Die Inszenierung von Kriegsspielen ist mannigfaltig – während viele auf einen realistischen Stil setzen, ist die "Advance Wars"-Serie historisch mit einem Comic-Look groß geworden.

Foto: Nintendo

Um gleich dem direkten Sprung in die Kommentare vorzubeugen: Der Autor dieser Zeilen würde "Advance Wars" keinesfalls die Verniedlichung von Kriegshandlungen vorwerfen. Dennoch war es überraschend, als Nintendo im März 2022, also kurz nach dem Beginn des Krieges in Europa, mitteilte, dass man aufgrund "der aktuellen Ereignisse" die vorgesehene "Veröffentlichung" im April 2022 nicht einhalten wolle. Offenbar sah man beim japanischen Unterhaltungskonzern die Veröffentlichung eines Kriegsspiels, so kindlich es auch aufgezogen sein mag, damals als unpassend.

Nach einer nochmaligen Verschiebung wird das Sammelpaket aus den ersten beiden "Advance Wars"-Teilen – die Serie gibt es bereits seit 35 Jahren auf den diversen Nintendo-Konsolen – nun am Donnerstag erscheinen. Der Krieg in Europa läuft weiterhin, weshalb der Titel möglicherweise nicht von einer großen Marketingkampagne begleitet wird. Aber gut, rundenbasierte Strategietitel sind in der Spielegegenwart ohnehin eine Nische, die wohl nur ihr Stammpublikum erreichen wird und keine "Fortnite"-artigen Verbreitungszahlen anstreben und damit wohl keine großen Marketingsbudgets argumentieren kann.

Wie real dürfen Kriegsspiele sein?

Nun haben es Spiele, die sich mit kriegerischen Auseinandersetzungen beschäftigen, im allgemeinen Diskurs generell schwer. Speziell Shooter sehen sich immer wieder in der Kritik, weil die Kriegshandlungen sehr aktiv und primär unkritisch erlebt werden. Aber auch Strategiespiele mit realen Settings müssen sich gelegentlich rechtfertigen, wenn man in einem Teilabschnitt des Spiels auch in die Rolle der Achsenmächte schlüpfen darf.

Dabei ist es der Literatur sehr wohl bekannt, dass Tabus faszinieren, speziell Kinder und Jugendliche. "Jugendliche interessieren sich auf der Suche nach ihrem persönlichen Welt- und Menschenbild naturgemäß für die Extreme menschlicher Existenzformen", erklärte die Gesundheitspsychologin Christine Tschötschel-Gänger in einem Gastbeitrag auf der Plattform whywar.at. Dazu gehöre neben dem Staunen über besonders sportliche oder wissenschaftliche Leistungen auch das Ausloten, zu welcher Grausamkeit oder Unterwerfung der Mensch im Krieg und bei Gewaltexzessen bereit ist.

Der "Spiegel"-Redakteur Theodor Ziemßen schrieb schon 2016, dass sein Sohn "besessen vom Töten" sei, weil er lachend auf Ameisen getreten war und begeistert von einem explodierenden Hamburg erzählt hatte. Erst später relativiert er seine Sorge im Text, nachdem er in der eigenen Vergangenheit gegraben und dort die Begeisterung für das Zerknacken von Schneckenhäusern und Zerteilen von Regenwürmern entdeckt hat. Dieses Bestimmenkönnen, was als Nächstes geschehen werde, habe ihn damals angetrieben, vermutet der Autor. "Vielleicht ist es vergleichbar mit der Faszination, die heute 'Angry Birds' auf Kinder ausübt – nur ohne Leichen."

