Sogar die Eltern jenes 26-jährigen Joggers, der am 5. April im Trentino von JJ4 angefallen und getötet worden war, wollen, dass die 17-jährige Bärin am Leben bleibt: "Ich habe kein Interesse an einem symbolischen Racheakt: Die Schuld am Tod unseres Sohnes kann nicht allein auf die Bärin abgeschoben werden. JJ4 zu töten bedeutet nicht, dass Gerechtigkeit geübt wird", erklärte der Vater in der Zeitung La Repubblica. Seine Frau pflichtete ihm bei: "Der Tod der Bärin bringt uns unseren Sohn auch nicht zurück." Auch Tierschützer, Tierärzte und Prominente – etwa die Filmschauspielerin Ornella Muti – setzen sich dafür ein, dass Gaia, wie die Bärin auch genannt wird, am Leben bleiben darf.

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Laut Tierschützern verabsäumten es die Behörden, die Menschen im Umgang mit Bären aufzuklären.
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JJ4 ist in der Nacht auf Dienstag in eine Röhrenfalle gegangen, in der Äpfel und Brot als Köder ausgelegt worden waren. Auch zwei ihrer Bärenkinder befanden sich in der Falle, während ein drittes in der Nähe wartete. Die etwa 150 Kilo schwere Bärin wurde betäubt und im Wildtiergehege von Casteller bei Trient untergebracht; die beiden Jungbären wurden zuvor an Ort und Stelle wieder freigelassen und sich selbst überlassen. Die drei Jungbären sind knapp zweijährig und abgestillt; sie seien in der Lage, auch ohne ihre Mutter in den Bergen und Wäldern zu überleben, versicherten die Behörden.

Skeptische Tierschützer ...

In dem Wildgehege von Casteller harrt Gaia nun der Dinge. "Es geht ihr gut", erklärte Raffaele De Col, Chef der Abteilung Zivilschutz, Wälder und Fauna der autonomen Provinz Trentino, am Tag nach der Gefangennahme.

Tierschützer glauben ihm nicht: Sie bezeichnen das Gehege als "Lager". Tatsächlich leben die Bären dort laut einem Bericht der Carabinieri, die das Gehege 2020 überprüften, "in einer schweren psychosozialen Stresssituation".

Das Gelände ist 8000 Quadratmeter groß und beherbergt drei große Käfige, die mit einem vier Meter hohen elektrischen Metallzaun gesichert sind.

In in einem dieser Käfige befindet sich schon seit längerem der Problembär M49, der wegen seiner Ausbruchsversuche in Anlehnung an den gleichnamigen US-Filmklassiker auch "Papillon" genannt wird.

... genervte Politiker

Das Schicksal von Gaia/JJ4 – sie ist eine Schwester des 2006 erschossenen Problembären Bruno in Bayern – wird am 11. Mai vom Verwaltungsgericht Trient entschieden. Dieses hatte den Abschussbefehl von Provinzpräsident Maurizio Fugatti zunächst aufgehoben, um dem nationalen Amt für Umweltschutz und Forschung (Ispra) Zeit zur Stellungnahme zu geben. Dieses hat inzwischen grünes Licht für die Tötung von Problembärin JJ4 gegeben.

Falls sich nicht in letzter Minute noch ein Wildtierpark oder ein Zoo in Italien oder im Ausland findet, der die Bärin aufnimmt, droht ihr die Einschläferung. "Wir hätten JJ4 lieber gleich erschossen", erklärte Lega-Mann Fugatti. Aber das sei jetzt unwichtig. Jetzt gehe es darum, auch noch zwei weitere Problembären im Trentino, MJ5 und M62, aufzuspüren und zu erlegen.

Rede und Widerrede

Die Diskussion über das Wiederansiedlungsprojekt "Life Ursus" und die Bärenpopulation im Trentino ist längst zu einem Glaubenskrieg geworden, der jeden Tag gehässiger geführt wird.

Auf der einen Seite stehen Fugatti und die meisten Bürgermeister, die um die Zukunft des Tourismus fürchten und von den rund 120 im Trentino lebenden Bären mindestens die Hälfte eliminieren bzw. in andere Gegenden verfrachten wollen. "Wir hatten in acht Jahren acht Angriffe von Bären gegen Menschen. Sie können nicht alle hierbleiben", sagt Fugatti.

Auf der anderen Seite stehen die Tierschützer, die gegen die Tötung von Gaia/JJ4 mobil machen. Dass die Todeskandidatin Mutter von drei Jungen ist, verleiht ihrer Kampagne zusätzlichen emotionalen Schwung: Die Bärin habe, als sie den Jogger angriff, lediglich das getan, was jede Mutter getan hätte: ihre Kinder beschützen.

Kritik an Behörden

Der Vater des Joggers dreht den Spieß sogar um: Die Provinzbehörden hätten es jahrelang verabsäumt, das Zusammenleben von Bär und Mensch zu regeln, sicherer zu gestalten und der Bevölkerung zu erklären, wie man sich im Falle einer Begegnung mit einem Bären zu verhalten habe. "Sie machen es sich zu einfach, wenn sie glauben, dass die Sache mit der Tötung der Bärin erledigt ist." (Dominik Straub aus Rom, 20.4.2023)