Das Archivfoto zeigt Taucher bei der Bergung von Teilen des A330-Flugzeugs der Air France, das 2009 über dem Atlantik abstürzte.

Foto: APA / AFP / BRAZILIAN NAVY / HANDOUT

Es war eine der schwersten Katastrophen der zivilen Luftfahrt: Am 1. Juni 2009 stürzte eine Air France-Maschine auf dem Flug von Rio de Janeiro nach Paris bei einem nächtlichen Unwetter in den Atlantik. Alle 228 Fluggäste, darunter 72 Franzosen, 58 Brasilianer und 28 Deutsche, sowie die Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.

Die Absturzursache war von Beginn weg heftig umstritten, blieb aber lange ungeklärt. 2011 stieß eine Unterwasserkamera in 3.900 Meter Tiefe endlich auf das Wrack. Auch der Flugschreiber und Stimmenrecorder wurden sichergestellt. Nach der Auswertung schloss das weltweit tätige Fluguntersuchungsbüro BEA auf eine unglückliche Verkettung der Umstände: Die Pitot-Sonden vereisten, worauf die Piloten falsche Signale erhielten. Der Airbus 330 verlor an Geschwindigkeit, doch im Cockpit wurde das zuerst nicht einmal registriert. Als es zu einem kompletten Strömungsabriss – im Jargon "stall" genannt – kam, war es zu spät. Vier Minuten und 23 Sekunden nach dem ersten Notsignal stürzte die Maschine in die schwarzen Wellen.

Co-Piloten reagierten falsch

Das Pariser Strafgericht übernimmt in seinem Verdikt weitgehend die BEA-Sicht. Es spricht zwar von "Fehlern" von Airbus und Air France, sieht aber "keinen sicheren Kausalzusammenhang" mit dem Absturz. Auch die Staatsanwaltschaft hatte auf einen Freispruch der zwei wegen "fahrlässiger Tötung" angeklagten Unternehmen plädiert: Airbus habe in seinen Lehrprogrammen ausgeführt, wie sich das Cockpit-Personal bei einem Ausfall der Pitot-Sonden hätte verhalten sollen, hieß es; und Air France habe seine Piloten ausreichend ausgebildet. Das Fehlverhalten liege bei den Piloten, die von der Notlage überfordert gewesen seien. Der erfahrenste Pilot im Cockpit habe zudem zur Unglückszeit geschlafen; die beiden Co-Piloten hätten falsch reagiert.

Die Angehörigen waren vom Urteil wenig überrascht. Danièle Lamy vom Opferverein AF447 sagte, das Urteil sei nicht unparteiisch: "Wir sind angewidert. Nach 14 Jahren Warten bleiben nur Verzweiflung, Konsternation und Wut." Ein deutscher Hinterbliebener sagte gegenüber Presseagenturen, er sei schon froh, dass es überhaupt zu einem Prozess gekommen sei. Die 500 Nebenkläger hatten jahrelang dafür kämpfen müssen. Einmal war das Verfahren war sogar eingestellt worden, bis ein Berufungsgericht den Prozess doch noch anordnete. Pariser Medien berichteten immer wieder über Druckversuche von Air France und Airbus, die in Paris über ausgebaute Beziehungsnetze verfügen.

Emotionale Momente

Die neunwöchige Verhandlung war für die Angehörigen eine harte Prüfung. Franzosen und Brasilianer buhten die Verteidigung öfters aus, wenn sie die Crew allein verantwortlich machte. Allerdings erklärte auch der unabhängige Flugingenieur Hubert Arnould, das Unglück "hätte sich vermeiden lassen, wenn die Piloten den Sturm umflogen hätten", wie es an jenem 1. Juni 2009 alle anderen Flugzeuge zwischen Rio und Paris getan hatten. "Die Vereisung der Sonden kommt vor, das ist für einen Piloten an sich keine Katastrophe", fügte der Fachmann an.

Auch sonst gab es während des Prozesses emotionale Momente. Die auf dem Stimmrecorder hörbaren Panikschreie im Cockpit wurden nur hinter verschlossenen Gerichtstüren abgespielt. Angehörige brachen in Tränen aus, als der heute pensionierte Gendarmerie-Obert Xavier Mulot ausführte, dass es unmöglich gewesen sei, das ganze Flugzeug und damit alle Opfer aus einer Tiefe von fast 4.000 Metern zu hieven. "Wir konnten nur die Passagiere bergen, die noch an ihren Sitzen angeschnallt waren", berichtete er mit gebrochener Stimme. "Die anderen mussten wir auf dem Meeresgrund lassen." (Stefan Brändle, 17.4.2023)