Die Auseinandersetzungen in "Advance Wars 1+2 Re-Boot Camp" werden passiv konsumiert – der Erfolg hängt von der zuvor getroffenen taktischen Entscheidung ab.
Foto: Screenshot, "Advance Wars"

Sportlicher Wettkampf

Nun ist "Advance Wars" kein Shooter und auch kein Spiel rund um bunte, auf Häuser fliegende Vögel. Die Serie ist ein rundenbasiertes Taktikspiel, wie es in der Computergeschichte schon viele gab. Ein komplexes Schach, wenn man so will. Man steuert Panzer, genau wie Kanonenboote oder Hubschrauber, um Basen zu erobern und den Feind in die Knie zu zwingen. Die Optik erinnert an japanische Comics. Überzeichnete Charaktere duellieren sich zwischen den Schlachten mit Worten und ziehen sich dort ein wenig auf.

War die Optik in den frühen 1990er-Jahren abseits von der stilistischen Frage sicher auch eine Entscheidung aufgrund der technischen Limitierungen damaliger Nintendo-Konsolen, ist die Neuaufbereitung dieses Comicstils ein Tribut an die Originalspiele. Daraus einen Vorwurf in Richtung Nintendo zu formulieren ist meiner Meinung nach haltlos und unbegründet. Auch wenn die Serie in so manchem Abstecher einen realistischeren Stil versucht hat, ist es vor allem diese Comic-Grafik, mit der "Advance Wars" über die Jahrzehnte seine Fanschaft halten konnte.

Durch das Verschieben von Pixelpanzern ist mein Adrenalinspiegel noch nie deutlich in die Höhe geschossen, auch wenn der neue Teil auch Onlineschlachten gegen andere Mitspieler ermöglicht. Es geht um Taktieren, darum, Vorteile im Gelände und in direkten Auseinandersetzungen zu suchen, und sogar den Blick auf die verbleibende Munition verlangt der Titel von einem. Die immer komplexer werdenden Duelle in den zwei rund 20 Stunden dauernden Kampagnen haben eine gute Lernkurve und verlangen zunehmend das bessere Verständnis der spielerischen Möglichkeiten.

Die taktische Übersichtskarte, auf der die Einheiten gezogen werden, ist jener Bildschirm, an dem man als Spieler die meiste Zeit verbringt.
Foto: Screenshot, "Advance Wars"

Fazit

Ich habe Ameisen immer verteidigt, wenn andere Kinder drauftreten wollten, habe das rundenbasierte "History Line" rund um den Ersten Weltkrieg mit Begeisterung gespielt und bin weiterhin ein Verfechter der Meinung, dass von den Erziehungsberechtigten verständnisvoll begleitete Kinder und Jugendliche gut mit Videospielen wie "Battlefield" oder "Mortal Kombat" umgehen können – die Alterskennzeichnung der Hersteller immer im Blick habend. Dass es schwarze Schafe auch in dieser Branche gibt, daran besteht kein Zweifel. Egal ob "KZ Manager" oder die Massenmörder-Simulation "Hatred" – Spiele dieser Art dürfen nicht existieren und machen Gott sei dank einen wirklich, wirklich kleinen Teil der Games-Branche aus.

"Weltliteratur und Kunst sind seit Jahrtausenden Bühne für blutige Rachefantasien, grausame Heldengeschichten und drastische, blutige Tragödien", schrieb schon 2013 mein geschätzter Kollege Rainer Sigl beim STANDARD. Gewalt als "Bestandteil des menschlichen Wesens". Das Drücken eines Knopfes auf dem Joypad sei keine Gewalt, schrieb Sigl. Dem kann ich mich nur anschließen, auch wenn selbst in der jüngeren Games-Geschichte – namentlich die Drohnen-Simulation "Death from above" – grenzwertige Pixel für mich persönlich unrühmliche Ausnahmen darstellen.

Um den Bogen zum demnächst erscheinenden "Advance Wars" zu schließen: Die Neuauflage ist wie schon die zwei Originalspiele ein mit Verstand umgesetztes Strategiespiel, das das Hirn fordert und inszenatorisch versucht zu unterhalten. Eine Nische, die gerne weiter bestehen darf und soll. (Alexander Amon, 19.4.2023)