Dominic Raab ist nicht mehr Teil der britischen Regierung.

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Zwei Wochen vor der englischen Kommunalwahl ist am Freitag der britische Vizepremier und Justizminister Dominic Raab zurückgetreten. Der Konservative zog damit die Konsequenz aus einem unabhängigen Untersuchungsbericht, in dem ihm "dauerhaft aggressives Benehmen" gegenüber Untergebenen vorgeworfen wird. Gleichzeitig kritisierte der 49-Jährige den "mangelhaften" Bericht: "Wenn die Schwelle für Mobbing-Verhalten so niedrig angesetzt wird, ermutigt man unberechtigte Beschwerden gegen Minister."

Gegen den 49-Jährigen lagen seit Monaten Beschwerden einer Reihe jüngerer Beamtinnen aus unterschiedlichen Ministerien vor. Dabei ging es um Mobbing am Arbeitsplatz. Raab hatte der unabhängigen Untersuchung durch den Arbeitsrechtler und Kronanwalt Adam Tooley zugestimmt und seine Unschuld beteuert. Sollte ihm tatsächlich Mobbing zur Last gelegt werden, müsse er natürlich seinen Hut nehmen, versicherte der Minister in Medieninterviews. Darauf nahm Raab nun Bezug: "Ich halte es für wichtig, mein Wort zu halten."

VIDEO: Britischer Vize-Premier Raab tritt wegen Mobbing-Vorwürfen zurück.
DER STANDARD

Er sei "sehr traurig" über den Rücktritt, teilte Premier Rishi Sunak mit. Aus der Downing Street hieß es, der Premierminister habe seinem politischen Weggefährten den Rücktritt nicht ausdrücklich nahegelegt. Als neuen Justizminister benannte der Regierungschef noch am Freitag den bisherigen Verteidigungs-Staatssekretär Alexander Chalk.

Tooleys 48-seitige Bestandsaufnahme gibt faszinierenden Einblick in das Benehmen eines raubeinigen Chefs und die Reaktion seiner teilweise überempfindlichen Untergebenen. So beschrieben einige Beschwerdeführer Raabs Handbewegungen als bedrohlich, was Tooley verwarf. Der Minister habe weder die Stimme erhoben noch geflucht und zu keinem Zeitpunkt die Kontrolle über sich verloren. Damit unterscheidet sich Raab etwa von der früheren Innenministerin Priti Patel, die sämtliche Beamte, vom Staatssekretär bis zu Anfängern, anzuschreien pflegte. Dies Benehmen brachte ihr einen Tadel des unabhängigen Ethikberaters ein; weil der damalige Premier Boris Johnson aber ihre Entlassung verweigerte, trat der Berater zurück.

Hingegen hatte Sunak zu Beginn seiner Amtszeit "Integrität, Professionalität und Verantwortlichkeit" als Charakteristika seines Regierungshandelns bezeichnet. Daran zweifelt die Labour-Opposition seit langem, unter anderem mit Blick auf die Besetzung des Kabinetts. Tatsächlich ist Raab bereits der dritte Minister, der wegen persönlicher Verfehlungen zurücktreten musste. In allen drei Fällen waren die Vorwürfe bereits vor ihrer Berufung ins Amt bekannt gewesen. Labour-Chef Keir Starmer sprach am Freitag von Sunaks "dauerhafter Schwäche" und kritisierte den zurückgetretenen Vizepremier für dessen "Gejammere".

Raab wies darauf hin, dass nach 66 Interviews und 44 schriftlichen Stellungnahmen lediglich zwei von mehreren Dutzend Vorwürfen bestätigt worden. Dabei geht es um Zwischenfälle während der Amtszeit des Vizepremiers als Außenminister unter Premier Boris Johnson. Im Foreign Office sei der Minister einschüchternd aufgetreten, was seine Gegenüber als demütigend empfinden mussten, schreibt Tooley. In einem Fall bescheinigt er Raab sogar Rachsucht gegen einen bestimmten Beamten. Offenbar ging es dabei um eine Brexit-Vereinbarung, die britische Kronkolonie Gibraltar betreffend.

Raab war selbst sechs Jahre in der Rechtsabteilung des Foreign Office tätig, ehe er in die Politik ging. Seinen Arbeitsstil nannte der Ex-Minister gegenüber dem Untersuchungsführer "unerbittlich, direkt, ungeduldig, anspruchsvoll". Sein Arbeitstag dauere von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr; zielloses Gerede unterbreche er; wenn eine Aufgabe nicht zu seiner Zufriedenheit erledigt worden sei, "wird er das normalerweise sagen", resümiert Tolley. Offenbar äußerte sich der Politiker immer wieder "frustriert" über die Qualität von Aktenstücken und das langsame Tempo von Beamten. Der Untersuchungsführer hält Raab für dogmatisch und wenig an Nuancen interessiert.

"Dim Dom"

Das Dokument wird die Diskussion über das schwierige Verhältnis zwischen der ideologischen Brexit-Regierung und der parteipolitisch unabhängigen Berufsbeamtenschaft in London neu anfachen. Viele eingefleischte Brexiteers wie Raab verdächtigen die Ministerialbeamten, sie würden nicht mit aller Kraft für die Umsetzung des Regierungsprogramms arbeiten, wie es eigentlich ihre Aufgabe sei. Hingegen kontern Spitzenbeamte, zur korrekten Arbeit gehörten auch Einwände gegen nutzlose, gefährliche oder gar rechtswidrige Gesetzesvorhaben.

Raab gehört zur Gruppe jener Konservativen vom harten rechten Flügel, die erst nach dem Brexit Karriere machten. Den Posten als Chef des mittlerweile aufgelösten Brexit-Ressorts bekleidete er lediglich vier Monate, im Foreign Office war er hinter vorgehaltener Hand als "dämlicher Dominik", englisch: Dim Dom, bekannt. Das prestigeträchtige Ressort verlor er 2021, weil er während des chaotischen Rückzugs westlicher Helfer und Soldaten aus Afghanistan im Urlaub verharrte. (Sebastian Borger aus London, 21.4.2023)