Der Abguss eines Menschen blickt nachdenklich über den Arlberg: Nicht nur an Antony Gormleys "Horizon Field" scheiden sich die Geister.

Foto: Markus Tretter/ A. Gormley/ Kunsthaus Bregenz

Zwei Jahre lang versetzten die Eisenmänner vom Arlberg unzählige Menschen in Staunen, Horizon Field hatte der britische Künstler Antony Gormley seine von Kunsthaus Bregenz initiierte Landschaftsinstallation getauft, die sich über ein Gebiet von 150 Quadratkilometern über das Klostertal, den Arlberg, das Kleinwalsertal und den Bregenzerwald erstreckte. Von den hundert lebensgroßen Abgüssen eines menschlichen Körpers aus massivem Gusseisen, die auf einer Höhenlinie von 2039 Metern über dem Meer wie stumme Wächter aus der Hochgebirgslandschaft ragten, ist nur eine übrig geblieben, sie steht bis heute bei der Kriegeralpe in Lech. Die restlichen 99 Skulpturen wurden 2012 abgebaut.

Zeitgenössische Ikone

Der private Verein Horizon Field hatte sich schon damals vergeblich um den Verbleib der Installation in Vorarlberg bemüht. Elf Jahre später setzt der Verein, auf dessen Initiative zwischenzeitlich auch der Skyspace Lech von James Turrell realisiert wurde, zu einem neuen Versuch an: Gormleys Horizon Field sei eine "Ikone der zeitgenössischen Kunst" und habe "das Verhältnis von uns Menschen zur Natur auf einzigartige Weise erfahrbar" gemacht, so Vereinsobmann Otto Huber. Die künstlerische Botschaft sei "relevanter denn je", auch deshalb sollen die Eisenmänner ins Vorarlberger Hochgebirge zurückkehren.

In der Region stößt das Vorhaben allerdings nicht nur auf Gegenliebe, Umweltschutzorganisationen kritisieren unter anderem die für die Wiederaufstellung notwendigen Helikopterflüge, auch die Vorarlberger Naturschutzanwältin Katharina Lins zeigt sich gegenüber dem STANDARD skeptisch und verweist darauf, dass es "nur noch sehr wenig unverstellte Berglandschaft gibt". Gleichzeitig seien künstlerische Vorhaben im alpinen Raum zuletzt "sehr populär geworden". Kunstprojekte als invasive Arten? Die Debatte geht aus Sicht der Naturschutzanwältin jedenfalls über das Horizon Field hinaus und berührt die grundsätzliche Frage, wie viel Eingriffe der vom Menschen bereits stark überformte Naturraum verträgt, auch vonseiten der Kunst.

Diese Frage ist auch gar nicht neu, man denke bloß an die Widerstände, von denen viele Projekte des Künstlerpaares Christo & Jeanne-Claude begleitet waren. Insbesondere der hochalpine Raum wird immer wieder zur Konfliktzone. Als der chinesische Künstler Ai Weiwei 2010 im Rahmen der steirischen Regionale einen tonnenschweren Felsbrocken aus der von einem verheerenden Erdbeben getroffenen Provinz Sichuan auf den Dachstein fliegen ließ, sah sich der Österreichische Alpenverein veranlasst, vor der "rasanten Zunahme derartiger hochalpiner Gipfelinszenierungen" zu warnen.

Ein lila Alpengipfel

Der im Jahr 2020 in den Ötschergräben realisierte Cliffhanger des österreichischen Kollektivs Steinbrener / Dempf & Huber – eine in eine Steilwand montierte Touristeninformation – hätte eigentlich am Wilden Kaiser in Tirol realisiert werden sollen, was an den strengen Bestimmungen im Tiroler Naturschutzgesetz scheiterte. Anlass für den entsprechenden Sonderparagrafen waren einst wohlgemerkt keine künstlerischen Vorhaben, sondern die Bestrebungen von Unternehmen, die Berge als Werbefläche zu nutzen. Der Tiroler Umweltanwalt Johannes Kostenzer erinnert sich zum Beispiel an die Idee eines Schokoladeherstellers, den Wilden Kaiser in der Farbe Lila zu beleuchten.

Was die Kunst betrifft, war von den Südtiroler Dolomiten bis in die Schweizer Alpen in den vergangenen Jahren durchaus ein starker Zug ins Freie zu verzeichnen. Die alpine Landschaft wird vielerorts zur Bühne, um das Verhältnis zwischen Menschen und Natur künstlerisch zu verhandeln. Freilich blieben auch die touristischen Effekte von Landschaftskunstprojekten nicht unentdeckt.

"Präzise Akupunktur"

In der aktuellen Vorarlberger Debatte unterstreicht Vereinsobmann Huber die Einzigartigkeit von Gormleys Horizon Field, das der Künstler selbst einmal als "präzise Akupunktur der Landschaft" bezeichnet hat. Die von Umweltverbänden vorgebrachten Bedenken seien aber "durchaus Argumente, die man ernst nehmen muss", sagt Huber.

Der Verein suche den Dialog, zumal sich auch Gormley wünsche, "dass wir das mit maximaler Akzeptanz umsetzen". Da die 2010 errichteten Fundamente für die Skulpturen noch vorhanden seien – sie wurden nach 2012 zugeschüttet und renaturiert –, sei eine "relativ umweltschonende Wiederaufstellung" möglich, zudem wolle man "ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept" erarbeiten. Finanziert werden soll das Projekt übrigens via Crowdfunding und durch Sponsorengelder. Zunächst braucht es dafür aber eine naturschutzrechtliche Bewilligung. (Ivona Jelcic, 18.4.2023)