Im Gastblog schreibt Manuel Grebenjak über verschiedene Strategien der Klimabewegung und stellt die Frage, wie in Zukunft vorgegangen werden sollte.

Man könnte schon verzweifeln. Die Klimabewegung war in den letzten Monaten auf den Straßen und medial wieder sehr präsent, allein im deutschsprachigen Raum: Die Letzte Generation ist mit ihrem Protest fast ständig in den Schlagzeilen. Aktuell blockieren hunderte ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer täglich Straßen in Berlin. Im Jänner stellten sich Zehntausende Menschen aus der Klimabewegung gegen die Zerstörung des westdeutschen Ortes Lützerath, der für einen Braunkohle-Tagebau abgebaggert werden soll – und auch wenn dies nicht verhindert werden konnte, trieb die Bewegung immerhin die politischen Kosten weit nach oben und die deutsche Politik in die Enge. In Wien protestierten vor wenigen Wochen Tausende gegen die European Gas Conference und zerrten damit die undemokratischen Vorgänge ans Licht der Öffentlichkeit, die unser Energiesystem weiter an fossile Energien ketten. Bloß: Realpolitisch hat sich dadurch nichts verändert.

Weiterhin versucht die Bewegung, mit alten, aber nur teilweise bewährten Mitteln, das mittlerweile fast Unmögliche zu schaffen: Die unumkehrbare Zerstörung unserer Lebensgrundlagen so weit aufzuhalten, dass eine Zukunft voll fatalem Extremwetter, globalen Konflikten um bewohnbares Land und sauberes Wasser sowie faschistischer Barbarei noch verhindert werden kann. Nicht einmal unübersehbare Vorboten dieser verbrannten Welt haben bisher zu einem Umlenken geführt: Seien es die Hochwasserkatastrophen in Europa wie 2021, Überflutungen in Pakistan im letzten Jahr mit zehntausenden Toten, Rekord-Waldbrände von Australien bis Kalifornien oder nun die ungewöhnlich frühe Extremhitzewelle in Spanien.

Strategien und deren Erfolg

Langsam wird der Klimabewegung klar: Auch sie selbst muss sich ändern, wenn sie etwas verändern will. Doch in welche Richtungen könnte sie sich entwickeln, und welche Strategien haben das Potenzial, den lang ersehnten Umschwung zu bringen? Um das zu ergründen, müssen wir zuerst Bilanz ziehen.

Wie können die gewünschten Änderungen der Klimapolitik erreicht werden?
Foto: Christopher Glanzl

Bewegungen können grob gesagt auf drei Ebenen Erfolge erzielen: Erstens können sie den Diskurs verschieben, also verändern, worüber gesprochen wird und wie. Damit verändern sie im Idealfall auch langfristig Narrative und dadurch kulturelle und soziale Strukturen. Zweitens können Bewegungen reale politische Veränderungen anstoßen, etwa über neue Gesetze, die Veränderung von Institutionen oder den Wechsel von Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern oder sogar Regierungen und Regimes. Drittens können sie bewegungsinterne Fortschritte erzielen, also Erfahrungen sammeln, wachsen und breiter werden und langfristig tragfähige Bewegungsstrukturen aufbauen. All das ist wichtig, wenn das Ziel, wie bei der Klimabewegung, nicht weniger als ein Systemwandel ist – egal, ob man darunter "nur" den Totalumbau des Energiesystems und die Entmachtung von Fossilkonzernen oder sogar den Abschied vom Kapitalismus als weltweit bestimmendem Gesellschaftssystem versteht.

Die Klimabewegung war 2019 am bisherigen Höhepunkt ihrer Kraft. Die jungen Fridays for Future brachten weltweit Millionen auf die Straßen und nicht nur in Österreich Parteien in Regierungen, die sich Klimaschutz groß auf die Fahnen schrieben. Gleichzeitig organisierte Extinction Rebellion Aktionen zivilen Ungehorsams für das Klima in nie dagewesener geographischer Breite und zahlenmäßiger Größe. Rund um die Welt brachten Widerstand und Kampagnen gegen fossile Konzerne und Megaprojekte deren kapitalistische Maschinerie zumindest stellenweise ins Wanken. Doch die Pandemie kam und stellte sich nicht als Chance für das Klima, sondern als schwerer Schlag für die Klimabewegung heraus. Was hat sich seitdem getan?

