Wildbienen sind wichtige Bestäuber, verschwinden aber zusehends aus unseren Landschaften.
Foto: Heinz Wiesbauer

Angesichts einer Million Tier- und Pflanzenarten, die global kurz vor dem Verschwinden stehen, war bei der vergangenen UN-Biodiversitätskonferenz (COP 15) vom "größten Artensterben seit dem Aussterben der Dinosaurier" die Rede. Maßnahmen wie der Schutz von 30 Prozent der Meeres- und Landesoberfläche bis 2030, weniger Pestizideinsatz und mehr Geld für den Naturschutz sollen den alarmierenden Trend stoppen. Aber auch in Österreich ist es um die Biodiversität schlecht bestellt. Über ein Drittel der heimischen Farn- und Blütenpflanzen ist gefährdet oder bereits ausgestorben, bei spezialisierten Insekten wie Wildbienen sind es 50 Prozent, warnten Forschende am Mittwoch in Wien.

"Es stimmt, dass es in der Geschichte der Erde schon mehrere Massensterben gegeben hat. Doch anders als bei den Dinosauriern, wo es eine kosmische Katastrophe gab, und den anderen planetaren Störungen ist es jetzt einzig und allein der Mensch, der für das gerade stattfindende sechste Massensterben der Erdgeschichte die Ursache ist", sagte der Ökologe Franz Essl bei einer Pressekonferenz der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Österreich (ZooBot). Angesichts der dramatischen Lage wiederholte er seine Forderungen, die der "Wissenschafter des Jahres" auch in einem STANDARD-Interview bereits formuliert hatte: Nämlich die global sowie auf EU- und nationaler Ebene beschlossenen Biodiversitäts- und Naturschutzziele auch tatsächlich umzusetzen.

Kritik am "Autogipfel"

In diesem Zusammenhang wurde einmal mehr auch Kritik an Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) laut. "Dass manche Regierungschefs immer noch glauben, wir brauchen einen Autogipfel und nicht einen Biodiversitätsgipfel, ist bezeichnend", kritisierte der bei Global 2000 tätige Biochemiker Helmut Burtscher-Schaden. Den besagten Gipfel hatte Nehammer für Mittwoch eingesetzt, schon zuvor positionierte er sich wiederholt gegen das Aus von Verbrennermotoren.

Auch auf EU-Ebene werde vor allem von Parteien rechts der Mitte, allen voran der Europäischen Volkspartei (EVP) seit Jahren mit immer neuen Ausreden versucht, geplante Gesetzesentwürfe zur Pestizidreduktion in der Landwirtschaft und zur Wiederherstellung der Biodiversität zu verzögern, sagte Burtscher-Schaden. Österreich spiele bei der Gruppe der Verzögerer eine führende Rolle.

Die gelb leuchtende Wiese trügt. Sie ist eine Monokultur aus Löwenzahn. Andere Arten kommen mit den überdüngten Böden nicht zurecht.
Foto: imago images/Rene Traut

Auch die Botanikerin Luise Schratt-Ehrendorfer, die für die Herausgabe der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen Österreichs verantwortlich zeichnet, bezeichnete die Landwirtschaft als "Hauptverursacher des Biodiversitätsverlusts" in Österreich. Denn die land- und forstwirtschaftliche Nutzung sei von den eigentlich existierenden artenschutzrechtlichen Bestimmungen ausgenommen. Allein auf den nährstoffübersättigten Äckern seien 15 heimische, meist kleinwüchsige Arten ausgestorben.

Aber auch bei Halbtrockenrasen biete sich ein ähnliches Bild. So lange die Landwirtschaftskammer mit Beiträgen werbe, die Düngen als Lösung präsentiere, um Blumenwiesen zu verhindern, werde sich in den Köpfen vieler Bäuerinnen und Bauern nicht ändern, kritisiert die Botanikerin. Für die teilweise schwierige wirtschaftliche Situation vieler Landwirte und -wirtinnen zeigte sie allerdings Verständnis.

