Ein Supermarkt im deutschen Düsseldorf: Hier kauft es sich offenbar deutlich günstiger ein als in Österreich.

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Österreichs große Handelsketten stehen in der Kritik. Es sei "nicht nachvollziehbar", warum die Preise für Lebensmittel und andere Alltagsgüter in Österreich um mehr als die gesamte Inflationsrate gestiegen seien, ließ Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) in den vergangenen Tagen mehrmals wissen. Gemeinsam mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) soll deshalb ein Krisentreffen mit Vertretern und Vertreterinnen des Lebensmittelhandels und anderen Experten stattfinden.

"Der Termin und der genaue Kreis der Teilnehmerinnen werden in den kommenden Tagen feststehen", heißt es in einer Stellungnahme des Sozialministeriums an den STANDARD. "Das Gespräch soll die Frage klären, ob die Preissteigerungen wirklich gerechtfertigt sind oder ob die Notwendigkeit besteht einzugreifen."

Tendenziell Feuer für die Debatte liefert nun eine aktuelle Erhebung vom 20. April. In einem Forschungsbulletin der Europäischen Zentralbank (EZB) haben sich drei Ökonominnen und Ökonomen Preisunterschiede über Grenzen hinweg angesehen. Konkret: jene in der Grenzregion zwischen Österreich und Deutschland. Das brisante Ergebnis: Die Supermarktpreise sind – bei identischen Produkten – auf österreichischer Seite um durchschnittlich 13 Prozent teurer.

Forschungsbulletin der EZB

Die drei Studienautoren Teresa Messner, Fabio Rumler (beide von der Oesterreichischen Nationalbank) und Georg Strasser (EZB) haben sich bewusst eine Region herausgepickt, in der die Preisbildung in unterschiedlichen Staaten nicht durch Zölle oder Ähnliches verzerrt ist. Zwischen Österreich und Deutschland "sollten klassische Handelsbarrieren, Wechselkurse und Distanzen die Preisentscheidungen der Einzelhändler nicht beeinflussen", heißt es in der Studie. Außerdem: "Die Haushaltsausgaben korrelieren grenzüberschreitend stark, was auf ähnliche Verbraucherpräferenzen in beiden Ländern hindeutet, die daher wahrscheinlich keine Quelle für Preisunterschiede sind."

Heißt alles zusammen, eigentlich dürfte es in einer derart eng vernetzten Region keine Preisunterschiede diesseits und jenseits der Grenze geben. Doch es gibt sie. "Selbst innerhalb einer wirtschaftlich vollintegrierten Region (wie der Eurozone, Anm.) kann eine Landesgrenze die Preise beeinflussen", resümieren die Autoren.

Lebensmittel und Kosmetika

Berücksichtigt wurden dabei "hauptsächlich Lebensmittel und Körperpflegeartikel, die in Supermärkten verkauft werden". Mitunter wurden Preisen in den gleichen Supermarktketten beiderseits der Grenze erhoben. Die dahinterliegenden Daten sind nicht neu: Es sind Preise aus dem Zeitraum 2008 bis 2018, die von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zur Verfügung gestellt wurden. Die aktuelle Hochpreisphase ungefähr seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine im März 2022 ist dabei also noch nicht berücksichtigt.

Dennoch liefern die Erkenntnisse Stoff für die derzeitige Diskussion. Führt die starke Konzentration im österreichischen Handelssektor – drei große Handelskonzerne Spar, Rewe und Hofer kontrollieren weit mehr als 80 Prozent des Marktes – dazu, dass die Menschen in Österreich mehr für Alltagsgüter bezahlen müssen als anderswo? Befeuert das die hohe Inflation zusätzlich?

Gewinn-Inflation

Das arbeitnehmernahe Momentum-Institut hat ausgerechnet, inwiefern die Inflation mit höheren Gewinnen von Unternehmen in Zusammenhang zu bringen ist. Demnach sind die Preise, die Handelskonzerne in Österreich für ihre Produkte verlangen, seit dem Jahr 2019 stärker gestiegen als die Preise im Land insgesamt. Konkret beträgt die Steigerung im Handel 19 Prozent, während sie insgesamt bei lediglich zwölf Prozent liegt. Der Großteil dieses Zuwachses sei auf steigende Profite der dahinterstehenden Unternehmen zurückzuführen, so Momentum. Hier seien "Gewinne für den überwiegenden Teil der Preiserhöhungen verantwortlich".

