Pointiert und selbstironisch-augenzwinkernd kommentiert Ralf König in seinen Comics den Alltag der schwulen Subkultur. Was in den Achtzigern als Nischenprogramm begann, war spätestens mit "Der bewegte Mann" auch außerhalb der queeren Community beliebt. Die Verfilmung des Comics 1994 mit Til Schweiger in der Hauptrolle wurde zum großen Kinoerfolg. In seinem neuen Comic befasst sich Ralf König mit der Kultband Abba. Ein Gespräch über passende Musik zum Sex, männliche Brustwarzen, Verklemmtheit und Hypochondrie.

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Comiczeichner Ralf König in seiner Kölner Wohnung.
Foto: Marcus Simaitis / laif / Picturedesk

STANDARD: Herr König, wissen Sie noch, was Sie am 4. 11. 2021 getan haben?

Ralf König: Oh, bitte nicht solche Fragen! Mein Zahlengedächtnis ist nicht das Beste. Ich merk mir nicht mal meine Schuhgröße.

STANDARD: Ihr neuer Comic "Abba Hallo!" beginnt mit diesem Tag, als das erste Abba-Album seit beinahe 40 Jahren erschienen ist.

König: Ach so, klar! Da bin ich tatsächlich sofort morgens losgelaufen und hab mir die CD gekauft. Ich habe vorher vermieden, mir die zwei bereits online erschienenen Lieder anzuhören. Am Abend habe ich das Album dann gemütlich mit einer Kräuterzigarette und einem Glas Sekt zum ersten Mal gehört. Ich fand es berührend, dass sich die vier noch mal zusammengetan haben.

STANDARD: In Ihrer Jugend haben Sie Patti Smith verehrt. Gab es neben der Rockmusikerin noch Platz für eine Popgruppe?

König: Mit Abba verbinde ich eine sehr lange Geschichte. Wie im Comic gezeichnet, erinnere ich mich an eine Szene, wie ich als kleiner Junge mit meiner Mutter zu Abba im Wohnzimmer getanzt habe! Mein immer schlecht gelaunter Vater war nicht zu Hause, es gab nur uns zwei, und das war selten, dass meine Mutter so ausgelassen war. Ich hab ihr auch mal zum Muttertag die Single Fernando geschenkt, mit diesem Cover, wo die Band um ein Lagerfeuer sitzt – die hab ich mir eigentlich selbst geschenkt, aber sie tat so, als wenn sie sich freut. Danach kamen erst mal Deep Purple und Pink Floyd, da waren Abba einige Jahre uncool. Später habe ich sie wiederentdeckt. Man hat ja erst im Nachhinein verstanden, dass das keine Durchschnittsware war.

STANDARD: Waren Sie schon bei den Avatar-Konzerten in London?

König: Ich habe vor, mir das demnächst anzusehen. Obwohl ich anfangs skeptisch bin, ob diese tanzenden Glühbirnen – wie ich sie nenne – Konzertfeeling erzeugen können. Ich kann mir nur schwer vorstellen, Projektionen zuzujubeln, aber ich hoffe auf eine super Party! Es ist ein bisschen gruselig: Da stehen die jung und knackig auf der Bühne, besonders Benny fand ich ja damals sehr sexy, aber man könnte durch sie hindurchfassen.

STANDARD: In Ihren Comics ist schwule Sexualität ein wichtiger Bestandteil. Noch besser, als die Band live zu sehen, ist Sex zu Abba-Musik?

König: Nein, das ginge gar nicht! Dann lieber Sex zu Knabenchören. In der christlichen Musik aus der Renaissance geht es viel um Hingabe, Schmerz und Erlösung. Passt bestens zu SM! Ansonsten Sex lieber ohne Musik. Ich weiß noch, in den Achtzigerjahren war’s mal Mode, zu Bolero von Ravel Sex zu haben. Das kam in einem Film mit Bo Derek vor. Ich habe das kürzlich in einem meiner Online-Comics erwähnt und bekam viele Facebook-Reaktionen von Leuten, die sich offenbar peinlich berührt wiedererkannten.

STANDARD: Bereits bei Ihren ersten Zeichenversuchen spielte Erotik eine Rolle. Als Jugendlicher malten Sie den Helden in den Büchern Brustwarzen.

König: Klassische männliche Comicfiguren wie Asterix, Prinz Eisenherz oder Lucky Luke hatten keine Nippel, ich weiß nicht, warum. Ist vielleicht ein Tabu. Viele vor allem heterosexuelle Männer wissen gar nicht, was sie da haben. Ist halt ein Überbleibsel aus der Evolution, kommt keine Milch raus, kann weg. Ich hatte in meiner frühen Pubertät ein paar Tage, da schwollen meine Nippel seltsam an und wurden sehr empfindlich. Ich hatte voll Schiss, dass mir Brüste wachsen würden und wie ich das meinen Eltern erkläre. Sehr verstörend. Schwollen dann wieder ab, und danach hatte ich mein Leben lang viel Spaß damit.

