Die Klimaproteste der Letzten Generation, die hierzulande immer öfter den Autoverkehr lahmlegen, sind hochumstritten. Zuletzt distanzierte sich sogar der deutsche Ableger der Klimaaktivistengruppe Fridays for Future von der Art der Proteste.

Nun stellten sich etwa 1.400 Fachleute aus dem deutschsprachigen Raum hinter die Klimaproteste. Bei einer Pressekonferenz am Freitag forderten sie die Politik auf, im Umgang mit Klimaaktivismus neue Töne anzuschlagen. Sie seien besorgt, dass die Gewalt gegen Mitglieder der Letzten Generation zunehmend eskaliere, hieß es dort. "Die Debatte entwickelt sich in die falsche Richtung", sagte die österreichische Medienethikerin Claudia Paganini, die die Aktion initiierte.

Mit Wasser werden die Hände der Aktivistinnen und Aktivisten von der Straße gelöst.
Foto: APA/dpa/Paul Zinken

Die Forscherinnen und Forscher veröffentlichten am Freitag eine Erklärung unter dem Motto "Handeln statt Kriminalisieren". Zwar gingen manche Protestformen an die Grenzen des Erträglichen in einem demokratischen Rechtsstaat. "Sie sind unseres Erachtens jedoch Ausdruck eines letzten Mittels, um die zuständigen politischen Akteurinnen und Akteure wie die Gesellschaft insgesamt zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung zu bewegen", hieß es in der Erklärung. Man zeige sich deshalb voll solidarisch mit den Protestierenden und wolle zu einer "Versachlichung der Debatte beitragen".

Warnung vor Gewalt

"Das Internet ist mittlerweile voll von Videos, wo Aktivistinnen und Aktivisten in den Bauch getreten wird, sie in den Bauch geschlagen oder gewürgt werden", sagte Paganini, die an der Münchner Hochschule für Philosophie lehrt. "Sie werden als 'Buh-Leute' dargestellt." Man habe deshalb ein Zeichen setzen wollen.

Es sei insgesamt noch nicht genug Unterstützung für die Anliegen der Aktivisten vorhanden, betonte der Innsbrucker Theologe Willy Guggenberger auf der Pressekonferenz. "Auch im kirchlichen Bereich", so Guggenberger, der die Theologische Fakultät an der Uni Innsbruck leitet. Der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn betonte zuletzt in der ORF-"Pressestunde", dass er die Anliegen der Aktivisten unterstütze. "Ich kann die Sorgen und die Wut der jungen Menschen Nachempfinden", sagte Schönborn eine Woche vor Ostern in der ORF-Sendung.

Unter den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern der Erklärung sind Forschende aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. In Österreich unterstützen das Statement unter anderen der Wirtschaftswissenschafter Leonhard Dobusch, der Theologe Wolfgang Palaver und die emeritierte Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb.

"Die Politik und die Wirtschaft reagieren nicht angemessen auf die Dringlichkeit des Klimaproblems", sagte Kromp-Kolb. "Junge Leute, die auf diese Verantwortungslosigkeit hinweisen, werden kriminalisiert." Diesen Zustand finde sie "inakzeptabel". "Es soll mir jemand einmal erklären, wie das den Aktivisten Spaß machen kann, sich auf die Straße zu setzen. Das sind ja keine Masochisten und machen das aus Jux."

Eine Gruppe der Letzten Generation blockiert den Straßenverkehr in Graz.
Foto: APA/LETZTE GENERATION ÖSTERREICH

Die Letzte Generation kündigte zuletzt "Mega-Aktionswochen" für den Mai an. Für drei Wochen sollen erneut wichtige Verkehrsknotenpunkte blockiert werden. Die Protestwelle werde jedenfalls die größte bisher, erklärte Sprecher Florian Wagner.

Die Klimaschutzbewegung geriet jüngst durch den Fall der deutschen Aktivistin Anja Windl in die Schlagzeilen. Die 26-jährige Studentin, die in Graz wohnt, soll nach Teilnahme an den Aktionen der Letzten Generation in Wien und Klagenfurt aus Österreich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ausgewiesen werden. Der Ausgang des Verfahrens sei noch immer offen, hieß es von Windl dazu.

Das zuständige Innenministerium steht seitdem in der Kritik. Die Scientists for Future zeigten sich am Freitag in einer Aussendung solidarisch mit Windl. Man schließe sich dem Aufruf vieler Kolleginnen und Kollegen an, um endlich in der Klimakrise angemessen zu handeln, hieß es.

Unterstützung von der Universitätenkonferenz

Zuletzt sprach auch die österreichische Universitätenkonferenz (Uniko) für die Klimaproteste aus. Das sei nötig "angesichts der geringen Ambition der Regierung bei der Umsetzung der Klimaziele". Man stelle sich solidarisch hinter die große Gruppe führender Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die disziplinen- und universitätsübergreifend nicht müde werde, auf die dramatischen Folgen der Klima- und Biodiversitätskrise hinzuweisen, hieß es in einer Aussendung. Warnungen der Wissenschaft und Anliegen friedlicher Formen des zivilen Protests müssten ernst genommen werden.

"Angesichts der Dramatik des Klimawandels und der verheerenden Auswirkungen, die uns allen drohen, braucht es ein radikales und sofortiges Umdenken", appellierte die Präsidentin der Uniko, Sabine Seidler. "Die Faktenlage ist erdrückend. Konkrete Vorschläge und Lösungsansätze liegen am Tisch. Es müssen nun endlich Taten folgen."

Die Kritik an der Letzten Generation dreht sich meist um Zweifel an der Zielgerichtetheit der Aktionen. Sie würden der Sache eher schaden. Eine Studie des Hamburger Climate, Climatic Change and Society Cluster (Cliccs) nannte in einem im Februar veröffentlichten Bericht Aktivismus im Allgemeinen als wichtigen Mechanismus, um die Klimaerwärmung zu stoppen. Dass das 1,5-Grad-Ziel verfehlt werden wird, liege vor allem am zu langsamen gesellschaftlichen Wandel. "Die erforderliche tiefgreifende Dekarbonisierung geht einfach zu langsam voran", warnte damals die Sprecherin von Cliccs. Das Zwei-Grad-Ziel könnte immer noch erreichbar sein, wenn Lücken in Bezug auf die Ambition, die Umsetzung und das Wissen über Klimamaßnahmen geschlossen würden, hieß es in dem Bericht. (APA, rkl, 21.4.2023)