Was erfüllenden Sex ausmacht, ist sehr individuell. Jedoch kann er sich positiv auf die Gesundheit auswirken, etwa weil er ein Gefühl von Nähe gibt und hilft, Stress abzubauen.

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Erfüllte Beziehungen und lustvolle Sexualität machen uns glücklich und sogar gesünder. So viel ist klar und recht gut erforscht. Doch dann stellen sich schon die ersten Fragen. Denn Menschen definieren positive sexuelle Erlebnisse ganz unterschiedlich – was für den einen großartig ist, wirkt auf die andere womöglich ganz anders. Deshalb ist das Thema für die Forschung sehr herausfordernd. Wann ist Sex eigentlich wirklich "gut", und ab welchem Zeitpunkt wirkt er sich positiv auf unsere Gesundheit aus?

"Viele Studien sind ziemlich undurchsichtig. Was erfüllenden Sex für jemanden ausmacht, ist sehr individuell", sagt die Sexualtherapeutin Magdalena Heinzl, die mit ihrem Podcast "Sexologisch" Aufklärungsarbeit leistet. "Für manche ist Sex ohne Schmerzen schon ein positives Erlebnis. Für andere muss er atemberaubend gewesen sein, um ihn als lustvoll zu bezeichnen."

Der Anspruch, aufregenden Sex zu haben, kann bei manchen sogar Stress auslösen, statt ihn abzubauen. Wie guter Sex sein soll, ist oft von äußeren Vorgaben geprägt, aber "durch dieses Bild von außen verlieren wir oft den Bezug zu unserem Körper und spüren uns weniger", erklärt Heinzl. Ohne dieses Spüren funktioniere lustvolle Sexualität aber nicht. "Die eigenen Bedürfnisse zu kennen bedeutet oft schon eine große Herausforderung", sagt sie. Diese auch wirklich zu kommunizieren sei noch einmal eine andere Baustelle.

Erektionsstörungen als Gesundheitsbarometer

Geht es um Sex und Gesundheit, denken viele zuerst an Funktionsstörungen oder daran, dass die Fortpflanzung nicht klappt. Dabei kann das Liebesspiel auch den Gesundheitszustand positiv beeinflussen, dazu gibt es immer mehr Studien. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht das ähnlich: Die sexuelle Gesundheit ist mit dem Wohlbefinden, der Lebensqualität und der Gesundheit insgesamt verbunden, stellt sie fest.

"Wir wissen von vielen Studien, dass ein erfülltes Sexualleben die Lebenserwartung, die Resilienz und die Überlebenschance bei Erkrankungen erhöht", sagt die Sexualmedizinerin Miriam Mottl. Diesem Thema sei in den vergangenen Jahren vermehrt Aufmerksamkeit zuteilgeworden, auch in der Forschung. "Die Medizin hat erkannt, dass Prävention auch mit der Sexualität beginnt", sagt die Ärztin.

Umgekehrt ist es auch ein Zeichen, wenn es mit dem Sex auf einmal nicht mehr so gut klappt. Würden etwa plötzlich sexuelle Störungen auftreten, könnte das auf ein gesundheitliches Problem wie Diabetes hindeuten, sagt Mottl. "Studien haben außerdem den Zusammenhang von Erektionsstörungen bei Männern und später auftretenden Herzinfarkten aufgezeigt."

Gender-Gap beim Gesundheitsnutzen

Männer und Frauen profitieren dabei nicht in gleicher Weise von lustvoller Sexualität. Bei Frauen senkt sie das Risiko von Bluthochdruck, für Männer bedeuten häufige Orgasmen ein höheres Risiko für Herzinfarkte, findet eine Studie. Dafür wurden über 2.200 Männer im Alter zwischen 57 und 85 Jahren untersucht. Die Forschenden führten ihre Erkenntnisse unter anderem auf den Stress zurück, den Sexualität für die Männer bedeute. Beispielsweise wegen des Drucks, eine Erektion zu bekommen. Und auch Medikamente, die die Erektion unterstützen, erhöhen das Risiko. Zusätzlich spielt wohl auch der mit fortschreitenden Jahren ganz normale Rückgang des Sexualhormons Testosteron eine Rolle.

Menschen mit bereits bestehenden Herzproblemen müssen sich beim Sex aber nicht allzu sehr schonen oder gar Angst haben. Kardiologinnen und Kardiologen aus London haben 6847 Autopsieberichte durchgesehen: Nur in 17 Fällen, elf davon waren Männer, gab es einen zeitlichen Zusammenhang mit sexueller Aktivität, das sind 0,2 Prozent. Trotzdem sollten Herzpatientinnen und -patienten bei ärztlichen Untersuchungen dieses Thema offen ansprechen.

