Statt die Vitamine zu essen, kommen sie aus dem Beutel und gelangen direkt in die Blutbahn. Somit kommen sie dort an, wo sie auch durch die Nahrung irgendwann landen würden. Mit der Infusion geht es jedoch schneller und hochdosierter.

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Ein goldfarbenes Schild mit der Aufschrift "IVme Youth Club" lässt erahnen, dass sich hinter der großen Altbautür etwas Exklusives verbirgt. Hinein und herausfinden, was das ist, darf nur, wer vorher einen Termin gebucht hat – für eine Vitamininfusion. Die Namen der Infusionen erinnern dabei irgendwie an Energy-Drinks. Man kann wählen zwischen "Immune", "Energy", "Revive Hangover", "Performance" oder auch "Beauty" – und das sind längst noch nicht alle. Wobei Immune gerade in der kalten Jahreszeit der absolute Verkaufsschlager ist, wie Marie Huter, Gründerin des IVme Youth Club, verrät.

Ein großes goldfarbenes Schild ziert den Eingang des Youth Club. Ob der Name hält, was er verspricht, und ob die Frau auf dem Foto wirklich verjüngt wieder aus der Drip-Bar rauskommt, fragt sich Autorin Jasmin Altrock.
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Und das kann ich nur zu gut verstehen. Dieser Winter hatte es in in sich. Mit zwei Kindern zwischen drei und sechs Jahren habe ich so ziemlich alle Viren abbekommen, die sich im Kindergarten und der Volksschule wild vermehrt haben. Während die Kids gerade einmal etwas Schnupfen und erhöhte Temperatur plagten, lag ich – natürlich nachdem sie wieder gesund waren – für mindestens eine Woche flach. Und das gefühlt alle zwei Wochen – der hartnäckige Schnupfen ist seit Weihnachten übrigens mein ständiger Begleiter. Bei jedem Besuch in der Apotheke – es waren sehr viele – nahm ich ständig irgendetwas mit, das damit warb, dass es mein Immunsystem unterstützen könne. Wirklich geholfen hat aber nichts.

Skepsis kommt auf

Es müssen also stärkere Geschütze her. Die Vitamine als Infusion direkt ins Blut zu schleusen klingt sehr verlockend. Das muss meinen von Erkältungen geschwächten Körper doch wieder aufbauen. Und das Ganze kann ich auch noch während der Mittagspause erledigen. Herrlich. Bevor ich mir jedoch einen Termin ausmache, will ich herausfinden, was die Wissenschaft dazu sagt, und telefoniere mit Tilmann Kühn, Professor für Public Health Nutrition an der Med-Uni Wien. Und was soll ich sagen, während des Telefonats schwindet meine Begeisterung minütlich. Denn die Wissenschaft hält nicht so viel von dem Trend. Ganz im Gegenteil. Kühn erklärt: "Gerade hochdosierte Vitamine können gefährlich für den Körper werden."

Und die Erklärung klingt schlüssig: Während Vitamine, die wir über die Nahrung aufnehmen, auf dem Weg durch den gesamten Verdauungstrakt vom Körper aufgenommen und ein Zuviel wieder ausgeschieden wird, sieht das bei einem Zuviel im Blut etwas anders aus. "Gerade fettlösliche Vitamine wie A oder D können in sehr hohen Dosen nicht ausreichend verstoffwechselt werden, was akut zu Schäden in Organen wie Leber oder Niere führen kann," erklärt Kühn. Auch wasserlösliche Vitamine wie Vitamin C und B-Vitamine können in hochdosierter Form zu Organschäden führen. Der Experte weist auch darauf hin, "dass es keinerlei Daten dazu gibt, dass Nahrungsergänzungsmittel oder Vitamininfusionen dem Körper etwas Gutes tun".