Die Letzte Generation

Kaum eine Woche vergeht, in der die Letzte Generation (LG) nicht in den Medien ist. Der Grund dafür: Sie provoziert und polarisiert. Mit ihrer Mischung aus symbolisch aufgeladenen Tabubrüchen und hochfrequenter "Störung des Alltags" mittels Straßenblockaden fungiert sie als ständiger Stein des Anstoßes aufgeheizter Debatten. Ihr Problem: Reale politische Erfolge lassen trotz alledem auf sich warten. Im Gegenteil, die Politik wird in ihren Reaktionen auf LG-Aktionen oft bei Verschärfungen für juristische und polizeiliche Repression am konkretesten.

Trotzdem: Ohne die Letzte Generation wäre die Klimabewegung – und damit auch die Klimakrise – weit seltener in den Schlagzeilen. Sie ragt auf dieser Ebene also heraus, auch wenn umstritten bleibt, wie sich ihre Aktionen auf die öffentliche Meinung und die Unterstützung von Klimaschutz-Maßnahmen langfristig auswirken. Zudem solidarisieren sich immer mehr Menschen und Institutionen mit der Letzten Generation – ein erklärtes Ziel –, wodurch sie deren Aktionen und zivilen Ungehorsam für die Sache insgesamt legitimieren.

Fridays for Future

Es gibt nichts schönzureden: Die Fridays for Future (FFF) haben entschieden an Bedeutung verloren, nie mehr konnten sie so mobilisieren wie 2019. Die Erfolge waren dennoch enorm, wohl noch nie war eine ökologische Bewegung politisch so mächtig wie FFF – nicht nur in einzelnen Staaten, sondern in vielen Ländern rund um die Welt. Ob es daran liegt oder an dem überwiegend gutbürgerlichen Hintergrund der Bewegung und einem damit verbundenen tief sitzenden Glauben, dass liberale Demokratien doch irgendwie allein dadurch veränderbar wären, dass man sie nur ganz oft bittet: Fest steht, dass sich FFF selbst kaum verändert hat. Weiter wird vor allem auf symbolische Akte wie Großdemonstrationen gesetzt, die nicht mehr so groß sind, wie sie schon einmal waren. Weiter wird an die Politik appelliert, die schon kaum handelte, als die Demonstrationen noch größer waren.

Doch der Bewegungsaufbau war nachhaltig, die "Fridays" sind nicht allein: Parents, Scientists, Teachers, Entrepreneurs, Christians und viele mehr setzen sich als Organisationen im "for Future"-Universum ein. Was mit Greta Thunberg und einem Schild vor dem schwedischen Reichstag begann, hat die Strukturen der bis dahin bestehenden Klimabewegung vervielfacht.

Extinction Rebellion

Das gilt in etwas geringerem Maß auch für Extinction Rebellion (XR). Was am Reißbrett als Idee einiger erfahrener britischer Aktivistinnen und Aktivisten rund um Gail Bradbrook, Roger Hallam und Simon Bramwell begann, hat den zivilen Ungehorsam in der Klimabewegung auf ein neues Level gehoben. Ableger der Organisation verbreiteten sich rund um die Welt, genauso wie die Kernforderung nach dem Ausrufen eines "Klimanotstands". Nachdem XR vor allem von damals schon bestehenden radikaleren Gruppen der Klimabewegung für einige anfängliche Praktiken wie die mangelnde Thematisierung anderer sozialer Probleme oder den betont kooperativen Umgang mit der Polizei kritisiert wurde, haben sich die beiden Seiten seitdem zunehmend angenähert.

