Im Kampf um die Frage nach dem Umgang mit dem Wolf ist die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler wieder einmal ins Visier des Koalitionspartners geraten. Drei Tiroler ÖVP-Nationalratsabgeordnete werfen ihr vor, nicht im Interesse Österreichs, sondern "rein ideologisch geprägt" zu agieren. "Wenn man sich schon auf europäischer Ebene für einen strengen Schutz des Wolfes einsetzt, sollte man sein Handeln auch ordentlich inhaltlich begründen können", kritisieren Franz Hörl, Josef Hechenberger und Hermann Gahr gegenüber der Austria Presse Agentur (APA) die grüne Politikerin.

Sie bedaure die ständige Kritik an der Umweltministerin, sagt die grüne Nationalratsabgeordnete Astrid Rössler im Gespräch mit dem STANDARD. Die Kritik sei "nicht zu Ende gedacht" und deshalb nur "mittelintelligent". Sie appelliere an die ÖVP, "gemeinsam eine möglichst rasche Lösung zu finden", anstatt zu polarisieren.

Anlass für den schwarzen Vorstoß: die Beantwortung einer von den dreien Mitte Februar eingebrachten schriftlichen parlamentarischen Anfrage an Gewessler, deren Beantwortung nun vorliegt.

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) sieht sich wieder einmal mit ÖVP-Kritik an ihrer Linie in der Wolfsdebatte konfrontiert.
Foto: Heribert Corn

In dieser Anfrage nahmen die Abgeordneten Bezug auf ein Schreiben, das Gewessler gemeinsam mit elf Amtskolleginnen und Amtskollegen Anfang des Jahres an die EU-Kommission gerichtet hatte. Darin kritisierte die Gruppe eine rechtlich nicht bindende Resolution des EU-Parlaments vom November, in der die Mehrheit der EU-Abgeordneten eine "Überprüfung des Schutzstatus von Wölfen" fordert.

Schäden an Nutztieren seien bei der Koexistenz mit Großraubtieren unvermeidlich, hieß es im Schreiben. Der Vorschlag von Gewessler und Co: ein "strenger Schutz" gepaart mit einem "wirksamen System von Präventivmaßnahmen, gerechten Entschädigungen, aber auch der Kommunikation mit Experten, den betroffenen Akteuren und der Öffentlichkeit". Derzeit leben schätzungsweise bis zu 30.000 Wölfe in Europa.

Nun sind es insbesondere drei Punkte, die Hechenberger, Gahr und Hörl an Gewesslers Anfragebeantwortung kritisieren.

Punkt 1: Prävention und Herdenschutz

So sei sie etwa die angesprochenen "wirksamen Präventionsmaßnahmen" in ihrer nunmehrigen Anfragebeantwortung im Parlament säumig geblieben, prangerte der Tiroler Landwirtschaftskammerpräsident Hechenberger an. Diverse Herdenschutzprojekte, etwa in Osttirol, hätten keine Erfolge gebracht – "im Gegenteil": Trotz Wolfshalsbands seien dort einige Schafe getötet worden.

Die Forderung der ÖVP, den Schutzstatus des Wolfes auf europäischer Ebene zu senken, löse das Problem doch auch nicht, betont indes Rössler. Die Partei streue damit "den Bäuerinnen und Bauern Sand in die Augen" und verweigere sich der Debatte. "Es ist bedauerlich." Außerdem gebe es sehr wohl Ansätze zum Herdenschutz, die funktionierten, argumentiert Rössler. So habe man etwa mit Kursen, Ausbildungen und fachlichem Austausch Erfolge erzielt. Von anderen Ländern wie Italien und der Schweiz könne man lernen.

Punkt 2: Blick für das große Ganze

Gahr, seines Zeichens auch Sprecher der Tiroler VP-Abgeordneten, stößt sich indes vor allem daran, dass Gewessler Wölfe "nicht im gesamteuropäischen Kontext" sehe, sondern zwischen einzelnen Populationen unterscheide. "Die Aufsplittung in einzelne kleine Populationen hat keinen Sinn, da die Tiere nachweislich wandern. Wölfe kennen keine Grenzen", meint Gahr.

Auch Rössler fordert den Blick aufs große Ganze. Sie versteht darunter aber eine "Allianz zwischen Naturschutz und Landwirtschaft". "Eine Infragestellung des Schutzstatus hilft niemanden, wir brauchen aber eine funktionierende Almwirtschaft", unterstreicht die grüne Politikerin mit Verweis etwa auf Erosionsschutz und Biodiversität.

Punkt 3: Biodiversität und der Tourismus

Tirols Wirtschaftsbundchef und Tourismussprecher Hörl stieß sich indes an Gewesslers Behauptung, der Wolf würde sich positiv auf die Biodiversität auswirken. "Wie kann durch die Rückkehr der Wölfe die Biodiversität gefördert werden, wenn doch viele Bäuerinnen und Bauern bei weiterer Ausbreitung die Bewirtschaftung aufgeben werden", fragt er sich. Gewessler habe außerdem auch nicht Bezug auf die Frage genommen, "wie Freizeitwirtschaft und ein Tourismus mit solchen Herdenschutzprojekten (Zäune, Herdenschutzhunde) funktionieren soll".

Schwarzes Lob für Totschnig und Tirol

Lobende Worte fanden die drei indes für Gewesslers Regierungskollegen, den Osttiroler Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig. Auch dieser beteiligte sich am Gezerre um den Wolf auf dem EU-Parkett, setzte sich aber für die Senkung des Schutzstatus auf europäischer Ebene ein. "Erfolgreich", wie Hechenberger, Gahr und Hörl finden. Im Agrarrat hätten sich schließlich bereits 16 Mitgliedsstaaten Österreich angeschlossen.

"Auch wenn es Ministerin Gewessler anders sieht, die Rückkehr der Wölfe führt in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU zu immer größeren Problemen", argumentieren die Abgeordneten. Die EU sei jetzt am Zug. Gemeinsam werde man weiter dafür kämpfen, dass die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH), die bereits über 30 Jahre alt sei, überarbeitet wird.

Allein in Tirol wurden im vergangenen Jahr 19 Wölfe nachgewiesen.
Foto: Jason Connolly/APA

Lob gab es auch für das Heimatbundesland. In Tirol beschloss eine breite Landtagsmehrheit mit Ausnahme der Grünen im Februar eine Gesetzesnovelle zum Jagdgesetz. Der Abschuss von Problem- und Risikowölfen wurde per Verordnung möglich und dadurch erleichtert. Die schwarz-rote Landesregierung sprach offen von einem juristischen Grenzgang, Naturschutzorganisationen von einem EU-Rechtsbruch.

Im vergangenen Jahr wurden allein in Tirol 19 Wölfe und drei Bären nachgewiesen. Die Nutztierverluste stiegen im Vergleich zum Vorjahr um die Hälfte. 413 Weidetiere wurden getötet, 527 gelten als vermisst. Das Land beziffert den entstandenen Schaden auf 235.000 Euro. (Maria Retter, 18.4.2023)