Robert Schlögl vom Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion.

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Traktoren werden auch in Zukunft nicht mit einem Batterieantrieb im Kreisverkehr fahren, sagt der Chemiker Robert Schlögl.

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Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat durch seine Unterstützung für synthetische Kraftstoffe, sprich E-Fuels, eine Debatte losgetreten, in der Kritiker an der Sinnhaftigkeit zweifeln. Der deutsche Chemiker Robert Schlögl, früherer geschäftsführender Gesellschafter des Max-Planck-Instituts für chemische Energiekonversion, war zum Autogipfel am Mittwochabend eingeladen. Dem STANDARD sagte der Wissenschafter, was ihn primär bewegt und aufregt.

STANDARD: Wie fühlt man sich als deutscher Wissenschafter, wenn man zu einem Autogipfel nach Wien eingeladen wird, wo zwar viel diskutiert wurde, am Ende aber keine wesentlichen Ergebnisse herausgekommen sind?

Schlögl: Das ist in Deutschland genauso. Man muss immer versuchen, als Wissenschafter seine Botschaft loszuwerden. Das ist, wie wenn Sie in der Schule sitzen. Sie müssen die Wahrheiten zehnmal wiederholen, bis das langsam in den politischen Bereich einzieht. Das ist gestern schon gelungen. Es ist eingesickert, dass die Möglichkeit, wir machen Mobilität nur elektrisch, sicher nicht die richtige Lösung ist.

STANDARD: Warum?

Schlögl: Weil die Vorstellung, dass man in Österreich oder in Europa genügend elektrische Energie direkt erzeugen kann, nicht gegeben ist. Man muss Energie ohnehin importieren. Und wenn man sie importiert, wird sie in Form von flüssigen Energieträgern zu uns kommen. Mit denen kann man dann auch Auto fahren. So einfach ist die Botschaft.

STANDARD: Wieso bekommen E-Fuels für den Straßenverkehr derzeit so viel Aufmerksamkeit?

Schlögl: Sie hätten es schon früher verdient. Man hat sich nach dem Dieselskandal völlig einseitig auf die batterieelektrische Mobilität verlegt, obwohl in der Wissenschaft schon seit 20 Jahren über E-Fuels sowohl geschrieben als auch daran gearbeitet wird. Es ist nichts Neues. Wir verfügen auch über alle Technologien, um das herzustellen. Und deswegen finde ich auch nicht, dass das alles so ineffizient, so schwierig und nicht verfügbar ist. Das stimmt nicht, man muss es nur machen.

STANDARD: Es gibt mehrere E-Fuel-Herstellverfahren, die großtechnisch funktionieren. Nur ist der Eingangsstoff bedenklich.

Schlögl: Das ist in der Regel schwarzer Wasserstoff (unter Einsatz von Steinkohle, Anm.), nicht grüner. Das Einzige, was man ändern muss, ist das. Dann geht das auch.

STANDARD: Nun sagen selbst kritische Geister, dass E-Fuels wichtig sind, und zwar für den Einsatz in Flugzeugen bzw. auf Schiffen, wo man die Dekarbonisierung sonst schwer schafft. Bezweifelt wird, dass man kostbare E-Fuels im Autoverkehr einsetzen soll.

Schlögl: Da muss man mehrere Dinge nebeneinander diskutieren. Das eine ist, man kann nicht eine Sorte von E-Fuels allein produzieren. Wenn man Kerosin für den Flugbetrieb herstellt, wird man automatisch auch ganz normales Dieselöl produzieren. Das ist unvermeidlich. Deswegen muss man natürlich auch dafür eine Anwendung finden. Dann gibt es Gegenden auf der Welt, die nicht so gesegnet sind mit Infrastruktur wie Mitteleuropa oder Österreich, wo man an jeder Stelle hinreichend viel Elektrizität gewinnen kann. In Ostasien oder Südamerika wird es lange Zeit oder wahrscheinlich niemals eine Mobilität ohne Benzin und Diesel geben. Da muss man einen hochdichten Kraftstoff haben, den man in Fässern oder Tankwagen irgendwohin bringen kann. Dann gibt es noch den großen Bereich der Sonderfahrzeuge.

STANDARD: Sie denken an Traktoren?

Schlögl: Traktoren werden nicht mit Batterie fahren und wahrscheinlich auch nicht mit Wasserstoff-Brennstoffzelle, weil diese Wasserstoff-Brennstoffzelle in vier Wochen durch Staubeinwirkung kaputt ist. Traktoren, Baumaschinen, Panzer und andere Sonderfahrzeuge werden vermutlich auch weiterhin mit Flüssigkraftstoffen unterwegs sein. Deshalb ist es sinnvoll, eine große Industrie für flüssige Kraftstoffe aufzubauen, damit man auch die Skaleneffekte generiert. Wenn es nur ganz ganz wenig davon gäbe, würde der so unheimlich teuer sein, dass sich das niemand leisten kann.

