Von den Bergen bis zum roten Meer soll Neom reichen, wenn es einmal fertig ist. Die linienförmige Stadt "The Line" soll als zentraler Teil davon bis 2040 fertiggestellt sein und gilt als Leuchtturmprojekt des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der sich nach außen die Modernisierung des Landes auf die Fahnen geschrieben hat. Dem gegenüber steht freilich anhaltende Kritik am Königshaus, unter anderem für die anhaltende Unterdrückung von Frauen.

Zumindest auf technologischer Ebene soll The Line bieten, was man heutzutage hauptsächlich aus Science-Fiction-Filmen kennt: robotische Butler, fliegende Taxis oder etwa einen künstlichen Mond. All das eingebettet in eine "Smart City", in der Verkehrsmanagement und viele andere Abläufe vollautomatisiert sein sollen. Doch der futuristische Komfort droht mit gefährlicher Beifracht zu kommen: Totalüberwachung, made in China.

Laut Neom-Projektleiter Giles Pendleton schreiten die Aufbauarbeiten für The Line zügig voran.
Foto: Neom

Xi und bin Salman rücken zusammen

Wie Business Insider berichtet, hat Mohammed bin Salman seine Beziehungen zum chinesischen Staatschef Xi Jinping in den letzten Jahren stark vertieft. Dieser soll zugesagt haben, mächtige Überwachungstechnologien für Neom zu liefern. Der Hintergedanke, so ein Forscher der Harvard University, dürfte es sein, dass Xi seine Vorstellung eines staatlich gesteuerten Cyberspace und vollständig überwachter Öffentlichkeit normalisieren will.

Saudi-Arabien wäre dafür auch nicht das erste Vorhaben. Für die Errichtung abgesicherter, stark überwachter Stadtteile ("Safe Cities") wurde laut einem Bericht des Thinktanks Washington Institute auch schon entsprechende Technologie an Ägypten und Serbien geliefert.

Heutige Smart Cities verwenden etwa zehn Prozent der Daten, die über ihre Einwohner bzw. Nutzer erhebbar und verfügbar sind. Bei The Line sollen es 90 Prozent sein. Die Stadt, so erklärt es der Londoner Thinktank Chatham House, solle andere smarte Städte weit überflügeln, weil sie nicht auf bestehenden Strukturen aufbaut, sondern vom Start weg darauf ausgerichtet ist, Daten zu erfassen und für das Management der Stadt zu nutzen.

Echtzeit-Bewegungstracking

Bei der Berliner NGO für digitale Rechte, Access Now, befürchtet man, dass bin Salman hinter der modernen Fassade eigentlich autoritäre Ambitionen weiter vorantreibt. Der Kronprinz gibt sich nach außen zwar stets als Reformer, sein Umgang mit Kritikern spricht aber eine andere Sprache. Er soll laut dem US-Geheimdienst CIA persönlich die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi angeordnet haben.

China arbeitet verstärkt mit den Golfstaaten zusammen und hilft den dortigen Machthabern, Überwachung zu intensivieren. Neom könnte unter anderem ein in China bereits genutztes System "erben", bei dem per Gesichtserkennung die Bewegungen von Personen umfassend und in Echtzeit nachverfolgt werden können.

Sorgen gibt es auch ob der cloudbasierten Angebote, die in Planung sind, und der Daten, die von diesen erfasst und gespeichert werden. So soll es in diesem Bezug etwa unterzeichnete Verträge zwischen der saudischen Regierung und Huawei geben.

Viele Fragezeichen

Zu Neom und speziell The Line gibt es allerdings noch zahlreiche Fragezeichen. Wenngleich auf dem Bauareal bereits Bagger aufgefahren sind, bleibt unklar, ob die Stadt in dieser Form tatsächlich errichtet werden kann. Es gibt zahlreiche Kritiker, die etwa die linienförmige Anordnung aus Stadtplanungssicht für ungeeignet halten und große technologische Hürden für die Erfüllung der vollmundigen Versprechen sehen.

Laut einer Aussage von Giles Pendleton, der das Projekt Neom leitet, gegenüber der saudischen Zeitung "The National" schreiten die Arbeiten aber zügig voran. Zudem rechnet man mit großem Zulauf, schon 2045 sollen in der Stadt neun Millionen Menschen leben. (gpi, 24.4.23)