Allerdings muss hinzugefügt werden: Besonders klar ist die Datenlage nicht. So zählen zur Kategorie Handel, in der das Momentum-Institut überdurchschnittlich hohe profitbedingte Preissteigerungen ortet, auch die Bereiche Verkehr, Gastronomie und Hotellerie. Ob der hohe Preiszuwachs also eher am Schnitzel im Restaurant liegt statt an der Milch im Supermarkt, lässt sich nicht sagen. Auch fallen die Preissteigerungen in den Bereichen Energie, Landwirtschaft und Bau durchwegs noch höher aus als im Handelssektor.

Intransparente Mischkalkulation

Konflikte rund um unterschiedliche Preise für Lebensmittel zwischen Deutschland und Österreich haben jedenfalls Tradition. Die Arbeiterkammer übt sich seit Jahrzehnten in Preisvergleichen und machte in ihren Warenkörben schon in der Vergangenheit regelmäßig Aufschläge von bis zu einem Fünftel bei identen Produkten aus. Die wahren Auslöser dahinter lassen sich in Ermangelung harter Daten nur schwer identifizieren. Keine Handelskette gibt Einblick in ihre Preispolitik, ihre Mischkalkulationen erschweren direkte Vergleiche zusätzlich.

Wirtschaftsforscher machten für die Preisdifferenz zum einen andere Konsumgewohnheiten verantwortlich. Ein höherer Bioanteil etwa verteuert Lebensmittel in Summe. Auch hätten Essen und Trinken in Österreich vielerorts einen höheren Stellenwert als in Deutschland – was eine größere Bereitschaft impliziert, dafür mehr auszugeben.

Zum anderen liegt für viele Experten nahe, dass schwächerer Wettbewerb unter den Supermärkten hinter dem höheren Preisniveau steckt. Denn in kaum einem anderen Land der EU ist die Marktkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel stärker.

Höhere Steuern und Löhne

Der Handel selbst führt eine Palette an Gründen an, warum sich Einkäufe in Österreich und Deutschland nur bedingt vergleichen lassen. Für Rewe-Konzernsprecher Paul Pöttschacher wiegen unterschiedliche Steuersätze in beiden Ländern ebenso schwer wie andere Lohnkosten. In Deutschland ist lediglich ein Drittel der Gehälter im Handel über den Kollektivvertrag geregelt.

Pöttschacher erinnert im STANDARD-Gespräch zudem an eine kleinstrukturierte Landwirtschaft in Österreich und einen größeren Anteil an regionalen Lebensmitteln. Geringere Losgrößen und Verkaufsmengen wirkten sich ebenso auf die Preise aus wie aufwendigere und damit kostspieligere Logistik.

Zehnfaches Volumen

Für Nicole Berkmann, Konzernsprecherin der Spar-Gruppe, liegt der Grund für die Differenz klar auf der Hand: Österreich sei für große internationale Markenkonzerne ein kleiner Markt. Händler erhielten in der Folge hierzulande nicht die gleichen Einstandspreise wie in Deutschland, wo das oft zehnfache Volumen an Lebensmitteln und Drogeriewaren bewegt werde. "Und in einem anderen Land günstiger einzukaufen erlauben uns Produzenten nicht." Schlagend werde dies vor allem bei vielen Non-Food-Produkten.

Regionaler aufgestellt ist hierzulande auch die Industrie. Produzenten führen teils strengere Umweltauflagen und hochwertigere Rezepturen ins Treffen – bis hin zu einem größeren Anteil an Gentechnikfreiheit und einem höheren Aktionsanteil in Österreich.

Leben vom Export

Vorwürfe, dass Hersteller in Österreich ihre Gewinne überproportional auffetten würden, weist Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des Verbands der Lebensmittelindustrie, mit Blick auf die wachsende Konzentration des Handels scharf zurück. Wenn die Industrie Geld verdiene, dann im Export, gibt sie zu bedenken. Dieser sei es, der das Überleben und den Standort zahlreicher österreichischer Produzenten sichere.

Was das geplante Krisentreffen des Sozialministers mit dem Einzelhandel betrifft, wartet Letzterer noch auf eine Einladung. Nur Supermarktkonzerne zum Gespräch zu bitten sei zu kurz gegriffen, ist Rewe-Sprecher Pöttschacher überzeugt. Wenn, dann gehörten alle Teilnehmer der Wertschöpfungskette an einen gemeinsamen Tisch. (Joseph Gepp, Verena Kainrath, 25.4.2023)