Partytiger willkommen

Kurz nach dem Telefonat werde ich schon wieder krank. Fieber und eine Woche im Bett lassen alle aufgekommenen Zweifel wieder verschwinden, und ich will wissen, ob mich ein Vitamincocktail intravenös nicht doch wieder auf die Beine bringt. Also mache ich mir einen Termin für eine "Immune"-Infusion aus. Bei besagter großer Altbautür begrüßt mich eine gut gelaunte Frau, die sich als Schwester Karin bei mir vorstellt. Sofort hoffe ich auf ebenso gute Laune nach meinem Immun-Boost. Sie führt mich durch einen riesigen Raum mit Küche in eine Art Salon mit riesiger Couch, großen Ohrensesseln und Couchtischen. Erst als Schwester Karin mit dem typischen Infusionsständer reinkommt, überkommt mich das erste Mal ein Krankheitsgefühl. Infusionen habe ich nämlich bisher ausschließlich im Spital bekommen.

Der Infusionsständer ist der einzige Gegenstand im Raum, der an eine Arztpraxis erinnert.
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Schnell ist die Infusionsnadel gesetzt, und Schwester Karin erzählt mir, dass ihre Klientel vor allem aus gestressten Menschen besteht, die kaum Zeit für einen gesunden Lebensstil finden und ihrem Körper mit den Infusionen in ein paar Minuten etwas Gutes tun wollen. Aber auch nach Partys kommt man gern – wenn gewünscht auch sonntags. "Ein jüngerer Mann hatte Sonntagvormittag einen Termin gebucht, er kam noch ziemlich bedient von einer Partynacht hier an. Nach der 'Revive Hangover'-Infusion ging er nach einer halben Stunde wieder fit nach Hause." Einen Kater so verschwinden zu lassen kostet übrigens stolze 180 Euro.

Während der Infusion soll ich mich vor allem entspannen. Aber auch Meetings werden manchmal an der Nadel abgehalten, und selbst mein Mittagessen hätte ich mitbringen können.
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Aber auch Meetings haben schon im Youth Club stattgefunden. Tatsächlich hängen dann alle Arbeitskollegen und -kolleginnen am Tropf, während geschäftliche Dinge besprochen werden. Fast alles sei bei ihnen möglich, selbst Hausbesuche macht Schwester Karin immer wieder, wenn die Personen lieber in der gewohnten Atmosphäre und bei der Lieblings-Netflix-Serie an den Tropf gehängt werden möchten.

Biologisches Alter ermitteln

Wer nicht auf die schnellen, vorgefertigten Infusionen setzen möchte, kann auch eine genaue Analyse beim Arzt durchführen lassen. Christoph Skuddnig ist Allgemeinmediziner und ärztlicher Leiter des Clubs. Angeboten werden Blutuntersuchungen, um festzustellen, welche Nährstoffe dem Körper fehlen, aber es kann auch ein Check, der Auskunft über das biologische Alter gibt, gebucht werden. "Um das biologische Alter zu ermitteln, nehmen wir einen Abstrich vom Inneren der Wange und schicken diesen ins Labor. Dort wird die Länge des Telomers gemessen", erklärt der Allgemeinmediziner. Die Telomere befinden sich auf den Chromosomen der DNA und werden mit jeder Zellteilung kürzer. Sind sie irgendwann zu kurz, kann sich die Zelle nicht mehr teilen und stirbt ab – das ist der natürliche Alterungsprozess. Wenig Bewegung, viel Stress und einseitige Ernährung beschleunigen diesen Vorgang. Und was ich bereits ahne, bestätigt Skuddnig: "Bei den meisten Menschen liegt das biologische Alter deutlich über dem richtigen Alter. Im Schnitt sind es um die zehn Jahre."