XR selbst hat spätestens seit dem Aufkommen von LG sowie ähnlicher Gruppen in anderen Ländern an Bedeutung verloren – und versucht sich neu zu erfinden. Neben anderen Ländern auch in Österreich mit einer Kampagne, die mit Haustürgesprächen und anderen Mitteln bisher nicht aktive Menschen in die Bewegung einbinden soll. Im Vereinigten Königreich wurde zuletzt außerdem anstatt kleiner störender Blockadeaktionen eine viertägige Großdemonstration mit insgesamt 60.000 Menschen in Londons Regierungsviertel organisiert.

LobauBleibt

In Österreich gelang, was in dieser Form nicht in vielen Ländern geschafft wurde: Die gesamte Breite der Klimabewegung, von radikalen Gruppen wie System Change not Climate Change über Extinction Rebellion, FFF und alteingesessenen NGOs bis hin zu lokalen Bürgerinitiativen stellte sich aktiv und mit einer Besetzung, also zivilem Ungehorsam, gegen ein fossiles Großprojekt – und stürzte es: die Lobau-Autobahn. Möglich wurde dies neben der Breite und Beharrlichkeit des Bündnisses auch durch die grüne Regierungsbeteiligung, die wiederum erst kurz zuvor durch den Schwung von FFF ermöglicht worden war.

Die Bewegung legte also doppelt den Grundstein für einen konkreten Sieg für den Klimaschutz – und trieb mit der monatelangen Besetzung nicht nur die Politik vor sich her, sondern auch wichtige gesellschaftliche Debatten über Klimaschutz und Mobilitätswende an. Und auch wenn die Besetzungen schlussendlich geräumt wurden und das zweite Projekt, die Stadtstraße, mittlerweile gebaut wird, war die Bewegung ein Erfolg, der sich vielleicht einmal auf einer Ebene mit Zwentendorf und Hainburg einordnen lassen wird.

System Change, not Climate Change und Co

Der radikale und offen antikapitalistische Teil der Bewegung setzt auf direkte Aktionen wie Blockaden – allerdings in größerem Stil, dafür mit viel niedrigerer Frequenz als die Letzte Generation. Ende März organisierte BlockGas, ein neues internationales Bündnis gegen fossiles Erdgas, groß angelegte Proteste gegen die Europäische Gaskonferenz in Wien. Insgesamt beteiligten sich tausende Menschen an der Blockade des Konferenz-Hotels und der OMV-Raffinerie in Schwechat sowie an zahlreichen weiteren Aktionen und einer Großdemonstration.

Neben anderen Gruppen wesentlich daran beteiligt war System Change, not Climate Change. Schon vor ihrer zentralen Rolle in den LobauBleibt-Protesten hatte die seit 2015 bestehende Gruppe unter anderem Aktionen gegen den Ausbau des Flughafens Wien organisiert und den Austrian World Summit gestört. Die offensichtliche Strategie ist es, durch Kampagnen und Aktionen gegen fossile Megaprojekte und Großveranstaltungen konkrete Kämpfe sichtbar zu machen und größere systemische Probleme aufzuzeigen. Das Problem: Das gelang bisher nur im Fall von LobauBleibt wirklich. Frühere Aktionen blieben oft mediale Strohfeuer. Auch rund um die durchaus erfolgreichen BlockGas-Proteste ist noch keine schlagkräftige Kampagne entstanden.

NGOs: Greenpeace und Co

Konkrete und gewinnbare Kampagnen sind das Hauptgeschäft von großen NGOs. Doch auch an dieser Front gibt es viel Verbesserungspotenzial. Die großen Player wie Greenpeace, Global 2000 und Co suchen noch ihre Rolle in der neuen Landschaft der Klimabewegung. Bisher können sie weder die jahrzehntelang angelernte reformistische Ausrichtung der kleinen Schritte ablegen, noch arbeiten sie ausreichend mit den großen Graswurzelbewegungen zusammen, indem sie diese fördern oder deren Dynamiken verstärken. 

