Am 12. Mai will Nintendos sein Vorzeigeabenteuer "The Legend of Zelda" in himmlische Höhen schrauben.

Foto: Nintendo

Unter den Füßen von Link ziehen Wolken vorbei. 1.000 Meter über dem Boden wirkt Hyrule winzig, und doch gibt es von hier oben so viel zu entdecken. Was sich wohl im leuchtenden Turm da unten auf dem Bergkamm verbirgt? Dafür ist jetzt keine Zeit. Der Held geht kurz in den Sturzflug über, beschleunigt, um dann doch wieder zum Parasegel zu wechseln und sanft auf dem Boden zu landen – immer noch hunderte Meter über dem Königreich, wo sich weitläufige Inselteppiche erstrecken. Sie sind der Kern der Veränderungen in "The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom" – und doch strahlen sie sofort die gleiche Magie aus, die an frühere Abenteuer des Helden erinnert.

Traditionell offen

Dabei sind bereits mehr als sechs Jahre vergangen, seitdem Nintendo mit dem letzten, inhaltlich neuen Hauptabenteuer begeisterte: "The Legend of Zelda: Breath of the Wild" wurde Anfang März 2017 zeitgleich mit der hybriden Spielkonsole Switch veröffentlicht und gilt nicht nur für die Serie als richtungsweisendes Meisterwerk, sondern generell als Meilenstein für Open-World-Spiele. Bei der Zelda-Reihe hat das fast schon Tradition, denn die mehr oder weniger freie Erkundung einer märchenhaften Phantasywelt ist seit dem ersten Spiel 1987 immer wiederkehrendes Charakteristikum.

Das Erkunden einer freien Spielwelt steht auch in "Tears of the Kingdom" an der Tagesordnung.
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Umso größer ist die Spannung für Millionen von Zelda-Fans vor der Veröffentlichung jedes neuen Teils. "Tears of the Kingdom" ist da keine Ausnahme: Das nächste Kapitel für "The Legend of Zelda" wird weltweit am 12. Mai erscheinen, und ist – erstmals ausschließlich für Nintendo Switch – wieder als offener Abenteuerspielplatz in Hyrule angelegt. Der STANDARD wurde vorab in die deutsche Firmenzentrale nach Frankfurt eingeladen, um den wohl größten Nintendo-Release des Jahres kurz anspielen zu können.

Bei dieser Gelegenheit: Was ist eigentlich mit der Geschichte, die "Tears of the Kingdom" erzählt? Sie wird an dieser Stelle bewusst ausgeklammert, jeder Zelda-Fan wird das verstehen. Für die Logik dieses Hands-on sei lediglich erwähnt, dass Spielerinnen und Spieler wieder in die Rolle des Helden Link schlüpfen und das Schicksal von Hyrule nach den Ereignissen von "Breath of the Wild" beeinflussen. Wer dennoch einen kurzen Blick auf die Dramatik dieser direkten Fortsetzung werfen möchte, dem sei der letzte offizielle Trailer vor der Veröffentlichung des Spiels nahegelegt.

Der Himmel ist keine Beschränkung mehr

Und was bedeutet in diesem Fall die zuvor erwähnte Exklusivität? Anders als "Breath of the Wild" wird Links nächstes Abenteuer nicht mehr für die Wii-U-Konsole veröffentlicht. Das hat den enormen Vorteil, dass Nintendo "Tears of the Kingdom" auf die Hardware der Switch maßschneidern konnte. Schnell bemerkbar ist das daran, dass Schauplatz und Königreich Hyrule vertikal expandiert sind. Oder besser gesagt explodiert.

Das Parasegel spielt in Links neuem Abenteuer eine noch wichtigere Rolle als bisher.
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Das neue Hyrule, wie es Spielerinnen und Spieler in "Tears of the Kingdom" erleben werden, ist nämlich regelrecht überzogen von schwebenden Inseln. Das erweitert nicht nur die bespielbare Fläche, sondern bereichert das Spielerlebnis auch um die Reise zwischen diesen Ebenen. Schon bei der ursprünglichen Ankündigung des Spiels war ersichtlich, dass Link quasi "aus dem Himmel" auf Hyrule fallen kann.

So beeindruckend das Gefühl in "Breath of the Wild" war, zum ersten Mal eine Anhöhe zu erklimmen und dann mit dem Parasegel über Landstriche zu gleiten, so cool fühlt es sich diesmal an, von einer Insel abzuspringen und das Königreich aus der Vogelperspektive zu entdecken – oder einfach nur im freien Fall hinabzurasen, um dann in letzter Sekunde das Segel auszubreiten.

