Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat durch sein Eintreten für E-Fuels eine Debatte losgetreten und viel Aufmerksamkeit auf das Thema Auto gelenkt.
Foto: Christian Fischer

Steyrer Automobilgeschichte zu inhalieren heißt vor allem, in einem Steyr 50 Platz zu nehmen. Schiebedach händisch öffnen, Strom anstellen, Choker ziehen, Startknopf bedienen. Der wassergekühlte Vierzylinder-Boxermotor mit 22 PS springt im Idealfall auch nach Jahrzehnten auf den ersten Zupfer an. Zuerst ist es ein vorsichtiges Nuckeln unter der runden Schnauze, doch die Lust auf mehr ist geweckt. Bussi, Baby – mit Zwischengas.

Zu Jahresbeginn 1936 brachte Steyr seinen ersten Kleinwagen auf den Markt. Man baute das liebevoll "Baby" genannte Auto rahmenlos – also selbsttragend in Stromlinienform. Der Vierzylinder-Boxermotor war neu und saß weit vorne. Dadurch ergab sich viel Platz im Innenraum. Das Baby wurde zum großen Wurf: Mit 13.000 produzierten Stück sind der Typ 50 und die modifizierte Nachfolgeversion Typ 55 das erfolgreichste Pkw-Modell von Steyr-Daimler-Puch.

Auspuff-Dramen

Die österreichische Fahrzeuggeschichte ist untrennbar mit der oberösterreichischen Statutarstadt Steyr verbunden. Josef Werndl legte 1856 den Grundstein, als er mit 25 Jahren die Waffenfabrik seines Vaters übernahm. Sie war Vorläuferin der österreichischen Waffenfabriks-Gesellschaft (ÖWG), aus der die Steyr-Werke (1926) und die Steyr-Daimler-Puch AG (1934) hervorgingen.

In Steyr wurde Automobilgeschichte geschrieben – in vielen Akten, stets angesiedelt zwischen Lustspiel und Tragödie, Erfolg und Niedergang. Dennoch: Die Automotive-Industrie ist heute der größte Wirtschaftssektor in Oberösterreich. 280 Unternehmen mit mehr als 31.000 Beschäftigten zählen dazu.

Doch die Zeiten sind turbulent, zuletzt spürbar etwa 2021 beim Verkauf von MAN Steyr. Das Traditionsunternehmen steht heute im Eigentum von Ex-Magna-Chef Siegfried Wolf, der das Werk in schlankerer Form unter dem Namen Steyr Automotive fortführt.

Wenig verwunderlich also, dass der jüngste Zwist auf der Regierungsbank ebenso zu einem guten Teil zwischen den denkmalgeschützten Zeugen früher Industrialisierung in Oberösterreich ausgetragen wird. Sand ins schwarz-grüne Getriebe ist ja aktuell durch die unterschiedliche Ausrichtung in Mobilitätsfragen gekommen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist für "Technologieoffenheit", wenn es um das Auto von morgen geht. Zuletzt hatte sich Nehammer stark für das Thema E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, eingesetzt und dafür viel Kritik geerntet. Nach Ansicht vieler Expertinnen und Experten ist der Einsatz synthetischer Kraftstoffe im Vergleich zu Elektroautos nicht energieeffizient. Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) spricht sich hingegen klar für die E-Mobilität aus.

Elektrobrummer

Um ihre Standpunkte zu untermauern, wählte Gewessler an diesem regnerischen Frühlingsmorgen eine Europapremiere in Steyr. Doch es ist ein schlechter Tag für Zugfahrer in Österreich. Ein Stellwerkproblem legt den Bahnverkehr im Osten lahm und durchkreuzt auch Gewesslers Tagesplan.

In ministerieller Begleitung sollte eigentlich bei Steyr Automotive die Präsentation des Serienstarts des vollelektrischen Volta Zero des schwedischen Unternehmens Volta Trucks über die Bühne gehen. Für die Produktion der Elektro-Lkws ist in Steyr eine Kapazität von 14.000 Fahrzeugen pro Jahr reserviert. Bereits unmittelbar nach der Übernahme durch Wolf hatte Steyr Automotive verkündet, mit den schwedischen Elektrogründern handelseins zu sein.

Produktion in Hälfte der Zeit

Gewessler betritt, wenn auch mit Verspätung, gut gelaunt die Bühne der Vollelektrik. Sie folgt begeistert den Ausführungen von Volta-Trucks-Mitbegründer und Geschäftsführer Kjell Walöen: "Von der Vorstellung eines Konzepts über die Konstruktions-, Entwicklungs- und Qualitätsphase bis zum Beginn der Serienproduktion dauerte es lediglich 2,5 Jahre. Das ist halb so lange wie andere Lkw-Hersteller benötigen." Der Volta Zero ist das weltweit erste vollelektrische 16-Tonnen-Nutzfahrzeug, das speziell für den innerstädtischen Warenverkehr entwickelt wurde.

Und offensichtlich auch dafür, um der Politik entsprechend Platz zu bieten. Mit einem breiten Lächeln nimmt Gewessler in der Fahrerkabine Platz. Es sind die Bilder, die man in Zeiten, in denen der Koalitionspartner Verbrenner und E-Fuels lobpreist, so dringend braucht. Auch für das eigene Ego.

