Samstag, 4. März, nahe Washington: Der Podcaster Michael Knowles fordert auf der rechten Vernetzungskonferenz CPAC unter Beifall die "komplette Auslöschung des Transgenderismus aus dem öffentlichen Leben". 4. April, Nashville: Der Musiker Kid Rock schießt auf Dosen der Marke Bud Light, weil die Firma eine Transfrau als Werbegesicht engagierte. 16. April, Wien: Rund 200 Menschen stehen vor der Türkis Rosa Lila Villa und demonstrieren auf Einladung großteils rechtsextremer Gruppen gegen die Kinderbuchlesung von Dragqueen Freya van Kant. "Heimat, Freiheit, Tradition – Globohomo Endstation" ist einer ihrer Kampfrufe.
Die Vorfälle sind unterschiedlich, aber sie haben eines gemeinsam: Sie sind Teil einer neuen Kampagne der globalen Rechten gegen alles, was Geschlechtszuschreibungen bei der Geburt infrage stellt. Die Stimmungsmache kommt aus den USA – und ist dort eine neue Wahlkampfhoffnung der Konservativen.
Lobby ohne Daseinszweck
In den USA identifizieren sich rund 1,6 Millionen Menschen als trans, also nicht mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde – bei einer Einwohnerzahl von rund 330 Millionen. Wie sind sie zu einem der wichtigsten Feindbilder der Republikaner geworden? Und: Wie hat sich die Debatte so internationalisiert, dass sie auch in Österreich Proteste befeuert und dass Russlands Präsident Wladimir Putin in einer Rede vor Familien warnt, in denen es nur noch "Elternteil eins bis drei", aber keine Mütter und Väter mehr gebe?

Der Hintergrund, berichtete die New York Times in einer Analyse, liegt in einer bewussten Entscheidung wertkonservativer und christlicher Gruppen in den USA. Sie nämlich fanden sich zuletzt als große und wohlfinanzierte Gruppe wieder – der allerdings der Daseinszweck abhandengekommen war. In einem wichtigen Punkt, den sie jahrzehntelang beackert hatten, haben sie nämlich verloren: Die Ehe für alle ist in den USA nicht nur seit 2015 Realität, sondern fast zum gesellschaftlichen Konsenspunkt geworden. Eine Umfrage aus dem Jahr 2022 zeigt, dass 65 Prozent der Bevölkerung sie befürworten – auch die Hälfte der Republikaner.
Das andere große Thema der Kulturkrieger war der Kampf gegen die Abtreibung. Doch der macht gleich mehrfach Probleme. Zum einen, weil der wichtigste Sieg seit der Aufhebung von Roe v. Wade durch den Supreme Court 2022 errungen ist. Und zum anderen, weil sich diese Entscheidung als so unpopulär entpuppt hat, dass sie die Republikaner seither immer wieder massiv Stimmen kostet.
Verknüpfung mit Kinderschutz
Der Kampf um die Geschlechtsidentität aber verfängt. Vor einigen Jahren hatte das Thema noch keine so breite Unterstützung: 2016 wurde in North Carolina ein Gesetz verabschiedet, das Transpersonen untersagte, jene WCs zu nutzen, die mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmen. Der Widerstand von Unternehmen, Sportteams und Stars wie Bruce Springsteen war groß. Er führte schließlich zu so hohen wirtschaftlichen Einbußen für den Bundesstaat, dass das Gesetz wieder zurückgezogen wurde. Andere Staaten beschlossen später solche Gesetze, Wahlkampfgold waren sie aber nicht.
Dann kam die Erleuchtung: Was, wenn man das Thema mit Kinderschutz verknüpft? Zunächst kamen die Kampagnenteams auf das Thema Schulsport. Sollen Transpersonen nur in Sportteams spielen, die dem Geschlecht entsprechen, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde? In einer Umfrage aus dem Jahr 2022 sprachen sich 58 Prozent dafür aus. In den polarisierten USA ist das eine Menge. Mittlerweile haben 21 Bundesstaaten Gesetze erlassen, die Schulen zur Strenge verpflichten. Sie dürfen Schülerinnen und Schüler nicht mehr einfach in jenen Sportteams antreten lassen, die ihrer eigenen Geschlechtsidentität entsprechen, wie eine Aufstellung des progressiven Thinktanks Movement Advancement Project (MAP) zeigt.