Sex als Schmerzmittel?

In den vergangenen Jahren wurde auch die weibliche Sexualität vermehrt in den Fokus der Forschung gerückt, die Krankheit Endometriose wurde etwa in Zusammenhang mit dem Sexualleben erforscht, berichtet Mottl. Und auch gleichgeschlechtliche und queere Partnerschaften werden erforscht. Eine Studie etwa kam zu dem Schluss, dass Frauen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen vermehrt mit Endometriose und Vaginismus zu kämpfen haben. "Warum das so ist, hat man aber noch nicht herausgefunden."

Generell lasse die Aussagekraft vieler Studien zu wünschen übrig. Das Problem liege dabei oft an den Ausschlusskriterien, die Sexualmedizinerin Mottl an einem Beispiel veranschaulicht: "Bei vielen Studien wurden Frauen ausgeschlossen, die nicht vaginal zum Orgasmus kommen können, das sind etwa zwei Drittel." Bei einer anderen Untersuchung zum Schmerzempfinden nahmen ausschließlich Personen teil, die sexuell aktiv waren. "Viele Menschen haben aber keinen Sex, wenn sie gerade an Schmerzen leiden", kritisiert die Medizinerin. Generell könne ein erfülltes Sexualleben aber dazu beitragen, das Schmerzempfinden positiv zu beeinflussen.

"Beim Sex werden nämlich Hormone ausgeschüttet, die für gute Stimmung sorgen und dazu führen, dass wir Schmerzen weniger spüren", weiß Mottl. Auch Oxytocin wird freigesetzt, besser bekannt als "Kuschelhormon", das bereits durch Hautkontakt ausgeschüttet wird und unser Bindungsverhalten beeinflusst. "Das tolle Gefühl nach dem Sex beschreiben viele als befriedigender als die Empfindung beim Sex per se", erzählt Sexualtherapeutin Magdalena Heinzl. Das Loslassen der Anspannung durch den Orgasmus wirke beruhigend.

Mit Sex gegen Stress

Auf hormoneller Ebene wirkt Geschlechtsverkehr auch stressreduzierend: "Nähe und Intimität können den Cortisolspiegel senken", erklärt Mottl. Das sei aber trotzdem sehr individuell zu betrachten. Auch die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit sind sowohl von der persönlichen Einstellung zu Sex als auch von den Gründen, warum man ihn gerade hat, abhängig, fügt Heinzl hinzu: "Manche haben nur Sex, weil sie glauben, es 'gehöre so' oder werde von ihnen erwartet. Andere wollen mit dem Partner verschmelzen."

Aber auch die gesundheitlichen Vorteile der Selbstbefriedigung sollte man nicht übersehen. Nähe und Geborgenheit würden dabei zwar fehlen, aber: "Masturbation kann sehr erfüllend sein und sollte nicht unterschätzt werden, auch wenn sie selten eine fehlende Beziehung ausgleichen kann", sagt Mottl. Eine Beziehung wirkt nämlich auch insofern auf die Gesundheit positiv, dass nur durch Kontakt und Austausch von Körperflüssigkeiten das Immunsystem aktiviert wird. Wobei man dabei wiederum auf sexuell übertragbare Krankheiten achten muss, die ein großes Risiko für die Gesundheit sind.

Masturbation für die Prostata

Letztlich könnten viele Orgasmen auch vor Krebs schützen. Mehrere Studien haben untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen häufiger Ejakulation, egal ob durch Masturbation oder Geschlechtsverkehr, und dem Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken, gibt. Bei einer Untersuchung wurden Männer sogar über 40 Jahre begleitet. Es scheint eine gewissen Schutzwirkung zu bestehen. Wie das Faktencheckportal "Medizin Transparent" berichtet, könnten aber auch andere Faktoren für diese Ergebnisse verantwortlich sein. Es wäre demnach denkbar, dass die sexuelle Lust und das verminderte Krebsrisiko mit den Sexualhormonen zusammenhängen. Ob Sex und Selbstbefriedigung wirklich der Schlüssel zur Krebsprävention sind, bleibt also fraglich.

Was man allerdings weiß: Wenig körperliche Nähe kann negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. "Im Laufe der Pandemie sind gute Studien entstanden, die gezeigt haben, dass wenig menschlicher Kontakt krankmachen kann, und das auf vielen Ebenen", erklärt Sexualmedizinerin Mottl. Die Auswirkungen seien dabei aber sehr individuell: "Sie können von einem leicht reduzierten Immunsystem bis hin zu psychischen Beschwerden reichen." (Sabrina Kraußler, 24.4.2023)