Europäischen Landwirtinnen und Landwirten ist ukrainisches Getreide ein Dorn im Auge. In Zeiten hoher Inflation dämpfen die Importe die Lebensmittelpreise.

Foto: IMAGO/Martin Wagner

Zuletzt waren es vor allem polnische Bauern, die gegen Getreideimporte aus der Ukraine auf die Barrikaden gingen. Jetzt gibt es auch Kritik aus Österreich: Der niederösterreichische Großbetrieb Gut Hardegg fordert, dass die EU ihren verstärkten Getreidehandel mit der Ukraine sofort aussetzt. Die Landwirtschaftskammer (LKÖ) zeigt sich auf Anfrage des STANDARD ebenfalls kritisch: Man unterstütze Solidaritätsmaßnahmen für die Ukraine, die EU müsse jedoch sicherstellen, dass europäische Bäuerinnen und Bauern keinem unfairen Wettbewerb ausgesetzt seien.

Vor dem Angriff Russlands verschiffte die Ukraine ihr Getreide in erster Linie nach Nordafrika und in andere Drittstaaten. Europa spielte als Handelsdestination kaum eine Rolle. Mit dem Krieg änderte sich das: Russland beschränkte die Exportmöglichkeiten für Getreide über das Schwarze Meer. Die EU richtete deshalb vergangenes Jahr einen Solidaritätskorridor ein und strich die Zölle für ukrainische Getreideimporte. Die Waren sollten die EU-Länder durchqueren und so in den eigentlichen Zielländern in Afrika landen. Anders als geplant bleibt das Getreide nun aber häufig in Europa.

"Tiefschlag" für europäische Bauern

Großhändler würden sich diese neue Handelspolitik zunutze machen und riesige Getreidemengen nach Europa importieren, heißt es in der Stellungnahme des Gut Hardegg, eines Weinviertler Betriebs mit 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Für EU-Landwirte sei der "ungeregelte Solidaritätskorridor" ein "Tiefschlag". Seit dem Sommer 2022 seien die Getreidepreise aufgrund der Importe aus der Ukraine im Sinkflug. Heimische Erzeuger können der "ukrainischen Billigkonkurrenz" nichts entgegensetzen. Es komme zu "groben Wettbewerbsverzerrungen", die europäischen Landwirten "schweren Schaden zufügen".

Kritisch zeigt sich auch die Landwirtschaftskammer. Es sei grundsätzlich zu unterstützten, dass Agrarprodukte über die EU nach Nordafrika und in andere Zielländer gebracht werden. Die EU müsse aber sicherstellen, dass die Lieferungen nicht am europäischen Markt landen, heißt es auf Anfrage. Andernfalls verfehlen "Solidarity-Lanes" ihren Zweck: Der Hunger in den importabhängigen Weltregionen bleibe bestehen und europäische Bäuerinnen und Bauern seien einem unfairen Wettbewerb und Preisverfall ausgesetzt. "Selbst wenn die Ware nicht physisch in Österreich ankommt, sind die Marktverwerfungen und Preisrückgänge schon massiv zu spüren", sagt LKÖ-Präsident Josef Moosbrugger.

Preisdämpfende Wirkung

Etwas differenzierter sieht das Franz Sinabell, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). "Ich glaube, die Situation wird deshalb so intensiv wahrgenommen, weil wir in einer Phase sind, in der die Preise sinken", sagt Sinabell im Gespräch mit dem STANDARD. "Wir wissen nicht, inwieweit die Preisrückgänge tatsächlich auf Lieferungen aus der Ukraine zurückzuführen sind." Große Mengen seien nicht im Spiel, schließlich seien die Frachtkapazitäten beschränkt. Mitgrund für die sinkenden Preise dürfte auch eine Entspannung bei den Produktionskosten sein.

"Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es ein großer Vorteil, dass uns die Ukraine beliefert", sagt der Experte. Die Mehlpreise sinken, das wirke sich dämpfend auf die Lebensmittelpreise aus. Den Bauern sei damit freilich nicht geholfen. Im Juni 2022 wurde die Tonne Weizen an den Future-Börsen für über 400 Euro gehandelt, jetzt liegt der Preis bei 245 Euro. "Das ist ein dramatischer Rückgang", gibt der Ökonom zu bedenken. Im vergangenen Jahr habe die Landwirtschaft profitiert, weil die Preise stärker gestiegen sind als die Kosten. "Es war klar, dass das ein Ausnahmejahr war", sagt Sinabell.

Proteste polnischer Bauern

In den vergangenen Wochen hatten sich vor allem polnischen Bauern lauthals über die billigen ukrainischen Importe beschwert, weil sie aufgrund des Überangebots an Mais und anderem Getreide ihre eigenen Waren nicht mehr verkaufen können. Die Lagerhallen seien voll, obwohl in drei Monaten schon die nächste Getreideernte beginnt. Die polnische Politik reagierte und setzt die Importe zunächst bis 30. Juni aus. Ungarn folgte dem nach.

Die Europäische Kommission hatte die Embargos als "nicht akzeptabel" bezeichnet. Einseitige Handelsmaßnahmen von EU-Mitgliedsstaaten seien nicht zulässig, weil die Handelspolitik in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt. Mittlerweile hat die Kommission Maßnahmen ergriffen, um Marktstörungen in Polen, Bulgarien und Rumänien finanziell auszugleichen. Auch das dürfte bei den österreichischen Bauern auf wenig Gegenliebe gestoßen sein. (Jakob Pflügl, 26.4.2023)