Und jetzt: Was tun, Klimabewegung?

Unter all dem steht die ernüchternde Bilanz: Im Kern bleibt die Klimabewegung bisher eine kleine Minderheit mit sehr beschränkter politischer Macht. Und das, obwohl sowohl die Gefahren der Klimakrise von weiten Teilen der Bevölkerung zumindest in Grundzügen verstanden werden und viele überfällige klimapolitische Maßnahmen eine große Mehrheit hinter sich hätten. Obwohl natürlich trotzdem noch viel Aufklärungsbedarf besteht und unbequeme Wahrheiten viel zu oft ausgeblendet und verdrängt werden, ist mangelndes Bewusstsein nicht die größte Hürde für effektive Klimapolitik. Vielmehr sind es gesellschaftliche Machtstrukturen, wie ein internationales Forschungsteam 2021 in einer Analyse der Klimapolitik der letzten drei Jahrzehnte resümierte. Die Aufgabe der Klimabewegung ist es also, mit ihren begrenzten Ressourcen diese Strukturen anzugreifen und aufzubrechen. Sind die aktuellen Strategien dafür geeignet?

Von vielen wird aktuell der Letzten Generation am meisten Potenzial dafür zugeschrieben. Dafür beziehen sie sich auf Vorbilder anderer historischer Bewegungen, die auch LG selbst gern ins Feld führt. Am öftesten genannt: Die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung der 1950-60er und insbesondere Rosa Parks. Im Kontext der rassistisch segregierten US-Südstaaten weigerte sich die Afroamerikanerin 1955, ihren Platz in einem Bus für weiße Passagiere aufzugeben, wurde dafür verhaftet und angeklagt – und stieß damit Ereignisse an, die schließlich zur Aufhebung einiger rassistischer Politiken führten. Was jedoch oft vergessen wird: Parks' Sitzenbleiben war nur der Startschuss für den orchestrierten "Montgomery Bus Boycott", in dessen Zuge zehntausende schwarze Menschen mehr als ein Jahr lang alle Buslinien der Stadt boykottierten, stattdessen zu Fuß gingen oder Fahrgemeinschaften bildeten. Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner machten 90 Prozent der Passagiere von Montgomerys städtischen Buslinien aus, wodurch der Protest bei diesen auch großen wirtschaftlichen Schaden anrichtete. Zudem war der Protest von Parks und ihren Mitstreitenden lange vorbereitet und von anderen regionalen und landesweiten Kampagnen begleitet. 

Heutige Bewegungen, die aus all dem lernen wollen, müssen sich nicht nur fragen: Was ist unser symbolischer "Parks-Moment"? Sie müssen nach Hebeln suchen, die, wie der Boykott der Buslinien, reale gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Macht aufbauen. Und hier zeigt sich ein Problem der Klimabewegung: Solche Hebel werden nicht nur kaum erreicht, sie werden zu selten überhaupt gesucht. Vielmehr hat man oft das Gefühl, die verschiedenen Gruppen der Klimabewegung verharren zu sehr in ihrer jeweils eigenen Protestkultur, was sich nicht nur in einzelnen Aktionsformen, sondern auch in Strategien und Kommunikation niederschlägt.

Das zeigt sich etwa, wenn die Letzte Generation bei der Planung ihrer Aktionswellen nicht auf aktuelle politische Geschehnisse eingeht, die Potenzial bergen würden sowie wenn sie sich nicht genug auf konkrete Gegner konzentriert. Oder wenn nur zu gern mediale Aufmerksamkeit mit politischer Wirksamkeit verwechselt wird. Es zeigt sich bei FFF, wenn weiterhin ein großer Teil der Ressourcen in halbjährliche Großdemonstrationen gesteckt wird, obwohl deren politische Schlagkraft mittlerweile gegen Null tendiert. Und wenn diese Demos zu wenig als Ort zur Mobilisierung für weitere und vor allem radikalere Aktionsformen genutzt werden. Es zeigt sich aber auch, wenn Bündnisse wie BlockGas sich mit einzelnen großen Mobilisierungsmomenten zufriedengeben, anstatt ihre Aktionen in langfristige Kampagnen einzubetten. Oder wenn sie sich Slogans auf die Banner schreiben, die nur die eigene Blase versteht. In solchen Fällen hat man das Gefühl, dass es beim Protest gar nicht darum geht, wirklich etwas zu verändern, zumindest nicht nur, sondern darum, sich gegenseitig die eigene Widerständigkeit zu beweisen. Oder wie David Sonnenbaum von der Letzten Generation es in einem Interview ausdrückte: "Ziviler Widerstand ist wie Therapie". 

