Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Klimaberichts des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus, der eine überdurchschnittliche Erwärmung Europas und stärkeren Wassermangel in der Zukunft konstatierte, folgt nun der neue globale Klimabericht der Weltwetterorganisation (WMO). Neben den zu erwartenden Ergebnissen zu gestiegenen Temperaturen gibt es auch Überraschendes.

Der Schweizer Rhonegletscher wird mit Tüchern vor dem Abschmelzen geschützt. Bis 2100 könnten die Gletscher in den Alpen verschwunden sein.
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Besondere Bedeutung nimmt das Klimaphänomen El Niño ein. Sein Gegenstück La Niña hat einen kühlenden Effekt auf das Weltklima, während El Niño global für wärmere Temperaturen sorgt. "Die Jahre 2015 bis 2022 waren die acht wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen, trotz der abkühlenden Wirkung eines La-Niña-Ereignisses in den letzten drei Jahren", heißt es in dem nun erschienenen Bericht.

Das Dokument enthält eine Reihe verschiedenster Aspekte im Zusammenhang mit der Veränderung des Klimas, darunter rein meteorologische ebenso wie sozioökonomische und umweltbezogene Folgen, mit Details zu Dürren, Extremniederschlägen und Unsicherheiten in der Lebensmittelversorgung.

Rekordwerte für Treibhausgase

Die Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Distickstoffoxid erreichten im Jahr 2021 die höchsten Werte seit 1984. Der jährliche Anstieg der Methankonzentration von 2020 bis 2021 war der höchste seit Beginn der Aufzeichnungen. Für 2022 gibt es noch keine konsolidierten Daten, doch die vorhandenen Messwerte legen eine Fortsetzung des Trends nahe. Der Verlust der Masse der Gletscher war 2021 und 2022 wesentlich größer als der Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Die Alpengletscher schmolzen noch deutlich schneller.

Die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in Europa überstieg in Spanien, in Deutschland, im Vereinigten Königreich, in Frankreich und in Portugal bereits 15.000. In Ostafrika waren mit Stand Jänner 2023 20 Millionen Menschen durch Dürren von Hunger bedroht. Insgesamt war 2021 die Lebensmittelversorgung von fast einer Milliarde Menschen stark bedroht.

Der neue Bericht enthält eine Übersichtskarte für politische Entscheidungsträger, die Informationen darüber liefert, wie sich die Indikatoren für den Klimawandel entwickeln und wie Technologie den Umstieg zu erneuerbaren Energie zugänglicher und billiger macht.

Regenwolken über São Paulo. Unwetter nehmen durch die Klimaerwärmung weiter zu.
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"Während die Treibhausgasemissionen weiter steigen und sich das Klima weiter verändert, werden die Menschen weltweit weiterhin von extremen Wetter- und Klimaereignissen schwer getroffen. So waren im Jahr 2022 von der anhaltenden Dürre in Ostafrika, den rekordverdächtigen Regenfällen in Pakistan und den rekordverdächtigen Hitzewellen in China und Europa dutzende Millionen Menschen betroffen, was zu Ernährungsunsicherheit und Massenmigration führte und Verluste und Schäden in Milliardenhöhe verursachte", sagt WMO-Generalsekretär Petteri Taalas.

Doch Taalas sieht auch Anlass für Hoffnung: "Die Zusammenarbeit zwischen den UN-Organisationen hat sich bei der Bewältigung der humanitären Auswirkungen extremer Wetter- und Klimaereignisse als sehr wirksam erwiesen, insbesondere bei der Verringerung der damit verbundenen Sterblichkeit und der wirtschaftlichen Verluste."

Feedback von Fachleuten

Auch unabhängige Fachleute streichen das Risiko eines El-Niño-Phänomens in den nächsten Jahren heraus. Helge Goessling vom deutschen Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung rechnet damit, dass heiße Jahre auf uns zukommen. "Gemäß aktueller Vorhersagen ist es mit über 80 Prozent recht wahrscheinlich, dass sich im Laufe des Jahres El-Niño-Bedingungen einstellen. El Niño geht mit warmen Meeresoberflächentemperaturen in weiten Teilen des tropischen Pazifiks einher und hat so unmittelbar deutlichen Einfluss auf die global gemittelte Temperatur. Es könnte daher gut sein, dass 2023 oder 2024 neue globale Rekorde erreicht werden", sagt Goessling. Auf die heimischen Gletscher werde das weniger Einfluss haben. Er rechnet damit, dass die Gletscher in Teilen Südostasiens, Indiens, Chinas, Australiens sowie Nord- und Südamerikas stark betroffen sein werden.

Ein Informationsvideo der WMO fasst die neuen Ergebnisse zusammen.
World Meteorological Organization - WMO

Auch Karsten Hauenstein von der Universität Leipzig sieht heiße Jahre auf uns zukommen. "Momentan sieht es stark danach aus, als würde 2023 erstmals seit 2015/2016 wieder ein starker El Niño auftreten. Das bedeutet, dass 2023 theoretisch das wärmste Jahr werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass 2024 mit Abstand neues wärmstes Jahr wird, ist jedoch um ein Vielfaches gestiegen", sagt Hauenstein.

Goessling sagt, dass die heißen Sommer der letzten Jahre einen Vorgeschmack auf die Zukunft geben, meint aber auch, dass die besonders schnelle Erwärmung in Europa im Vergleich zum globalen Schnitt durch Zufallsschwankungen bedingt war, etwa durch Verlagerungen des Jetstreams, eines den Globus umspannenden Windsystems. "Kehren sich diese Schwankungen in den nächsten Jahren um, so können wir damit rechnen, dass Europa sich zunächst nicht mehr so stark erwärmt."

Langfristig sei hingegen eine weitere Erwärmung zu erwarten. "Bei einer durchschnittlichen globalen Erwärmung von zwei Grad müssten wir in Europa mit etwa drei Grad Erwärmung rechnen, mit gewissen Unterschieden je nach Region und Jahreszeit. Das würde mit noch stärkeren sommerlichen Hitzewellen und Dürren einhergehen, besonders im Mittelmeerraum, aber auch in Mitteleuropa", sagt Goessling. Wie stark die Effekte sein werden, hänge davon ab, wie schnell man die Treibhausgasemissionen reduziere.

Der Graph zeigt die Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur.
Bild: World Meteorological Organization (WMO)

Karsten Haustein spricht von konkreten Gesundheitsrisiken durch die Hitze und wundert sich, "wie wenig präsent insbesondere der Temperaturanstieg in der öffentlichen Diskussion ist". Er mahnt bessere Kommunikation ein, um Hitzetote zu vermeiden, und fordert, längerfristig Asphaltflächen in baumbestandene Grünflächen umzuwidmen. "Dabei spricht nichts gegen bauliche Verdichtung in urbanen Zentren, aber viel gegen ein 'Weiter so' im Verkehrssektor. Klimaanpassung und Verkehrswende sind aus wissenschaftlicher Sicht synonym, ganz speziell in urbanen Räumen", sagt Hauenstein.

Verändern wird sich die Welt trotzdem. "Kinder, die heute geboren werden, haben eine realistische Chance, Gletscher wie den Aletschgletscher weitgehend eisfrei zu erleben", sagt Hauenstein. (Reinhard Kleindl, 21.4.2023)