Pflegerin Carina Killian kümmert sich in der Wildtierstation in Laxenburg auch um verwaiste Hasenbabys.
Foto: Heribert Corn

Geduldig stillt Carina Killian den Hunger eines Hasenbabys. Namen hat es keinen, braucht es auch nicht – der junge Hase wurde als Wildtier geboren und soll das nach Möglichkeit auch bleiben. Ohne Elterntiere hätte es aber noch keine Überlebenschance, daher ist es in Killians Obhut gelandet. Sie ist hauptverantwortliche Pflegerin in der Wildtierstation Laxenburg, wo sich die Stadt Wien um kranke, verletzte oder verwaiste Tiere kümmert, bis sie im besten Fall wieder ausgesetzt werden.

Daneben recken in einem Käfig zwei ebenso winzige wie hungrige Vogelküken Killian ihre weit geöffneten Schnäbel entgegen. Selbst die Expertin kann noch nicht genau sagen, um welche Art es sich bei ihnen handelt – dafür seien die beiden, die sich erst seit einem Tag in Laxenburg befinden, noch zu jung. Andere Tiere wie verletzte Füchse, Dachse oder Biber, die sich meist in Revierkämpfen gegenseitig zugesetzt haben, werden hier ebenso betreut. Dabei ist es Mitte April noch relativ ruhig in der Wildtierstation, verglichen mit der warmen Jahreszeit.

Welche Tiere werden dann betreut? "Schon einige", sagt Killian und verweist auf die erwartbare Bandbreite tierischer Stadtbewohner von Mäusen bis Tauben. "Eichhörnchen kommen auch irrsinnig viele herein." Selbst Enteneier werden in Laxenburg ausgebrütet, wobei im Frühjahr generell viele Jungtiere in Betreuung kommen. "Leute bringen auch gesunde Tiere, wahrscheinlich aus Unwissenheit", sagt die Pflegerin – vermeintlich hilflose Jungtiere werden oft von ihren Eltern nur vorübergehend zurückgelassen. "Man könnte mit Aufklärung viel erreichen", ergänzt Killian. Berührt man diese Tiere, werden sie von den Eltern oft nicht mehr angenommen.

Von Bürgern gerufen

Von den größeren Arten werden auch Wildschweine oder Rehe, oft infolge eines Verkehrsunfalls, in die Station geliefert. Gerufen wird das Wildtierservice Wien meist von Bürgern, die sich bei Sichtung eines hilfsbedürftigen Tieres an die Hotline (unter 01 4000 49090) wenden sollen. Meist wird daraufhin – gemeinsam mit tierärztlichem Personal vom Tiergarten Schönbrunn, mit dem das Wildtierservice kooperiert – vor Ort über das weitere Vorgehen entschieden.

Nicht immer ist medizinische Betreuung aussichtsreich – manche Tiere müssen eingeschläfert werden – oder nötig. "Einmal wurden wir informiert, dass ein Dachs kopfüber in einem Strauch steckt und nicht mehr herauskommt", berichtet Pflegerin Killian. Das Tier wurde befreit, war aber unverletzt. Unlängst sei ein Rehkitz in eine Baugrube gefallen. "Daran sieht man, dass in Wien überall Tiere sind."

Seit mehr als vier Jahren betreibt das Wildtierservice Wien im südlich der Stadt gelegenen Laxenburg die Pflegeeinrichtung. "Es war einfach Bedarf da", erklärt dessen Leiter Günther Annerl. "Eine Stadt wie Wien braucht eine Gruppe, die sich um Wildtiere kümmert." Also diese gesund pflegt und wieder freilässt, wenn dies zielführend erscheint. Invasive Spezies wie Waschbären oder das nordamerikanische Grauhörnchen dürfen nicht ausgesetzt werden und werden in Partnerbetrieben untergebracht.

Ein Fuchs hofft in der Wildtierstation der Stadt Wien auf baldige Genesung und anschließende Freilassung.
Foto: Heribert Corn

Aber wie geht es frei lebenden Tieren in Wien allgemein? Ziemlich gut, meint Konrad Fiedler, Leiter des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien. "Wien hat für eine Millionenstadt ungewöhnlich viel Grünfläche, die nicht nur aus Parkanlagen besteht, sondern in eine naturnahe Richtung geht", sagt er unter Verweis auf die Lobau oder die Ausläufer des Wienerwalds. Kurzum, es gibt viel naturbelassenen Lebensraum für Wildtiere.

Dennoch gibt es durch die zunehmende Bodenversiegelung für viele Tiere ein zunehmendes Problem. Warum? Es schmilzt dadurch die Lebensgrundlage für Wildtiere, beginnend bei Insekten, die mit ihrer Biomasse Nahrungsbasis für viele andere Arten, vor allem bei Jungtieren, darstellen. Kein gutes Haar lässt Fiedler diesbezüglich am Stadterweiterungsgebiet Seestadt, wo aus seiner Sicht zu wenig an Wildtiere gedacht wurde.

"Man sollte den Mut haben, etwas verwildern zu lassen", sagt der Experte für Biodiversität. Bereits kleine Änderungen würden wirken, etwa einige Böschungen naturnah zu belassen. "Mit wenigen und billigen Maßnahmen könnte man viel erreichen", fasst Fiedler zusammen. "Da ist noch Luft nach oben."

Wildökologische Planung

Dem widerspricht Annerl vom Wildtierservice Wien nicht gänzlich – verweist aber darauf, dass sich nicht alle Grundstücke im Eigentum der Stadt befänden. Generell gehe man zu einer "wildökologischen Stadtplanung" über. Dabei geht es um die Sicherstellung von Artenvielfalt, von Lebensräumen und deren Verbindung – also etwa darum, Krötentunnel zu schaffen, über die Tiere gefahrlos von A nach B gelangen können. "Da muss man ganzheitlich denken", sagt Annerl.

Im April ist es noch recht ruhig in Laxenburg, in der warmen Jahreszeit ist in der Wildtierstation wesentlich mehr los.
Foto: Heribert Corn

In der Pflegeeinrichtung Laxenburg bereitet sich das neunköpfige Pflegeteam unterdessen auf die forderndste Zeit des Jahres vor. Von Mai bis Juli sind ungefähr 450 Tiere gleichzeitig da, die Fürsorge benötigen. Annerl zufolge ist "es dann ziemlich laut, viel los und stressig". Kein Wunder angesichts eines Grünflächenanteils in der Stadt von mehr als 50 Prozent und der Vielfalt an Tieren. "Wien ist die lebenswerteste Stadt für Menschen", sagt Annerl. "Das gilt auch für Wildtiere." (Alexander Hahn, 26.4.2023)