Fridays for Future kritisiert die Letzte Generation

Gemeinsam in die Schlagzeilen schafften es Fridays for Future und Letzte Generation kürzlich in Deutschland, als eine FFF-Sprecherin LG dafür kritisierte, sie würden "Menschen im Alltag gegeneinander aufbringen". Dabei sind sich die Strategien der beiden Gruppen näher als oft behauptet wird. Beide appellieren an politische Institutionen und setzen somit darauf, dass diese am Ende doch noch zum Handeln bewegt werden können. Und bei näherem Hinsehen erreicht die Letzte Generation mit konfrontativeren Mitteln ähnliche, aber tendenziell kleinere Erfolge als FFF schon vor einigen Jahren. So haben beide auf ihrem jeweiligen Höhepunkt die Schlagzeilen bestimmt. Beide setzten auf Treffen mit Personen aus der Politik, doch während FFF vielfach eingeladen und hofiert wurde, versucht LG solche Treffen etwa mit Hungerstreiks zu erzwingen. Warum es mehr bringen soll, wenn sich dieselben Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger mit LG anstatt mit FFF treffen, entzieht sich der Logik. 

Auch die seit kurzem von der LG verfolgte Strategie, Städte hinter ihren Forderungen zu versammeln, ist nichts Neues. Unzählige Städte und Gemeinden, aber auch ganze Staaten, haben auf Druck von FFF und XR meist schon vor Jahren dasselbe gemacht und sich hinter die Forderungen der Bewegungen gestellt, zum Beispiel indem der Klimanotstand ausgerufen wurde. Zudem bergen Deals mit Städten unter dem Motto "Wir hören auf zu blockieren, wenn ihr euch hinter uns stellt", wie sie in Deutschland schon eingegangen werden, ein Problem: Werden die Forderungen nicht erfüllt, ist der Handlungsspielraum für neue Blockaden trotzdem eingeschränkt – oder man muss wortbrüchig werden. 
Auch Wissenschafterinnen und Wissenschafter sowie Prominente stellen sich schon seit Jahren hinter die Forderungen der Klimabewegung, nun tun sie es eben dasselbe bei dem Teil der Bewegung, der sich auf die Straße klebt. Das ist gut, weil es die Legitimität solcher Aktionen vergrößert – viel mehr ändert es deswegen aber nicht. 

Überhaupt kann die letzte Generation darüber hinaus nicht die Aufgabe einer "radikalen Flanke" erfüllen, auch wenn ihr das oft zugeschrieben wird. Eine solche lässt durch ihre Radikalität andere Teile der Bewegung moderater erscheinen und damit anschlussfähiger werden. Dafür müsste sich LG aber nicht nur konfrontativer Aktionsformen bedienen, sondern mit diesen auch radikale Forderungen in die Debatte bringen und selbige damit verschieben. Die Letzte Generation vertritt stattdessen aber – bewusst – niedrige und zutiefst reformistische Forderungen. Damit soll die Diskrepanz zwischen Worten und Taten der Regierung entlarvt werden. Diese ist allerdings längst bekannt.