Die umstrittene Insektenstudie

Kritik wurde in diesem Zusammenhang einmal mehr an einer vom Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen Insektenstudie laut, die zwar einen Rückgang von Arten beobachtete, die auf feuchte oder nährstoffarme Lebensräume angewiesen sind, gleichzeitig aber stabile Gesamtartenzahlen und höhere Individuendichten von bestimmten Insektenarten im Hochgebirge oder etwa von Tagfaltern in Ackerbaugebieten ausmachte.

Landwirtschaftsminister Totschnig führte die Studie in weiterer Folge wiederholt als Beweis dafür an, dass die "landwirtschaftliche Nutzung einen wichtigen Beitrag für den Erhalt der Insekten-Biodiversität in Österreich leistet" und schoss daraus, dass sowohl die Menge an Insekten als auch die Anzahl der Arten stabil seien – eine Interpretation, der schließlich sogar die Autorinnen und Autoren der Studie öffentlich widersprachen.

"Dass das Insektensterben jetzt abgesagt ist und auch die Landwirtschaft keine Rolle für den Niedergang der Biodiversität spielt, kann man aus der Studie definitiv nicht schlussfolgern. Das war eine sehr selektive Interpretation", kommentiert Ökologe Essl auf STANDARD-Nachfrage.

Gefährdete Wildbienen-Population

Für den Wildbienenexperten Heinz Wiesbauer war die Studie zu wenig breit und zudem nicht repräsentativ. Die große Gruppe der Wildbienen, von denen in Österreich über 700 Arten existieren, sei mit Hummeln an zwei Standorten – einer auf einer alpinen, ein anderer auf einer Feuchtwiese – abgehandelt worden. Daraus eine allgemeine Tendenz abzuleiten, sei wissenschaftlich unseriös.

Im Osten Österreichs habe er zuletzt Bestandseinbrüche von 50 bis 80 Prozent bei Wildbienen beobachtet. "Agrarlandschaften, die früher artenreich waren, sind heute komplett leergeräumt. Es gibt keine bunten Wiesen mehr, es wird bis zu sieben Mal im Jahr gemäht. Naturnahe Böschungen und offene Bodenstellen, etwa bei Feldwegen, wo Wildbienen nisten konnten, sind verschwunden", erklärt Wiesbauer.

Naturnahe Wiesen sind in der Landwirtschaft vielerorts verschwunden.
Foto: APA/Bio Austria

Von der Politik fordert er Programme, die Blühstreifen und naturnahe Ackerränder mit heimischen Pflanzen sowie ein insektenfreundlicheres Mähen vorschreiben und belohnen. "Die Landwirtschaft ist hoch subventioniert, aber es wird der schlechte Zustand subventioniert", sagt Wiesbauer zum STANDARD.

Nachhaltigere Landwirtschaft gefordert

Diese Ansicht vertritt auch Essl, der von der Politik attraktivere Anreizsysteme für biodiversitätskonforme Land- und Forstwirtschaft fordert. "Eigentlich sollte man nicht nur abgegolten bekommen, was man durch einen ökologisch ausgerichteten Betrieb an Ertrag einbüßt, sondern mehr verdienen, als es bei der konventionellen Landwirtschaft der Fall ist. Aktuell ist es einfach nicht attraktiv genug, anders Land- oder Forstwirtschaft zu betreiben", ist Essl überzeugt. Das Potenzial, auf nationaler und EU-Ebene in Richtung mehr Biodiversität zu steuern, sei aber enorm.

Dass das Verschwinden vieler Arten auch wirtschaftlich und hinsichtlich der Lebensmittelversorgung zu einem ernsten Problem werden kann, steht für die Forschenden außer Frage. Wenn Insekten wie die Wildbienen fehlen, gefährde das die Bestäubung von Obstbäumen und anderen Kulturpflanzen. Denn im Gegensatz zur gezüchteten Honigbiene sind viele Wildbienenarten auch bei niedrigeren Temperaturen unterwegs und durch ihr gleichzeitiges Pollen- und Nektarsammeln auch deutlich effizienter bei der Bestäubung von früh blühenden Gehölzen. Ihre Artenvielfalt sei auch eine zusätzliche Versicherung, wenn es bei Honigbienenvölker zu einer großflächigen Epidemie oder gar Pandemie komme, erklärt Wiesbauer. (Martin Stepanek, 19.4.2023)