STANDARD: Als Sie in den 80er-Jahren anfingen zu zeichnen, kamen Penisse nur in Pornos vor ...

König: Nein, es gab schon den Underground-Stoff von Robert Crumb und S. Clay Wilson. Bei denen waren die Pimmel noch dicker als bei mir und weniger lustig.

STANDARD: Heute zeigen sich Darsteller in Serien wie "Euphoria" oder "The White Lotus" freizügig, gibt es Sex in allen Facetten. Gefällt Ihnen das?

König: Ach, ein bisschen Verklemmtheit und Schamgefühl kann ruhig bleiben, sonst könnte man ja nicht daran kratzen. Mitte der 90er lag mein Buch Bullenklöten auf dem Tisch der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, weil das Bayerische Landesjugendamt einen Indizierungsantrag gestellt hatte. Damit kamen sie nicht durch, und seitdem zeichne ich problemlos Pimmel, wenn sie dramaturgisch für die Geschichte sinnvoll sind. Es sei denn, ich zeichne meine täglichen Comics für Facebook.

STANDARD: Da kriegen Sie sofort eine Verwarnung.

König: Ärgerlich, wie sich damit doch noch die Zensur einschleicht. Auch beim Vokabular. Das Wort "Tunte" läuft bei Facebook unter Hassrede. Aber ich war selbst eine Weile mit einer Tunten-Theatertruppe auf der Bühne, oder es gab damals den Hamburger Tunten- und Narzissenball.

STANDARD: Und das Wort ist nicht herabsetzend?

König: War ein Schimpfwort, wie auch "schwul" zu Anfang, aber wir haben es aus der Schmuddelecke geholt und neu eingetopft. Sobald ich es in die Sprechblase schreibe, ermahnen mich die Facebook-Roboter und kürzen zur Strafe meine Reichweite. Facebook versteht ja keine Ironie oder Satire.

STANDARD: Und die Gesellschaft?

König: Die Gelassenheit und die schöne Volkskunst des Augenzwinkerns gehen langsam verloren, fürchte ich. Aber ich bin mit über 60 nun auch ein weißer alter Mann. Wenn ich in der Zeitung lese, dass der Kölner Karnevalsklassiker Blootwoosch, Kölsch und e lecker Mädsche zur politisch korrekten Debatte steht, hört man mich kurz stöhnen. Ich werde den Teufel tun, mir dieses oder jenes zu verkneifen. Was nicht heißt, dass ich manchen alten Comic heute nicht anders machen würde.

STANDARD: Was würden Sie unterlassen?

König: Ich habe vor ein paar Jahren für eine Hauswand in Brüssel in einer Knollennasen-Gruppe einer schwarzen Lesbe dicke rote Lippen gezeichnet. Weil bei mir alle Figuren mit Lippenstift dicke rote oder rosa Lippen haben, egal ob Frau oder Dragqueen. Mir wurde vorgeworfen, dass ich mit den Lippen ein kolonialistisches Klischee von Schwarzen bediene. Okay, ich sehe ein, dass das unbedacht war.

STANDARD: Sie stammen aus der alternativen Szene. Hat Sie der Vorwurf getroffen?

König: Er hat mich geärgert, weil die, die mir Rassismus oder Transphobie unterschieben wollen, wahrscheinlich noch nie ein Buch von mir gelesen haben.

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Ralf König wurde 1960 in Westfalen geboren. 1981 brachte er sein erstes Comicbuch heraus. Zuletzt erschien "Abba Hallo!".
Foto: Marcus Simaitis / laif / Picturedesk

STANDARD: Können Sie mit dem Begriff "queer" etwas anfangen?

König: Als Überbegriff, ja, ich würde allerdings nie sagen: Ich bin ein queerer Künstler. Ich bin schwul, fühle mich auch nicht beauftragt, zu allem, was in der LGBTQ*- Szene los ist, was von mir zu geben. Bei mir geht’s vorrangig um schwule Männer, da kenn ich mich aus. Bei Lesben oder Transpersonen habe ich diese Sicherheit nicht.

STANDARD: Mittlerweile sind Sie 62, wie verändert sich Sex im Alter?

