderna ist für die Entwicklung dieses Vakzins eine Kooperation mit dem US-Pharmakonzern Merck, Sharp & Dohme (MSD) eingegangen. In der klinischen Studie der Phase IIb (Keynote-942) wurden jedenfalls Hinweise für eine mögliche Wirksamkeit einer für jeden einzelnen Patienten individualisierten Krebsvakzine auf mRNA-Basis bei fortgeschrittener Melanomerkrankung im Stadium III oder IV und nach vollständiger chirurgischer Entfernung des Tumors gesammelt.

Erneutes Wachstum verhindert

Die Ergebnisse liefern den ersten klaren Beweis, dass ein Impfstoff, der auf Mutationen im Tumor eines Patienten abzielt, dessen erneutes Wachstum verhindern kann. Bestätigt sich diese Erkenntnis, wäre das ein Meilenstein auf dem Feld der Krebsimpfstoffe, das seit Jahrzehnten darum kämpft, Ergebnisse vorzuweisen. Es könnte auch den Bereich der Immuntherapien stärken, die das Immunsystem für die Bekämpfung von Krebs nutzen. "Ich war wirklich, wirklich aufgeregt, diese Daten zu sehen", berichtet Patrick Ott vom Dana-Farber Cancer Institute, der an ähnlichen Impfstoffen arbeitet. Obwohl die neue Studie klein ist, sei sie "ein sehr aufregender erster Schritt", bestätigt auch die Krebsimpfstoffforscherin Nina Bhardwaj von der Icahn School of Medicine am Mount Sinai.

In die wissenschaftlichen Untersuchung wurden 157 Patienten mit einem hohen Rückfallrisiko aufgenommen. Von ihnen erhielten 50 die bisherige Standardtherapie mit alle drei Wochen Infusionen (bis zu 18-mal) des sogenannten Checkpoint-Inhibitors Pembrolizumab (MSD). Eine solche Immuntherapie soll das körpereigene Abwehrsystem der Behandelten gegen die Tumorerkrankung stärken. In klinischen Studien mit vergleichbaren Patienten ist damit in den vergangenen Jahren gelungen, die Häufigkeit von fünf Jahren ohne Rückfälle von rund 38 Prozent bei einem Placebo auf 55 Prozent mit Immuntherapie zu steigern. Doch diese Erfolgsquoten will man weiter verbessern.

107 der in der nunmehr vorgestellten wissenschaftlichen Untersuchung aufgenommenen Melanompatienten bekamen Pembrolizumab und zusätzlich noch bis zu neunmal, alle drei Wochen, das Krebsvakzin mRNA-4157 (V940). Jeder Impfstoff wurde nach Gensequenzierung von Melanomzellen aus Gewebeproben individuell für den jeweiligen Probanden produziert. In dem Vakzin können bis zu 34 individuelle Antigene des Tumors abgebildet werden. Dadurch soll nach der Impfung zusätzlich noch eine quasi maßgeschneiderte Abwehrreaktion in Gang kommen.

Signifikant besseres Überleben

Die Ergebnisse sprechen für das Konzept dieser teilweise individualisierten Melanom-Immuntherapie mit einer Kombination eines Checkpoint-Inhibitors und einem mRNA-Vakzin. Der federführende US-Wissenschafter Jeffrey Weber vom Langone Medical Center in New York schreibt in der Zusammenfassung der Untersuchung: "mRNA-4157 (V940) mit Pemprolizumab zeigte ein klinisch signifikant besseres Überleben ohne Rückfälle im Vergleich zur Standard-Pembrolizumab-Therapie bei einer Melanomerkrankung nach Entfernung des Tumors und einem hohen Risiko für das Wiederauftreten der Erkrankung. In der zwei Jahre dauernden Beobachtungszeit sank die Häufigkeit eines Rückfalls oder von Todesfällen um 44 Prozent."

Nach 18 Monaten lebten in der Gruppe mit der Immun-Kombinationstherapie noch 78,6 Prozent der Erkrankten ohne Rückfall. In der Vergleichsgruppe mit nur Pemprolizumab waren es 62,2 Prozent. Das sei der erste derartige Hinweis auf die Wirksamkeit eines mRNA-Krebsvakzins, wurde bei dem Kongress in den USA festgestellt. Moderna und MSD kündigten an, nun rasch eine groß angelegte Phase-III-Wirksamkeitsstudie mit Melanompatienten zu starten. Gleichzeitig soll dieses kombinierte Behandlungskonzept auch bei anderen Krebserkrankungen und in früheren Stadien von Krebsleiden erprobt werden.

Entwicklungsschub für Immuntherapeutika

Erfreulich ist außerdem, dass der Impfstoff unabhängig von der Anzahl der Mutationen des Melanom-Tumors wirkt. Das deutet darauf hin, dass er auch bei Krebsarten mit weniger Mutationen funktionieren könnte. Weniger Mutationen bedeutet, dass sich der Tumor von gesunden Zellen weniger gut unterscheidet. Deshalb wirken Immuntherapeutika bei solchen Tumoren tendenziell weniger gut.

Eine größere Studie, die später in diesem Jahr beginnt, soll aufzeigen, ob der Impfstoff tatsächlich lebensverlängernd ist für Patientinnen und Patienten. Im Moment "sind dies faszinierende frühe Erkenntnisse", sagt die Immuntherapieforscherin Suzanne Topalian von der Johns Hopkins University. Wie andere Forschende hofft sie auf mehr Details. Das wäre etwa der Beweis, dass jene Patienten, die gut abgeschnitten haben, T-Zellen produziert haben, die für die Neoantigene spezifisch sind, und nicht nur einen Immunschub durch die Nanopartikel des Impfstoffs erhalten haben. (APA, kru, 17.4.2023)