Dem Vernehmen nach soll Gewessler ob der Nichteinladung zum Autogipfel von Bundeskanzler Karl Nehammer am Mittwoch vergangener Woche entsprechend verschnupft gewesen sein. Daher noch einmal zur Klarstellung, bei Steyr Automotive, wird Gewessler deutlich: "In der E-Mobilität liegen für Österreich und Europa enorme Chancen: mehr Klimaschutz, mehr Lebensqualität in unseren Städten und zukunftssichere Arbeitsplätze. Ich bin wirklich stolz, dass diese Fertigung in Österreich stattfindet."

Mit synthetischen Kraftstoffen betankt, sollen Verbrennerautos auch nach 2035 neu zugelassen werden. Klima- und Umweltexperten halten das für verkehrt. Befürworter halten hingegen die Argumente, synthetische Kraftstoffe seien ineffizient und schwer verfügbar, für falsch.
Foto: Christian Fischer

Unter Strom

Nur wenige Autominuten von Steyr Automotive entfernt liegt das größte Motorenwerk von BMW. Im Vorjahr hat sich der Münchner Autobauer entschlossen, in Steyr einen eine Milliarde schweren Transformationsprozess hin zu E-Mobilität zu starten. BMW Steyr als bisheriges Zentrum für den Bau von Verbrennungsmotoren – im Vorjahr wurden noch 1,1 Millionen Stück gefertigt, davon 350.000 Diesel, der Rest Benziner – wird künftig zum Zentrum für Elektromotoren.

Es regnet auch an jenem Frühlingsnachmittag, ein paar Tage später, als Bundeskanzler Karl Nehammer dort einem schwarzen Audi-A8-Plug-in-Hybrid entsteigt. Das Dienstauto des Kanzlers ist ein Drei-Liter Benziner, gepaart mit einem Elektromotor (449 PS). Man mag den Audi im BMW-Werk samt ideologisch zweigeteiltem Antrieb auf die Liste der Widersprüche setzen, doch den Werksleiter des BMW-Werks in Steyr, Klaus von Moltke, scheint das nicht aus der Ruhe zu bringen. Von Moltke stellt klar, dass die Nieren künftig vor allem blau strahlen – im Fall eines Homo sapiens höchst besorgniserregend, ist es bei BMW die Zukunft unter der Haube.

Eisernes Lächeln

E-Autos seien ein wesentlicher Baustein der Zukunft. BMW forsche nicht an E-Fuels, stellt von Moltke klar. "Wir setzen klar auf den Elektroantrieb, sein Wirkungsgrad ist sensationell, und er wird den Verbrennungsmotor in puncto Leistungsfähigkeit noch in diesem Jahrzehnt überholen."

Der Kanzler vernimmt die Botschaft, doch das eiserne Lächeln hält. Der vorgezeichnete Weg führt Karl Nehammer zunächst in den Ausbildungsbereich. BMW-Lehrlingen wird die Bühne geboten, ihre Tätigkeit im Werk zu erklären. Lea Postuvanschitz ist im dritten Lehrjahr und meint, dass "die Veränderung aktuell ziemlich groß ist. Eine spannende Herausforderung, und die E-Mobilität ist ein wichtiger Teil für die Zukunft." Aber: "Das Aus für die Verbrenner ist nicht fix, wir bauen diese Motoren ja auch noch weiter."

Bei BMW durften Auszubildende über ihre Tätigkeiten erzählen.
Foto: Christian Fischer

Schwarze Offenheit

Diesen Balsam für die geschundene Kanzler-Seele vernimmt Karl Nehammer aber nicht mehr. Längst ist er mit seiner Entourage schon weiter in Richtung Montagehalle geeilt. Für die zahlreichen Fotografen posiert der Kanzler dann zwischen einem Diesel-, einem Elektromotor und einem Wasserstoffantrieb. Ein hohes Maß an Konsequenz, was das Bild eines Politikers zwischen allen Autositzen anbelangt, kann man dem Bundeskanzler wahrlich nicht absprechen.

Dort, wo künftig bei BMW der Strom aufgedreht werden soll, befindet sich noch eine große Baustelle. Zwei Hallen mit einer Fläche von 80.000 Quadratmetern, in denen 800 Mitarbeiter rund 300 bereits konzipierte Maschinen und Anlagen bedienen werden, entstehen in Steyr.

"Ein Auto, in dem man überlebt!"

Es ist auch der Ort, an dem die politische Botschaft an die Welt der E-Jünger entsendet werden soll. Österreich sei ein "Autoland", bekräftigt Nehammer noch einmal. 300.000 Menschen seien direkt oder indirekt in dieser Branche tätig. Ihre Zukunft verlange neben Nachhaltigkeit auch Innovation und Technologieoffenheit. Sein Besuch bei BMW sei kein Widerspruch zu Wasserstoff und den damit zusammenhängenden E-Fuels, sagt Nehammer. Auch Umweltministerin Gewessler sehe "übrigens" deren Einsatz etwa bei Schiffen, Lkws, in der Luftfahrt oder eventuell auch bei der Eisenbahn als erforderlich an.

E-Fuels oder E-Antrieb waren für den großen Kapitalismuskritiker Bert Brecht wohl kein Thema. Dennoch war Brecht ein Autonarr. Und ein Fan der Modelle aus Steyr. Ein Auftragsgedicht brachte ihm ein Steyr-Auto ein. 1929 fuhr er damit gegen einen Alleebaum, blieb unverletzt und bekam ein neues Auto, weil die Firma sofort damit Werbung machte: "Ein Auto, in dem man überlebt!"

Steyr ist eben mitunter auch ein guter Boden, um sich elegant aus verfahrenen Situationen hinauszumanövrieren. (Markus Rohrhofer, 22.4.2023)