Catherine Mayer hat sich jahrzehntelang mit der britischen Königsfamilie befasst und einen direkten Zugang zum neuen König und den engsten Vertrauten. Sie gibt Charles für sein erstes halbes Jahr im Amt gute Noten. Eine Spendenaffäre und die Familienmitglieder Andrew und Harry sind nach Mayers Ansicht die derzeit größten Krisenherde für die britische Monarchie.

Charles III., König.
Foto: AFP/Melville

STANDARD: Frau Mayer, der König ist nun ein gutes halbes Jahr im Amt. Welche Note geben Sie ihm?

Mayer: Na ja, da gibt es ein paar Beobachtungen. Die Leute hat ja sehr belustigt, dass er nicht nur mit einem, sondern gleich mit zwei Füllern in Streit geriet. Dieses gereizte Verhalten kenne ich, es hat mich nicht überrascht. Zudem stand der Trauernde im schonungslosen Licht der Öffentlichkeit. Sie meinen aber doch eher die Staatsgeschäfte, oder? Da würde ich sagen: eine Zwei plus, vielleicht sogar eine Eins minus.

STANDARD: In Ihrer Biografie des Prinzen, die in aktualisierter Fassung im November als "Charles III. – Mit dem Herzen eines Königs" erschien, hatten Sie prophezeit, er werde die Trauerzeremonien nach dem Tod seiner Mutter gut bewältigen.

Mayer: Das hat er tatsächlich sehr gut gemacht. Gleiches gilt für die Kontroverse rund um die UN-Klimakonferenz COP 27 in Ägypten.

VIDEO: Wo steht Charles III. politisch und ideologisch?
DER STANDARD

STANDARD: Ausgerechnet dem langjährigen Klimaschützer Charles verbot die damalige Premierministerin Liz Truss die Teilnahme.

Mayer: Er hatte es mit einer durchgeknallten Regierung zu tun. Statt ihn vor politischen Tagesproblemen zu bewahren, wie es ihre Pflicht wäre, hat die Regierung den neuen König direkt hineingestoßen. Mit dieser schwierigen Situation ist er souverän umgegangen.

STANDARD: Auch der Staatsbesuch in Deutschland, Charles' erster in seiner neuen Funktion, wurde als Erfolg gewertet.

Mayer: Das stimmt, wenn auch hier in Großbritannien manche Leute nicht glücklich darüber waren, wie stark er die Bedeutung guter Verbindungen zu Europa bekräftigte. Dabei war er natürlich nur deshalb in Deutschland, weil die Regierung das so wollte.

STANDARD: Nach der schon bald bevorstehenden festlichen Krönung beginnt der königliche Alltag. Welche Schwierigkeiten sehen Sie am Horizont?

Mayer: Als ich vor mehr als zehn Jahren mit der Arbeit an meinem Buch begann, galten im Palast für die Zeit nach dem Tod der Queen drei Fragen als ungelöst: erstens der Status von Camilla, den hat die Queen im vergangenen Jahr noch selbst geklärt. Zweitens die Leitung des Commonwealth …

STANDARD: … also des losen Verbands früherer britischer Kolonien weltweit …

Mayer: … auch dies hat die Queen zu Charles' Gunsten entschieden. Und drittens bestand Unsicherheit darüber, wie viele der unabhängigen Staaten, deren Staatsoberhaupt die Queen war, den Zeitpunkt ihres Todes zu einer Statusänderung nutzen würden. Besonders hohe Aufmerksamkeit galt dabei den Inselstaaten in der Karibik.

STANDARD: Barbados wurde bereits im November 2021 zur Republik.

Mayer: Genau, und gewiss werden andere folgen. Die Ausdehnung der Monarchie schrumpft vor unseren Augen, der Verlust kleinerer Staaten ist sozusagen eingepreist. Ich glaube, die Hoffnung des Palastes konzentriert sich darauf, dass die drei großen früheren Kolonien Australien, Kanada und Neuseeland am Monarchen als Staatsoberhaupt festhalten. Charles hat ja insbesondere an Australien starke Bindungen. Man kann wohl sagen, dass er dort die einzige glückliche Zeit seiner Kindheit erlebt hat.

STANDARD: Welche Probleme stellen sich dem König aktuell?

Mayer: Es gibt drei Krisenherde. Erstens Charles' Vergangenheit als Spendensammler für diverse wohltätigen Zwecke. Ich hatte 2014 einmal die – für Journalisten sehr seltene – Gelegenheit, bei einer jener Abendeinladungen dabei zu sein, die der Thronfolger regelmäßig für reiche Unterstützer veranstaltete. Von den insgesamt dreizehn Geldgebern dieses Abends haben elf für negative Schlagzeilen gesorgt: wegen des Verdachts auf Geldwäsche, Korruption oder sonstiger dunkler Geschäfte.

STANDARD: Eine Millionenspende wurde Charles' Leuten bar in einer Plastiktüte übergeben. "Wird nicht wieder vorkommen", heißt es im Palast.

Mayer: In diesen Spenden-Geschichten steckt noch allerlei Potenzial. Nicht zuletzt ermittelt ja die Kriminalpolizei gegen Charles' langjährigen engsten Mitarbeiter Michael Fawcett. Wenn dieser tatsächlich, wie von Medien behauptet wurde, potenziellen Spendern Orden bis hin zum Ritterschlag versprochen hat, wäre dies eine Straftat.