Es bleibt bei weitem nicht beim Sport. Allein 2023 wurden in den USA bereits mehr als 400 Anti-LGBTIQ-Gesetzesvorlagen in die Parlamente der Bundesstaaten eingebracht. Auch der Bereich, der in den USA "gender-affirming health care" heißt, steht im Fokus. Damit ist medizinische Versorgung gemeint, die zu jenem Geschlecht "passt", mit dem sich die Betroffenen identifizieren. Bei Minderjährigen geht es in der Regel um den Einsatz von "puberty blockers", die die Pubertät verzögern, also dafür sorgen, dass es zu keiner Entwicklung von Brustwachstum, Bartwuchs oder Stimmbruch kommt. Das kann Zeit schaffen, um im Erwachsenenalter über Hormontherapien oder geschlechtsangleichende Operationen nachzudenken. Mehr als ein Dutzend Bundesstaaten hat bereits ein Verbot der von Fachleuten empfohlenen medikamentösen und chirurgischen Behandlungsschritte von Transjugendlichen beschlossen, die Studien zufolge das sehr hohe Suizidrisiko bei Betroffenen senken.
Dabei steht vor jedem dieser Schritte ärztliche Beratung, auch die Zustimmung der Eltern ist erforderlich. Ein an sich übliches Vorgehen, genauso ist es bei Schönheitsoperationen. Und weitergehender als bei anderen hormonellen Maßnahmen: Verhütungsmittel wie Pille oder Spirale gibt es in den meisten Bundesstaaten ohne elterliche Zustimmung.
Politiker wie Ron DeSantis aber kümmert das wenig. Der Gouverneur Floridas, der sehr wahrscheinlich 2024 Präsident werden will, hat es in der Politik mit dem Kulturkrieg vielleicht noch stärker zur Meisterschaft gebracht als Donald Trump: Gegen den Disney-Konzern führt er einen Kleinkrieg, weil das Unternehmen ein Gesetz zu Sexualkunde kritisiert hatte. DeSantis verbot damit Lehrkräften, Kinder vor der Oberstufe über Homosexualität und Geschlechtsidentität aufzuklären. Mittlerweile wurde das Gesetz auf alle Schulstufen ausgedehnt. Auch hatte DeSantis im Zuge seiner Bildungspolitik Bücher zum Thema aus Schulbibliotheken entfernen lassen. Dem Hyatt-Hotel in Miami drohte er außerdem im Dezember, die Lizenz zur Alkoholausschank zu streichen, weil dort die Show A Drag Queen Christmas zur Vorführung gebracht wurde, in die Eltern ihre Kinder mitnehmen durften.
In Österreich trommelten neben rechtsextremen Gruppen wie den Identitären um Martin Sellner auch die Wiener FPÖ und ÖVP gegen Freya van Kant und angebliche "Frühsexualisierung". Die FPÖ rief auch zur Demo gegen die Veranstaltung am Sonntag auf.
Seite an Seite mit Sellner, dem Spendenempfänger des Christchurch-Attentäters, waren dort auch Mitglieder der FPÖ-Jugend. Auf Telegram und in einem Gespräch auf der einschlägigen Internetplattform Odysee analysiert Sellner danach, dass seinesgleichen mit dem Thema wohl nicht so gut mobilisieren könnten: "Die Linken waren doch wesentlich mehr, und ihre Versammlung hat auch wesentlich länger gedauert." Aufgeben wolle er aber nicht: Eltern, die bei der Lesung waren, würden, "wenn wir was politisch zu sagen haben, nachträglich zur Rechenschaft gezogen". Er finde das "schlimmer und abstoßender" als "Frauenbeschneidung bis hin zu Kannibalismus und moderner Sklavenhaltung" und schäme sich für Österreich. Wo es ihm diesbezüglich besser gefalle? Usbekistan, Belutschistan, Iran, Saudi-Arabien, Ghana, China.
Kleine Minderheit
Dort, wo diese Art Politik funktioniert, tut sie dies vielleicht auch, weil sie vieles vorspiegelt, das nicht existiert. Lesungen von Dragqueens werden als sexualisierte Bühnenperformances gebrandmarkt – auch wenn dort in Wahrheit nur altersgerechte Kinderbücher vorgetragen werden. Zudem wird der Maßstab verzerrt. Die Hoffnung, ihr Leben abseits des bei der Geburt eingetragenen Geschlechts selbst gestalten zu dürfen, betrifft nur eine kleine Minderheit – dies dafür zutiefst persönlich und existenziell. Deutlich weniger als ein Prozent der US-Bevölkerung begreift sich selbst als trans, weltweit sollen es 0,3 bis 0,6 pro hundert Menschen sein, in Österreich liegt der Wert laut Sozialversicherung noch darunter.
Wird die Frage aber lang genug politisch bespielt, kann sie zum existenziellen Thema der Mehrheitsgesellschaft aufgeblasen werden – zu einer Bedrohung, die, auch wenn man sie als solche wahrnimmt, gar nicht existiert. Wie sehr, zeigt eine YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2022. Wie viel Prozent ihrer Landsleute, schätzen Amerikaner, seien wohl trans? 21, lautete die überraschende Antwort. Das wäre jede fünfte Person – statt, wie es wirklich ist, rund jede zweihundertste. (Manuel Escher, Noura Maan, Colette M. Schmidt, 22.4.2023)