Egal welcher Teil der Klimabewegung, etwas haben all ihre Aktionen gemeinsam: Sie sind rein symbolisch. Das gilt nicht nur für die braven Demonstrationen der Fridays. Auch die Blockaden der Letzten Generation sind nur für relativ wenige Menschen real störend, auch wenn sich an den Berichten darüber der wutbürgerliche Zorn ergießt. Denn von einer echten effektiven Störung des Systems bleibt man mit Blockaden einzelner Straßen weit entfernt. Das gilt auch für Aktionen wie jene während der Gaskonferenz in Wien. Und auch wenn die aktuelle Aktionswelle der Letzten Generation in Berlin etwas größer ist und in Berlin mehrere Tage lang der Verkehr gestört werden kann, bleibt es symbolischer Protest. Die Schwelle zur effektiven Störung zu überschreiten schafft die Klimabewegung nur selten, und wenn dann bleibt sie weit von systemischer Disruption entfernt und tut nur einzelnen Akteuren des fossilen Systems weh. Beispiele dafür waren LobauBleibt in Österreich und Lützerath in Deutschland. Beide wurden mit größter Polizeigewalt beendet.

Die Klimabewegung muss öfter die Schwelle von der symbolischen zur effektiven Störung des Systems überwinden, um wirklich etwas zu verändern. Doch das kann nur durch deutliche Strategieänderungen geschafft werden – und nicht alles ist im Voraus langfristig planbar. Trotzdem lassen sich mehrere Optionen aufzählen, die zum Teil schon eingesetzt werden, teilweise vorbereitet oder zumindest diskutiert werden.

Momentum, Klimastreik neu und Radikalisierung

Die meisten Klimastreiks werden Monate im Voraus geplant. Demonstrationen und Protestaktionen sind aber oft am stärksten, wenn sie ein vorhandenes Momentum aufgreifen und verstärken, aufkommende politische Energie auf ein konkretes Ziel lenken und damit die verantwortlichen Akteure unter Druck setzen. Gerade Organisationen mit großem Mobilisierungspotential wie Fridays for Future könnten sich in Zukunft mehr darauf konzentrieren, nach bestimmten Trigger-Events ihre Unterstützerinnen und Unterstützer zu mobilisieren, etwa bei Konflikten oder Katastrophen, die in Zusammenhang mit der Klimakrise stehen. So etwas passiert etwa schon in Frankreich im größeren Stil, wo im März Zehntausende teilweise militant gegen zerstörerische Bewässerungsprojekte der Agrarindustrie protestierten – was mit tausenden Polizeikräften brutal niedergeschlagen wurde. Es sind Kämpfe, die uns einen bitteren Vorgeschmack darauf geben, wie sich autoritäre Tendenzen im Gleichschritt mit der Klimakrise verstärken werden – wenn wir nicht anfangen, sie zu gewinnen.

Bisher verstehen wir unter "Klimastreik" vor allem das Fernbleiben von der Schule. Das muss sich ändern. Warum kann ein Klimastreik nicht auch eine Arbeitsniederlegung sein, wie wir sie als Arbeitskampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kennen – allerdings für ökologische Ziele? Solche Streiks würden jedenfalls das Problem des rein symbolischen Charakters der meisten Klimaproteste lösen. Auch hier gibt es bereits erste Beispiele. So haben in Deutschland während des letzten Globalen Klimastreiks die Nahverkehrsbediensteten der Gewerkschaft ver.di für 24 Stunden die Arbeit niedergelegt. Einerseits als Warnstreik im Tarifstreit, gleichzeitig aber auch gemeinsam mit FFF unter dem Motto "#WirFahrenZusammen" für eine sozial gerechte und nachhaltige Verkehrspolitik. Dies kann ein Modell für die Zukunft sein, denn eins ist sicher: Eher als für als einschränkend wahrgenommene Schritte wie den Abbau fossiler Subventionen, Regulierungen oder etwa CO2-Bepreisung werden sich Gewerkschaften und Beschäftigte zum Streik für Investitionen in Alternativen zu fossilen Energien und Technologien oder sozial progressive Maßnahmen wie Gratis-Öffis und mehr Mitbestimmung bei einem klimagerechten Umbau bewegen lassen. Und auch das wird schwer genug.

