Ein bisher weißer Fleck der Stadtlandschaft von Ephesos ist erstmals systematisch erforscht worden. Die Palastanlage auf mehr als 10.000 Quadratmetern oberhalb des Theaters der antiken Stadt wurde mindestens für 700 Jahre genutzt und dürfte hellenistischen wie römischen Verwaltern vor allem zu Repräsentationszwecken gedient haben.

Es muss ein imposanter Anblick für die Besatzung gewesen sein, wenn ein Schiff in die von zwei Bergen gerahmte Hafenbucht der antiken Stadt Ephesos an der Westküste Kleinasiens eingefahren ist. Vom – heute großteils verlandeten – Hafenbecken aus konnte man am Westhang des Haupthügels Panayırdağ schon das große Theater und die darüber liegende, sich über mehrere Terrassen erstreckende Palastanlage erkennen.

Überreste eines Saals mit Säulenfassade (Exedra) in der Palastanlage.
Foto: ÖAW-ÖAI/Niki Gail

Residenz aus der hellenistischen Zeit

Die sichtbaren Baureste des riesigen Gebäudekomplexes wurden im Rahmen des Langzeitprojekts Ephesos des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) der ÖAW und eines Dissertationsprojekts an der BTU Cottbus-Senftenberg von 2009 bis 2014 umfassend dokumentiert. Davon zeugt nun der vom FWF geförderte 50. Band der ÖAI-Reihe "Forschungen in Ephesos", der als Open-Access-Publikation vorliegt.

"Aller Wahrscheinlichkeit nach dürften wir es mit einer Verwaltungsresidenz aus der Antike zu tun haben, die offensichtlich nicht erst in der römischen Kaiserzeit, sondern schon davor diese Funktion gehabt hat", sagt Christoph Baier über die wichtigste Hypothese seiner Dissertation.

Luftaufnahme des Stadtareals oberhalb des Theaters von Ephesos. Die gewaltigen Ausmaße der Palastanlage sind deutlich erkennbar.
Foto: ÖAW-ÖAI/Drone Adventures

Errichtet wurde die Anlage nämlich wohl schon in der hellenistischen Zeit im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Von Beginn an habe sie eine starke Nähe zur zeitgenössischen hellenistischen Palastarchitektur aufgewiesen, vor allem zu jener der Stadt Pergamon, so der Archäologe und Bauforscher.

Herrschaftszentrum der Attalidenkönige

Die Ergebnisse würden auch darauf hindeuten, dass die Zeit der pergamenischen Oberhoheit über Ephesos zwischen 188 und 133 vor unserer Zeitrechnung einen bisher zu wenig beachteten Meilenstein in der Stadtentwicklung markiert. Neben der zunehmenden militärischen und strategischen Bedeutung entwickelte sich die wichtige Hafen- und Handelsstadt zum Hauptort eines pergamischen Regierungsbezirks und einem regionalen Zentrum der Herrschaft der Attalidenkönige.

Blick von einer der Terrassen der Palastanlage auf die Unterstadt und die Hafenebene von Ephesos.
Foto: ÖAW-ÖAI/Niki Gail

Die angenommene Funktion der Palastanlage als Verwaltungsresidenz der hellenistischen Zeit, die später auch von den römischen Besatzern weiter genutzt wurde, ist für Baier auch daher bemerkenswert, als dass es nur noch ein weiteres bekanntes archäologisches Beispiel dafür gibt, das im heutigen Israel liegende Caesarea Maritima. Im Falle von Ephesos könnte möglicherweise der Statthalter der römischen Provinz Asia selbst hier residiert haben, legen die Befunde nahe.

Des Palastes Kern

Das Team um Baier konnte mit punktuellen Nachgrabungen an neuralgischen Punkten und mithilfe von geophysikalischen Prospektionen ermitteln, dass der Komplex in der römischen Kaiserzeit in einer Abfolge künstlich angelegter, übereinander gestaffelter Terrassen ihre größte Ausdehnung von mindestens 10.000 Quadratmetern erreichte. Den Kern des Geländes stellt ein auf der untersten der Terrassen liegendes, mindestens 2.400 Quadratmeter großes Peristylhaus dar, das vermutlich um die Mitte des 2. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung errichtet wurde.

Ein Raum mit kreisrundem Säulenumgang um ein Wasserbecken im Zentrum diente in der Palastanlage ursprünglich als Gartennymphäum und wurde später in eine Badeanlage integriert. Ein derartiger Rückzugsort innerhalb großer römischer Villen wurde in der Antike als Diaeta bezeichnet.
Foto: ÖAW-ÖAI/Niki Gail

Das um einen großen Hof mit Säulenhallen herum angeordnete Gebäude wies repräsentative Empfangssäle und verschiedene andere Räumlichkeiten auf. Zur Kaiserzeit kam beispielsweise auf der Südseite ein weiterer Peristylhof dazu, um den herum zusätzliche Repräsentationsräume angelegt wurden. Am nördlichen Rand wiederum wurde eine Diaeta errichtet, eine Art Rückzugsort am Rande des Palastkomplexes.

Monumentalisierung des Stadtbilds

Dieses Stadtquartier dürfte aber auch in ein konzise geplantes städtebauliches Konzept eingebunden gewesen sein. "Für die pergamenische Phase im frühen zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in Ephesos sind ganz interessante Zusammenhänge wahrscheinlich", erklärt Baier.

Dreidimensionaler Rekonstruktionsversuch für das hellenistische Peristylhaus oberhalb des Theaters, Schrägprojektion von Nordwesten.
Illustr.: ÖAW-ÖAI/Hans Baier, Christoph Baier

"Es gibt enge räumliche Bezüge, die darauf hinweisen, dass es in dieser Zeit eine Monumentalisierung des Stadtbilds gegeben zu haben scheint – innerhalb eines gemeinsamen Planungskonzepts für diese Stadtansicht vom Panayırdağ über dem Theater und über dem Hafen." Auch weitere öffentliche Bauprojekte wie der sogenannte Staatsmarkt würden in diese Phase der "Residenzstadtwerdung" hineinfallen, so der Experte.

Bis zum 7. Jahrhundert genutzt

Im Laufe ihrer Nutzung wurden die Gebäude der Palastanlage wohl drei- oder viermal durch schwere Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen und immer wieder aufgebaut. Endgültig aufgegeben wurde das Stadthaus im frühen 7. Jahrhundert. Die Gründe dafür liegen im Dunkeln, eine plötzliche Katastrophe scheint den Forschenden aufgrund des in allen Untersuchungsbereichen fehlenden Hausinventars aber wenig wahrscheinlich.

Nur geringe Teile des erstmals um 1930 erkundeten Areals liegen frei. Der Erhaltungszustand der teilweise sieben bis acht Meter hohen Gebäuderuinen ist laut Baier sehr gut. Sie befinden sich oberhalb des aktuell freigegebenen Besucherparcours in Ephesos und sind durch ihre Lage nicht einfach zu beforschen und zu sichern. Die weitere Erschließung ist daher aus heutiger Sicht noch ungewiss. (Mario Wasserfaller, 21.4.2023)