Umgekehrt kann es ähnlich interessant sein, Wege zu den Inseln nach oben zu finden: In den bisher bekannten Trailern war zu sehen, dass Link zum Beispiel einen Fahrstuhl nehmen kann. Springt er auf einen Steinblock, der vom Himmel herabgefallen ist, und dreht mit seinem magischen Handschuh die Zeit zurück, wird er schnurstracks nach oben befördert. Auch mit einer Reihe selbstgebastelter Fahrzeuge lassen sich die Lüfte ebenfalls erobern, doch dazu später noch mehr. Und das Event in Frankfurt hat gezeigt, dass es weitere Möglichkeiten geben wird, wie man zu den Himmelsinseln reisen kann.

Selbstgebastelte Flieger sind nur eine Möglichkeit durch die Luft zu wirbeln.
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Die Erweiterung in den Himmel erinnert optisch nicht nur an den Wolkenhort aus dem chronologischen Ur-Zelda "Skyward Sword", sondern spielerisch auch daran, dass die Zelda-Serie Spielerinnen und Spieler traditionell gerne mit dem Wechselspiel überlappender Welten beschäftigt. Was in vergangenen Spielen der Serie als Licht- und Schattenwelt oder als Vergangenheit und Gegenwart herausforderte, scheint nun mit den schwebenden Inseln über Hyrule als stimmige Variation umgesetzt zu sein.

Daniel Düsen-Link

Generell wirkt "Tears of the Kingdom" wie ein riesiger Spielplatz für aberwitzige Tüfteleien und Experimente. Spielerinnen und Spieler bekommen im Abenteuer von Beginn an die Gelegenheit, mit Link etwas zu basteln – sei es, um besser gegen Gefahren gewappnet zu sein. Oder um in Hyrule schneller voranzukommen. Eine grundlegende Voraussetzung dafür ist Links magischer Arm. Bislang bekannt sind vier Fähigkeiten, die ihm damit zu Verfügung stehen werden.

Mit der sogenannten Ultra-Hand kann Link beliebige Objekte im Spiel greifen, bewegen und mit anderen Objekten verbinden. So lassen sich Baumstämme zum Beispiel zu einem Floß zusammenfügen. Das Floß wiederum lässt sich mit Ventilatoren zu einem Hovercraft umfunktionieren. Und setzt man noch ein paar Raketen dran, beschleunigt das Gefährt beim Starten dementsprechend.

An sogenannten Kapselspendern, die wie ein riesiger Kaugummiautomat funktionieren, lassen sich gegen Energiesphären Bauteile eintauschen.
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Für dieses Experimentieren stehen nicht nur Bauteile aus der unmittelbaren Spielumgebung zur Verfügung. Gegen Energiesphären, die man beispielsweise aus Kisten oder von besiegten Gegnern erhält, lassen sich unterschiedliche Module aus einer Art gigantischer Kaugummiautomat ziehen und bei Bedarf aus dem Inventar fischen. Dazu zählen Flammenwerfer, Heißluftballone, Batterien, Lenkelemente, Raketen, Ventilatoren und viele andere Hilfsmittel. Verwenden lassen sich diese Gegenstände nur einmal, sind sie aus der "Tasche" (Inventar) hervorgekramt, bleiben sie draußen.

Ob Karren, Gleiter, Skateboard, Heißluftballon oder wilde Belagerungsmaschine: Der Fantasie für Gefährte sind kaum Grenzen gesetzt. Am Anfang fühlt man sich regelrecht erschlagen von den Spieloptionen, die sich ergeben. Schnell wird dieser Wahnsinn an Auswahlmöglichkeiten aber zur neuen Normalität. Und das gilt nicht nur für die unterschiedlichsten Fortbewegungsmittel.

Waffenkunde neu gedacht

Wie man es in "Breath of the Wild" bereits gewohnt war, ist eine solche Experimentierfreudigkeit auch im Umgang mit Waffen angesagt: Zwar wäre es außergewöhnlich, wenn Links treueste Klinge, das Masterschwert, nicht in irgendeiner Form wieder auftauchen würde – für die meiste Zeit wird man aber offenbar damit leben müssen, improvisierte Waffen einzusetzen, die sich im Kampf abnutzen. Ähnlich wie es bei den Fahrzeugen der Fall ist, lassen sich diese "zurechtschnitzen".

