Eigentlich ist an Singapur alles eine Spur zu groß. Nur in Tiong Bahru hat sich eine menschliche Dimension erhalten. Das Viertel ist die älteste Plansiedlung der Stadt, die Briten errichteten es in den 1920er-Jahren und gaben sich bei den rund 30 Apartmenthäusern noch richtig Mühe. Runde Balkone, symmetrische Treppen, weiß gestrichene Fassaden, das ist der vielleicht beste Versuch, den Bauhaus-Stil in den Subtropen aufzugreifen.

Typisch Tiong Bahru: Bauhausfassaden, Vespas und Fixies.

Heute steht Tiong Bahru unter Denkmalschutz, in viele Erdgeschoße sind Geschäfte, Bars und Cafés eingezogen. Am Wochenende trifft sich hier das junge, etwas alternative Singapur, um Fixies auszufahren und exotische Kaffeekreationen zu genießen. Traditioneller Charme trifft auf moderne Weltgemeinschaft, wenigstens kulinarisch.

In der Tiong Bahru Bakery gibt's Croissants und andere französische Backwaren.

Im Marktgebäude bieten auf zwei Etagen alteingesessene Händler und junge Foodies Spezialitäten an – von handgemachten Fischkugeln über Reisküchlein mit schwarzen Bohnen bis hin zu Eier-Porridge mit Hühnchen. Drei oder vier Singapur-Dollar für einen Teller sind auch in Singapur unverschämt günstig. Der Markt ist der Wochenend-Treffpunkt, und bei schönem Wetter kann man auf der Terrasse unter Sonnenschirmen die drumherum wachsende Skyline und die Streetart im Innenhof bewundern.

Französische Einflüsse

Extrem beliebt bei Locals und Expats ist die Tiong Bahru Bakery – ein Frühstückscafé mit französischen Einflüssen. Das Ecklokal hat der französische Koch Gontran Cherrier erdacht. Tatsächlich wähnt man sich ein wenig in Paris anhand der überwältigenden Auswahl von Croissants und Küchlein. Nur sitzen Gäste draußen in subtropischer Wärme und können aus Kreationen mit asiatischen Einflüssen wählen – Tintenfisch-Baguette mit geräuchertem Lachs oder Kimchi-Pfannkuchen als Burgerzutat. Der Kaffee kommt aus der Rösterei 40 Hands, die nur ein paar Meter weiter ihr Hauptquartier betreibt.

The Butcher's Wife funktioniert wie ein New Yorker Bistro.

Im Butcher’s Wife geht die kulinarische Reise weiter. Erster Hingucker im Restaurant: eine lange Theke mit Showküche und Bar. Das ökologisch geführte Lokal bietet glutenfreie Küche aus Europa und Naturweine an. Es ist der geglückte Versuch, das Konzept eines New Yorker Bistros in Südostasien anzusiedeln. Portobello-Pilze mit Süßkartoffelpüree und Ricotta, Avocadosalat mit Krabben, im Holzofen gegrillter spanischer Oktopus mit weißem Kimchi. Es gibt wenige Orte, an denen die Fusionsküche so viel Sinn macht wie in Tiong Bahru. (Ulf Lippitz, 24.4.2023)