König: Es ist kein Vergleich zu dem, was vor 20 oder 30 Jahren los war. Gut, dass ich meine Comicfiguren habe, denen kann ich einiges an Frust und Peinlichkeiten überstülpen. Die Midlife-Crisis begleitet einen ja womöglich bis zur Urne. Sex ist Energie und Lebensfreude. Man steht mit 60 üblicherweise nicht mehr vor der Kneipe, begegnet jemandem, der einem kurz in die Augen guckt, und springt wenig später mit ihm auf die Matratzen. Immerhin fehlt dazu auch die Lust irgendwann.

STANDARD: Ist doch schön, wenn die Libido nicht den Alltag bestimmt.

König: Schön? Ich empfand Notgeilheit immer als einen wunderbaren Zustand.

STANDARD: Dienen Geschichten Ihnen als Ersatzbefriedigung?

König: Das mit den Comics war wohl immer ein bisschen Therapie. Schon zu Coming-out-Zeiten, als ich jung war. Nur nicht den Humor verlieren! Meine Strips lesen auf Facebook morgens etwa 40.000 Leute, und da meine Comicfiguren Konrad und Paul mit mir älter werden, ist das Verständnis in den Kommentarleisten groß. Gelassenes Älterwerden ist den wenigsten gegeben. Die meisten denken: Oje, was wird aus mir? Es wird ja nicht besser, wenn ich mir meine über 90-jährigen Eltern ansehe …

STANDARD: Wovor fürchten Sie sich?

König: Mein Vater sitzt und liegt nur noch rum, kann kaum noch hören und sehen. Herzschrittmacher, schön und gut, aber es führt dazu, dass die Menschen sehr alt werden und in einem längst verfallenen Körper ausharren müssen. Ich denk dabei immer an den Film Harold and Maude. Maude beschließt an ihrem 80. Geburtstag, dass es reicht, bevor es schlimm wird, und will sich entspannt das Leben nehmen. Unglücklicherweise versaut Harold dann alles.

STANDARD: Ihr Vater war nach Ihrem Coming-out vor allem besorgt, weil er dachte, Sie würden im Alter einsam sein. Hat er recht behalten?

König: Ich habe einen fröhlichen und inspirierenden Freundeskreis in Köln. Abgesehen davon bin ich gern auch allein und mach mein Ding. Im Moment habe ich auch keinen Partner, mein letzter Freund und ich haben uns vor knapp zwei Jahren einigermaßen entspannt getrennt, nach elf Jahren. Ob mir noch mal jemand über den Weg läuft, mal sehen. Was mein Vater befürchtet hat, muss man aus der Situation der 70er-Jahre heraus verstehen. Damals gab es im ostwestfälischen Dorf nur den einsamen älteren Mann in der Kneipe, der an der Theke saß und uns Jungs manchmal hinterherkam, wenn wir pinkeln gingen. Der machte nichts, der guckte nur schief rüber. Das war halt mein erstes Bild von einem Schwulen, und so etwas meinte mein Vater wohl.

STANDARD: Entdeckt hat er Ihr Schwulsein, als er ein Buch von Rosa von Praunheim in Ihrem Regal fand. Allerdings hat er nicht mit Ihnen geredet, sondern mit Ihrer Mutter geschimpft. Wie lautete sein Vorwurf?

König: Keine Ahnung. Wenn ich etwas ausgefressen hatte, bekam nicht ich die direkte Schelte von meinem Vater, sondern er motzte meine Mutter an, und die erwähnte Wochen später weinerlich, dass Vater sie wegen mir ausgeschimpft hätte. Das war natürlich für die Konfliktfähigkeit eines Kindes nicht vorteilhaft. Wohl deshalb kann ich heute schlecht mit Leuten streiten, ich gehe verbalen Konflikten gern aus dem Weg.

STANDARD: Außerdem sind Sie bekennender Hypochonder. Für Sie müssen die letzten Jahre durch die Corona-Pandemie ziemlich schlimm gewesen sein.

König: Nein, ganz im Gegenteil, das war die entspannteste und kreativste Zeit meines Lebens! Wie gesagt, ich wohne gern allein. Ich habe beim ersten Lockdown mit Vergnügen zum ersten Mal diese Online-Comics gezeichnet, draußen war Ruhe und Frühling, Köln war ein stiller Luftkurort! Ich hatte keine Angst, mich zu infizieren. Muss aber dazu sagen, ich gehöre zu denen, die in den 80er- und 90er-Jahren die Aids-Krise miterlebt haben. Wir haben gesehen, wie junge Männer qualvoll starben, überall diese eingefallenen Wangen und die blanke Verzweiflung in den Augen. Das habe ich viel, viel schlimmer in Erinnerung als Corona! (RONDO, Ulf Lippitz, 25.4.2023)