Die Längenausdehnung der Pasterze, des größten Gletschers Österreichs, ging im Vorjahr um 87,4 Meter zurück.

Foto: Getty images / amriphoto

Weltweit schmelzen die Gletscher in dramatischem Tempo dahin, ein Negativrekord jagt dabei den nächsten. Wie zwei aktuelle Berichte zeigen, setzte sich der globale Eisverlust 2022 in beispielloser Geschwindigkeit fort: Die Meereisbedeckung in der Antarktis erreichte den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen und war rund eine Million Quadratkilometer geringer als im langjährigen Durchschnitt (1991–2020). Währenddessen verzeichneten auch Gebirgsgletscher in Asien, Nord- und Südamerika und der Arktis große Eisverluste, berichtete die Weltorganisation für Meteorologie vergangene Woche.

Noch schneller schritt der Eisschwund aber in den Alpen voran: Nach Angaben des EU-Klimawandeldiensts Copernicus ist im Vorjahr in Europa so viel Gletschereis geschmolzen wie nie zuvor. Die Alpengletscher verloren demnach insgesamt mehr als fünf Kubikkilometer Eis. Allein die Schweizer Gletscher büßte zwischen 2021 und 2022 sechs Prozent ihrer Eismasse ein, zum ersten Mal seit Messbeginn überdauerte selbst in den höchstgelegenen Bereichen kein Neuschnee. In den vergangenen 20 Jahren verloren die Schweizer Gletscher demnach ein Drittel ihres Eises.

Geringe Schneebedeckung, hohe Temperaturen

Europa erlebte 2022 einen niederschlagsarmen Winter, ein trockenes Frühjahr und den heißesten Sommer seit Messbeginn. Die Kombination aus geringer Schneebedeckung und hohen Temperaturen sorgten auch in den österreichischen Alpen für einen dramatischen Gletscherschwund. Die stärksten Rückgänge wurden am Schlatenkees in der Tiroler Venedigergruppe, an der Pasterze in der Glocknergruppe und am Diemferner in den Ötztaler Alpen verzeichnet. Die Schmelzraten waren zwei- bis viermal so hoch wie im langjährigen Mittel. Insgesamt sei in Österreich ein 2,6-facher Rückgang im Vergleich zum Jahr davor zu verzeichnen, hieß es kürzlich in einer Gletscherstudie des Alpenvereins.

Besonders betroffen vom Niederschlagsdefizit im Frühjahr waren die italienischen Alpen, wo die Schneemenge rund 60 Prozent unter dem Durchschnitt lag, mancherorts sogar bis zu 75 Prozent. Das hatte nicht nur für die Gletscher gravierende Folgen: Dass weniger Wasser aus der Schneeschmelze zur Verfügung stand, trug auch zu anhaltenden Dürreperioden bei. Italien, Spanien und Frankreich waren davon besonders betroffen, Trockenheit war aber auch anderswo weitverbreitet: Zeitweise litt rund ein Drittel des europäischen Kontinents darunter.

Anstieg des Meeresspiegels

Schon heute tragen die abschmelzenden Gletscher mehr als einen Millimeter pro Jahr zum Anstieg des globalen mittleren Meeresspiegels bei, hieß es von der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Erst kürzlich rechnete ein Forschungsteam in "Science" vor, was droht, wenn es in Sachen Klimaschutz nicht schnell zu ambitionierteren Maßnahmen kommt: Bei einem Temperaturanstieg um 2,7 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter wären Mitteleuropa, Westkanada, die USA und Neuseeland bis 2100 weitgehend gletscherfrei. Der Meeresspiegel würde dadurch um 115 Millimeter steigen. Selbst bei Erreichen des 1,5-Grad-Ziels, das wir nach Ansicht vieler Forschenden bereits verpasst haben, würde bis 2100 die Hälfte der weltweiten Gletscher verlorengehen. (David Rennert, 26.4.2023)