Überhaupt muss politische Organisierung noch viel mehr als bisher eines der Schlagworte der Bewegung werden. Schaut man sich an, wie verhältnismäßig wenige Leute auch bei den größeren Organisationen der Bewegung einen großen Teil der Arbeit in Bereichen wie Vernetzung oder Kommunikation übernehmen, dann wird klar, wie viel Potenzial noch nicht realisiert ist. Ganz zu schweigen vom Aufbau ganz neuer Klimaschutz-Gruppen in der Bevölkerung. Parents, Teachers usw. for Future können nur ein Anfang sein – zumal sie in der Regel aus denselben Milieus stammen wie die Fridays, an denen sie angedockt sind. Busfahrer for Future wären vielversprechende Verbündete für die Bewegung. Aktionen von Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten in Solidarität mit Beschäftigten würden zu einer Basis für solche neuen Bündnisse beitragen. Zudem könnte man sich auch noch mehr von der Bürgerrechtsbewegung abschauen als das Sitzenbleiben und zum Beispiel auf groß angelegten Boykott als Aktionsform hinarbeiten. 

Am wahrscheinlichsten ist: All das wird, wenn, dann nicht von heute auf morgen passieren und sich die Klimakrise weiter zuspitzen. Was wiederum zu einer zunehmenden Radikalisierung der Klimabewegung führen wird. Wer Klebe- und Schüttaktionen aktuell als unangenehm wahrnimmt, dürfte mit wahrscheinlichen weiteren Eskalationsstufen keine Freude haben. Ein Weg, der in Teilen der Bewegung schon länger kontrovers diskutiert wird, ist die Sabotage fossiler Infrastruktur. Auch hier gibt es schon einzelne Beispiele, in denen etwa Pipelines zugedreht wurden. Greifen einzelne Gruppen unter dem Motto "Wir sind das Investitionsrisiko" zu dieser Strategie und erzielen damit Erfolge, könnten sich diese in Zukunft mehren – und fossile Unternehmen zunehmend unter wirtschaftlichen Druck bringen. Gleichzeitig würden Aktivistinnen und Aktivisten sich damit natürlich großer Repressionsgefahr und dem Risiko von hohen Strafen aussetzen. Das beste Mittel gegen eine solche Radikalisierung der Bewegung bleibt aber trotzdem nicht Repression, sondern: Klimaschutz.

Mehrere Klimabewegungen

Wo es sich schon jetzt reibt – siehe die Kritik der Fridays an LG und wiederum die empörten Reaktionen darauf –, könnten durch ein weiteres Auseinandergehen von Strategien in Zukunft noch viel größere Zerreißproben auf die Klimabewegung zukommen. Eine Organisation kann schwer an die bürgerliche Mitte appellieren und sich gleichzeitig mit Sabotage solidarisieren. Doch vielleicht ist das gar nicht notwendig. Vielleicht werden wir in Zukunft nicht mehr von "der Klimabewegung" reden, weil sie sich in mehrere Bewegungen aufgeteilt hat – dieses Verständnis wäre mittlerweile sinnvoll und keine Spaltung, sondern ein notwendiger und logischer Schritt. Schon jetzt lassen sich verschiedene Strömungen schwer zusammenbringen. Sie sind komplementär, aber nicht direkt kompatibel.

Nicht mehr nur von verschiedenen "Flügeln" zu reden, sondern diese gleich als verschiedene Bewegungen mit teilweise überlappenden Zielen zu verstehen, würde diesen jeweils mehr Freiheit in ihren Mitteln und ihrer Kommunikation geben und könnte am Ende dazu führen, dass sie jeweils für sich mehr Menschen effektiv erreichen und mobilisieren. Das wird notwendig sein, damit am Ende alle das gemeinsame Ziel erreichen. Wenn auch auf unterschiedlichen Wegen. (Manuel Grebenjak, 2.5.2023)

Weitere Beiträge im Blog