STANDARD: Diese Industrie werden wir aber nicht in Europa aufbauen, sondern dort, wo es zur Genüge erneuerbare Energien gibt, im Nahen Osten, in Nordafrika, anderswo?

Schlögl: Das ist eine Lesart. Die andere Lesart ist, man wird diese Industrie dort aufbauen, wo es erhebliche CO2-Quellen gibt, zum Beispiel bei der Zementerzeugung oder bei der Hausmüllverbrennung. Ob es leichter ist, das CO2 nach Nordafrika zu schaffen oder den Wasserstoff zu uns, wird der Markt entscheiden, das kann ich nicht beurteilen. Vielleicht gibt es auch ein Gemisch von beidem.

STANDARD: Die entscheidende Frage wird sein, woher bekommen wir so viel erneuerbare Energie, die wir auch für viele andere Anwendungen benötigen?

Schlögl: Ganz einfach, wir brauchen die in Form von Derivaten von Wasserstoff, die man sinnvollerweise transportieren kann. Also macht man daraus Methanol, Ammoniak und Methan, dann sind wir schon dabei.

An E-Fuels, die mittels Einsatz von elektrischem Strom aus Wasser und Kohlendioxid hergestellt werden, scheiden sich die Geister.
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STANDARD: Was soll Europa tun, damit wir uns dadurch nicht in die nächste große Abhängigkeit begeben?

Schlögl: Diversifizieren. Das Wesentliche ist, entsprechende Infrastruktur aufzubauen. Um solche Mengen von Energie zu transportieren, brauchen Sie jeden Tag zehn große Schiffe, die irgendwo einen Hafen anlaufen können. Dieser Welthandel mit Wasserstoffderivaten wird heute schon realisiert, da wartet man nicht auf Europa. Wir sollten das nicht verschlafen. Wir haben auch die Möglichkeit, durch industrielle Tätigkeit und durch Technologieverkauf aktiv an diesem Weltmarkt teilzunehmen.

STANDARD: Und dadurch Wertschöpfung in Europa zu schaffen?

Schlögl: Auf jeden Fall. Wir werden auch bei uns nicht unerhebliche Mengen von Wasserstoff erzeugen können, vor allem in Südeuropa, wo das Land zunehmend austrocknet. Überall, wo europäische Wüsten entstehen, kann man auch erneuerbare Energien einsammeln.

STANDARD: Ist die Autoindustrie für die Veränderungen, vor denen sie steht, gut genug aufgestellt?

Schlögl: Die produzierende Autoindustrie hat sich ziemlich stark in eine Ecke gestellt, indem sie sagen, sie machen jetzt nur noch batterieelektrische Fahrzeuge und importieren ihre Batterien aus China. Das ist die augenblickliche Strategie. Wie das in zehn Jahren ausschaut, weiß ich nicht. Ich erinnere daran, dass die deutsche Autoindustrie 20 Jahre lang gesagt hat, wir werden niemals einen elektrischen Antrieb bauen, weil das ein Blödsinn ist. Und heute sagen sie, sie bauen nur noch elektrische Antriebe. In der kreativen Autoindustrie, die auch in Österreich eine sehr starke Stellung hat, gibt es interessante Ansätze, die man unter dem Fachbegriff "serieller Hybrid" zusammenfasst, also ein elektrischer Antrieb mit einem Generator an Bord, der irgendeine Flüssigkeit in elektrischen Strom verwandelt. Das ist wahrscheinlich auch das Konzept der Zukunft. Alle großen Maschinen, die wir betreiben – Schiffe, Baumaschinen uns so weiter – haben das heute schon. Im Pkw-Bereich setzt man das im Augenblick nicht ein, weil man sich auf das Battery-only-Prinzip versteift hat. Wenn man später vernünftiger wird und feststellt, dass die Welt nicht nur Batterieautos brauchen wird, wird man wahrscheinlich auf diese elektrische Methode zurückgreifen.

STANDARD: Wenn ich Sie richtig interpretiere, dann ist der Zug noch nicht abgefahren, sondern wird noch an einer Haltestelle stehen bleiben?

Schlögl: Wenn die EU das zulässt. Die Diskussion auch beim Autogipfel in Österreich fand ich jetzt sehr viel weniger ideologisiert als in Brüssel. Und wenn man es schaffen würde, die Dinge offen zu betrachten, und sagen würde, wir brauchen das sowohl als auch, nicht ausschließlich, dann wären wir sehr viel weiter. Wenn es so sinnlos ist, mit E-Fuels zu arbeiten, warum verbietet man die dann? Wenn sie sinnlos sind, braucht man sie nicht verbieten, dann macht es sowieso keiner. Daran sieht man, dass sie nicht sinnlos sind, sondern ideologisch im Wege stehen. Das ist gefährlich, das sollte man nicht machen.

STANDARD: Zum Schluss wird es der Markt dann regeln?

Schlögl: Ganz sicher, denn der Markt muss es auch zahlen. (Günther Strobl, 20.4.2023)