STANDARD: Wo sehen Sie den zweiten Krisenherd?

Mayer: Der trägt den Namen Andrew.

STANDARD: Der jüngere Bruder des Monarchen musste wegen seiner Freundschaft zu zwei verurteilten Sexualverbrechern alle öffentlichen Auftritte aufgeben.

Mayer: Aber er will partout immer noch zurückkehren in eine öffentliche Rolle. Ich weiß von mehreren Journalisten, die in seiner Vergangenheit stöbern. Da wird gewiss demnächst noch einiges ans Licht kommen, was dem Königshaus nicht gefallen dürfte.

STANDARD: Und drittens?

Mayer: Aus meiner Sicht das größte Problem ist der Ausstieg von Prinz Harry und seiner Frau Meghan aus der Rolle als aktive Mitglieder des Königshauses. Ich glaube, diese Angelegenheit wird von den hiesigen Medien missverstanden. Zu viele Journalisten wollen immer nur das Paar attackieren. Dabei übersehen sie, dass der Vorgang großen Schaden unter jüngeren Leuten und unter ethnischen Minderheiten angerichtet hat. Viele frühere Desinteressierte empfinden jetzt aktive Feindseligkeit. Hier geht es um die Zukunft der Institution.

STANDARD: Können das Thronfolgerpaar William und Kate eine Brücke zur modernen Gesellschaft darstellen?

Mayer: Das scheint mir fragwürdig zu sein. Sie ist 41, er ist 40 Jahre alt. Wenn wir mal annehmen, dass Charles rund zehn Jahre im Amt bleibt, werden sie bei Williams Thronbesteigung die 50 überschritten haben. Und schon jetzt kommen sie nicht jung rüber. Sie sehen nicht aus wie die Zukunft, eher wie die Vergangenheit, wie englischer Landadel eben. Damit lässt sich keine Verbindung zur "normalen" Bevölkerung herstellen.

STANDARD: Und Sie meinen, Harry und Meghan schaffen das?

Mayer: Meghan ist die älteste dieses Quartetts, aber gemeinsam mit Harry hat sie einen Appeal für ganz andere Altersgruppen und Bevölkerungsschichten. Den Umgang mit Harry und Meghan halte ich für einen wirklich schweren Fehler des Königshauses.

STANDARD: Wackelt da die gute Note für Charles?

Mayer: Na, die gilt ohnehin nur für ihn, nicht für sein Team. Von dem halte ich nicht viel, vor allem bin ich ziemlich skeptisch gegenüber der PR-Abteilung. Immer wieder holen sich die Royals frühere Boulevard-Journalisten als Kommunikationsberater ins Haus. Die machen dann Deals mit ihren früheren Kollegen und reden sich ein, dass sie damit den Royals einen Gefallen tun. Tun sie aber nicht.

STANDARD: Geben Sie uns ein Beispiel für ungeschickte PR.

Mayer: Erinnern Sie sich an das Interview von Prinz Harry und Meghan bei Oprah Winfrey vor zwei Jahren? Da befürchtete der Palast vorab zu Recht Unangenehmes. Also lancierte man ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt die Mobbing-Vorwürfe früherer Mitarbeiterinnen gegen Meghan. Was zur Folge hatte, dass diese Anschuldigungen in den Augen vieler Leute nun völlig diskreditiert sind. Dabei handelt es sich um echte Erlebnisse echter Menschen, deren Leben betroffen war. Sie wurden vom Palast als Teil des PR-Krieges missbraucht.

STANDARD: Wenn der König Ihnen den Job als Pressesprecherin anböte – würden Sie annehmen?

Mayer: Eine sehr lustige Idee! Das würde ich nie machen. Effektive Pressearbeit können Sie nur leisten für jemanden, der Ihrem Rat folgt und mit dem Sie auch streiten können. Das kann man nicht, wenn man von den Royals abhängig ist. Meinem Eindruck nach spielt Charles gezielt seine Leute gegeneinander aus. Dementsprechend wird er immer Intriganten um sich haben.

STANDARD: Wer sagt ihm denn ehrlich die Meinung? Seine Frau Camilla?

Mayer: Camilla ist sicher ein Faktor in diesem Machtgefüge. Sie versucht Charles und sich selbst zu schützen. Ich mag sie persönlich gern. Aber sie hat kein detailliertes Verständnis von Medien. Und ich fürchte, sie umgibt sich zunehmend mit schlechten Beraterinnen.

Gemeinsam hat das Paar in den vergangenen Jahren den Trick geschafft, es allen Leuten recht zu machen: Einerseits treten sie als Vorreiter des Establishments auf, andererseits vertreten sie progressive Meinungen. Und auf beiden Seiten dachten die Leute: Ach, die sind schon okay. Ich bin nicht sicher, ob das auf Dauer so weitergehen kann.

STANDARD: Sie scheinen die royale Zukunft eher düster zu sehen.

Mayer: Die Monarchie wird nicht über Nacht verschwinden, das ist klar. Aber ebenso klar ist, dass sie unter Elizabeth II. lange Jahre keiner echten Herausforderung ausgesetzt war. Es gab höchstens geringe, wirkungslose Opposition. Meinem Eindruck nach verändert sich das. (Sebastian Borger aus London, 25.4.2023)

Catherine Mayer hat eine Biografie über den neuen König geschrieben.
Foto: Leo Cackett