Kombiniere Schild mit Rakete: leider geil.
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Wie aus der Spielesession in Frankfurt ersichtlich wurde, ist Synthese, die zweite Fähigkeit von Links magischem Arm, auch dringend angeraten. Sie verstärkt Waffen maßgeblich im Kampf gegen Gegner, die im Gegensatz zu "Breath of the Wild" ungewöhnlich zäh wirkten. Waffen können sich einerseits über Synthese untereinander oder mit einem Objekt verbinden. Andererseits klappt sie auch mit den vorhin erwähnten Modulen. So lässt sich ein beliebiger Schild beispielsweise problemlos in einen kompakten Flammenwerfer umbauen. An eine Rakete geheftet kann Link mit dem Schild wiederum in kürzester Zeit ungeahnte Höhen erreichen.

Zeitfresser mit Zeitumkehr

Apropos ungeahnte Höhen: Das Erklimmen und Erklettern von Bergen kann man künftig auch abkürzen, solange diese über eine Einbuchtung oder Höhle verfügen. Mittels Deckensprung lässt sich nämlich eine direkte Abkürzung durch Objekte nehmen. Das Hindernis muss lediglich von unten anvisierbar sein und über eine mehr oder weniger plane Fläche verfügen, um oben herauszukommen – die Distanz scheint dabei egal zu sein. Auch bei der vierten Fähigkeit ist der Name Programm: Die Zeitumkehr ermöglicht Link das (begrenzte) Zurückdrehen der Zeit und somit meist auch der Position bestimmter Objekte.

Rätsel sind definitiv wieder Bestandteil von Zelda, über den Umfang lässt sich derzeit nur spekulieren.
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Alleine der magische Arm mit seinen vielfältigen Fähigkeiten und die Vertikalität, die sich durch die Himmelsinseln ergibt, lassen schon erahnen, dass man sich "Tears of the Kingdom" mindestens genauso lange verlieren dürfte wie in "Breath of the Wild". Noch sehr bedeckt zeigt sich Nintendo hingegen, was geballte Rätselkost anbelangt. Konkret: ob ein Comeback komplexerer Dungeons vorbereitet wird, ob wieder das kompaktere Format der Schreine den Vorzug bekommt oder idealerweise beides kombiniert wird, will Nintendo offenbar bis zum Release des Spiels selbst zum Rätsel machen.

Kann sich sehen lassen

Im Vorfeld stellen sich viele Fans zudem auch die Frage, ob die technische Umsetzung von "Tears of the Kingdom" dem Anspruch dieser Vorzeigemarke im Allgemeinen und den Ambitionen des Titels im Besonderen noch gerecht werden kann. Denn seien wir uns ehrlich: So wacker sich die Switch nach sechs Jahren im Business schlägt – ein fruchtbarer Boden für üppige Grafikpracht sieht anders aus.

Gleichung aus Hyrule: Was die düstere Stimmung des Spiels betrifft, verhält sich "Tears of the Kingdom" zu "Breath of the Wild" wie "Majora's Mask" zu "Ocarina of Time".
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Vorsichtige Entwarnung: Überraschenderweise konnten trotz des enormen vertikalen Updates keine Einbußen gegenüber "Breath of the Wild" festgestellt werden. Während der Spielsession im Docked Mode traten keine störenden Ruckler auf – selbst dann nicht, als Link in einem gut besiedelten Bokoblin-Camp die Hölle entfesselte. Das ist auch die Erwartung, die man technisch an "Tears of the Kingdom" richten dürfte: Technisch solide auf Augenhöhe seines Vorgängers, nicht mehr und nicht weniger.

Ersteindruck

Knapp zwei Stunden Spielzeit waren erwartungsgemäß zu wenig, um ein neues Hauptabenteuer der Zelda-Serie angemessen beurteilen zu können. "Tears of the Kingdom" zeigte allerdings schon in dieser kurzen Zeit, dass Nintendo die Ideen für Hyrule nicht ausgehen. Nicht nur die offene Welt von "Breath of the Wild" an sich wird ausgebaut, sondern auch die spielerische Kreativität mit ihr zu interagieren.

Der erste Eindruck von "Tears of the Kingdom" lässt auf ein spielerisches Feuerwerk schließen.
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Gleichzeitig deutet vieles darauf hin, dass man Elemente aus der Vergangenheit der Serie wieder aufgreifen dürfte. Das dürfte Traditionalisten unter den Fans versöhnlich stimmen, denen "Breath of the Wild" zu stark von der klassischen Zelda-Formel abgewichen war.

Unterm Strich sieht es jedenfalls so aus, als würde Nintendo am 12. Mai das Spiel vom Stapel lassen, was nach so langer Abwesenheit neuer Abenteuer mit Link auch erwartet wird: ein spielerisches Feuerwerk, das die bisher ohnehin weitgesteckten Grenzen überwinden will – die der Fans und die der Konsolenhardware. Ein erster Flug über das neue Hyrule gab Zuversicht, dass das auch gelingen wird. (Benjamin Brandtner, 26.4.2023)