Wer es senken möchte, bekommt von Skuddnig einen genauen Therapieplan, der aus verschiedenen Infusionen, aber auch aus einem Intervall-Hypoxie-Hyperoxie-Training bestehen kann. "Dabei werden Luftverhältnisse in großen Höhen simuliert, um den Körper an unterschiedliche Höhenbedingungen anzupassen und ihn so zu einem effizienteren Sauerstoffhaushalt zu führen. Die Leistungsfähigkeit und die Ausdauer können damit verbessert werden," erklärt der Allgemeinmediziner.

Natürlich konfrontiere ich Skuddnig auch mit den Aussagen des Experten der Med-Uni Wien bezüglich möglicher Schäden hochdosierter Vitamine. Doch er erklärt: Die Vitamininfusionen seien so zusammengesetzt, dass die Dosierung für jeden Körper – egal wie groß und schwer, egal ob männlich oder weiblich – geeignet ist. "Natürlich wäre es zu viel, würde man sich täglich eine Infusion holen. Darum achten wir darauf, wie häufig die Personen kommen. Und wer eine Beratung und genaue Diagnose bucht, bekommt ohnehin individuell zusammengesetzte Infusionen." Die All-in-one-Befundbesprechung, inklusive Blutabnahme und individuellen Infusionskonzepts kostet übrigens 500 Euro – die Infusionen kommen noch on top.

Wirkung lässt auf sich warten

Nach 20 Minuten sind Vitamin C, Zink, Selen, Magnesium und die B-Vitamine B1 bis B6 und B12 in meinem Blut verschwunden. Wie sehr ich Schwester Karin auch ausfrage, die genaue Zusammensetzung verrät sie mir nicht. "Firmengeheimnis", sagt sie. Noch bemerke ich keinen Unterschied. "Viele berichten, dass sie nach ein paar Stunden mehr Energie verspüren und deutlich besser schlafen", erzählt Schwester Karin. Ich muss mich wohl noch ein bisschen gedulden.

Aber auch nach ein paar Stunden springe ich noch nicht wie ein fitter Turnschuh herum, und meine Nase läuft auch noch. Schlafen kann ich in dieser Nacht tatsächlich gut, und am nächsten Tag merke ich auch eine Veränderung. Diese kommt jedoch nicht, wie ich dachte, auf einmal, sondern ganz langsam, fast unbemerkt. Abends spiele ich aber mit den Kids tatsächlich viel länger als sonst, und ich bin auch um einiges gesprächiger als in den vergangenen Wochen. Und auch am darauffolgenden Tag bricht die gewonnene neue Energie noch nicht ab. Ich gehe sogar nach Monaten der Pause wieder ins Fitnessstudio, und es geht mir gut dabei.

Laut Schwester Karin hält die Energie einer kleinen Infusion, wie ich sie bekommen habe – es gibt auch Medium und Large – ungefähr zehn Tage an. Nach knapp einer Woche fühle ich mich tatsächlich noch ziemlich gut. Der Schnupfen ist zwar immer noch da, aber er stört mich kaum noch. Erst nach etwa acht Tagen lässt die "Wirkung" langsam nach. Ich fühle mich wieder ziemlich müde. Schade eigentlich, hatte ich mich doch an das neue Energielevel ganz gut gewöhnt.

Trotz all meiner Skepsis habe ich also tatsächlich einen Energieschub gespürt. Ob es sich dabei um Einbildung oder Wunschdenken handelt, kann ich natürlich nicht sagen. Aber selbst ein Placebo-Effekt ist in diesem Fall ja nichts Schlechtes. Vermutlich werde ich so schnell jedoch keinen nächsten Termin buchen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen glaube ich der Wissenschaft und denke nicht, dass regelmäßige Infusionen ohne triftigen Grund zu empfehlen sind. Und zum anderen sind die Preise doch ausschließlich für sehr, sehr gut verdienende Personen gemacht, vor allem, wenn man die genaue Analyse beim Arzt und ein individuelles Paket bucht. Aber wer weiß, ob ich meine Meinung in der nächsten Virensaison nicht noch einmal überdenken werde. (Jasmin Altrock, 27.4.2023)