Es gibt derzeit keine kausal wirksame Therapie gegen Demenz, Medikamente können nur den Verlauf beeinflussen. Wer etwas dagegen tun will, sollte früh anfangen – mit Bewegung, gesunder Ernährung, lebenslangem Lernen und dem Pflegen von Freundschaften.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Die ersten Anzeichen kommen langsam und sind nicht sehr offensichtlich. Es kann schon einmal passieren, dass die Oma eine Verabredung vergisst oder den versprochenen Kuchen nicht mitbringt. Doch irgendwann häufen sich die Zeichen, man stellt fest, dass die Wohnung nicht mehr richtig sauber gehalten wird oder Essen im Kühlschrank verdirbt. All das sind Auswirkungen einer Demenz, der zweithäufigsten neurologischen Erkrankung im Alter.

In Österreich sind laut Demenzbericht zwischen 115.000 und 130.000 Menschen davon betroffen, diese Zahl soll sich bis 2050 verdoppeln. Bei den unter 70-Jährigen sind weniger als drei Prozent der Menschen erkrankt, bei den ab 85-Jährigen ist es im Schnitt schon jede fünfte Person. In der Altersgruppe 90 plus erkrankt sogar jede dritte Person. Kausal wirksame Therapien gegen die Erkrankung gibt es derzeit noch nicht, weiß Andreas Winkler, Neurologe und Vizepräsident von Alzheimer Austria: "Wir können noch nicht nachhaltig in den Krankheitsverlauf eingreifen. Es gibt bisher nur Medikamente, die den Verlauf verlangsamen können."

Zwar wird intensiv an Therapiemöglichkeiten geforscht, doch noch zeichnet sich kein entscheidender Durchbruch ab. Umso wichtiger ist, die Risikofaktoren, die zu Demenz führen, frühzeitig zu beeinflussen. Zwar gibt es zahlreiche genetische Faktoren, die die Entstehung der neurodegenerativen Erkrankung begünstigen, "doch keiner davon ist so stark, dass er definitiv das Ausbrechen einer Demenz vorhersagt", betont Winkler. Einzige Ausnahme sind genetisch vererbte Formen. Diese treten schon sehr früh auf und sind sehr selten, es handelt sich um etwa ein bis zwei Prozent der gesamten Erkrankungen. In allen anderen Fällen kann man mit dem richtigen Lifestyle das eigene Risiko, an einer Form von Demenz zu erkranken, deutlich reduzieren.

Trendumkehr jederzeit möglich

Laut Umfragen weiß darüber aber nur rund ein Drittel der Menschen in den wohlhabenden Ländern Bescheid. Deshalb hat Alzheimer's Research UK, eine britische Initiative gegen Demenz, das Projekt Big Brain Health Check-in ins Leben gerufen. Damit kann man erkunden, wie gesund der eigene Lebensstil für das Gehirn ist, und lernen, wie man besser vorbeugen kann. Das sollte man übrigens nicht erst im höheren Alter tun, je früher man damit beginnt, desto besser – denn vor allem in den 40ern und 50ern werden die entscheidenden Weichen für das spätere Demenzrisiko gestellt.

Und sogar wenn sich erste Anzeichen der Demenz schon nach außen bemerkbar machen – im Gehirn findet man die Anzeichen der Veränderung schon viel früher –, kann man noch aktiv werden, das hat eine große geriatrische Studie gezeigt. Für diese wurden Menschen mit beginnender Demenz in zwei Gruppen geteilt. Eine hat nur Anweisungen bekommen, wie sie sich verhalten sollen, die andere hat ein intensives Förderprogramm erhalten. Beide Gruppen konnten den Demenzverlauf positiv beeinflussen, jene mit dem strikten Programm konnte ihre Gehirnleistung aber sogar wieder verbessern.

Es ist also nie zu spät, den Lebensstil positiv zu beeinflussen. Doch je früher man damit beginnt, desto besser ist das Ergebnis. In diesen neun Lebensstilbereichen kann man gezielt Einfluss nehmen:

1. Bildung, Bildung, Bildung

Dieser Vorsorgeansatz betrifft schon die ganz Jungen. Neurologe Winkler weiß: "Die einzelnen Risikofaktoren haben zu unterschiedlichen Lebenszeiten eine verschiedene Gewichtung. In jeder Altersstufe kann man gewisse Vorsorgestufen ganz spezifisch fördern. Und das Erwerben von guter Bildung beginnt schon in der Schulzeit." Der wahrscheinliche Grund dahinter: Je gebildeter eine Person ist, desto besser sind die kognitiven Fähigkeiten. Das zeigt auch eine britische Langzeitstudie, die eine Gruppe von Menschen erstmals im Alter von acht Jahren auf ihre kognitiven Fähigkeiten testete und dann wieder mit knapp 70 Jahren.

Durch Lernen bilden sich neue Synapsen aus, dadurch baut man eine Art kognitive Reserve auf. Der Grundstein dafür wird schon in der Schule gelegt.
Foto: imago images/Thomas Eisenhuth

Der Grundstein wird also bereits in der Schulzeit gelegt, doch jeder weitere Bildungserwerb auch in späteren Jahren hilft, etwa das Erlernen einer Fremdsprache, anspruchsvolle Lektüre, fordernde Gespräche oder auch Denksportaufgaben. Egal, was man tut, geistig rege zu bleiben hilft. "Man bildet dadurch eine Art kognitive Reserve, das ist wie ein Gips bei einem Beinbruch", sagt Winkler. Denn beim Gehirntraining bilden sich neue Synapsen und Verknüpfungen aus, die dienen dann im Krankheitsfall als Rücklage.

2. Schädelverletzungen vermeiden

Wiederholte Erschütterungen und mechanische Verletzungen des Gehirns steigern das Risiko, im Alter eine Demenz zu entwickeln, das weiß man schon länger. So sind beispielsweise Profifußballer durch das wiederholte Köpfeln gefährdet. Das bestätigt eine aktuelle Kohortenstudie aus Schweden, die zeigt, dass die Sportler ein um etwa 50 Prozent erhöhtes Risiko haben. Doch auch Unfälle, bei denen der Kopf verletzt wird, können problematisch sein, etwa beim Mountainbiken oder anderen Sportarten.

"Ist das Gehirn starken Beschleunigungs- oder Abbremsbewegungen ausgesetzt, führt das zur Zerstörung von Nervenbahnen", erklärt Winkler und rät deshalb, beim Mountainbiken, Skifahren und ähnlichen Sportarten immer Helm zu tragen. Außerdem sollte man bereits in mittleren Jahren mit ausreichend Kraft- und Koordinationstraining beginnen. Das mindert die Sturzgefahr vor allem in späteren Jahren enorm – was übrigens eine schwere gesundheitliche Komplikation für ältere Menschen ist, auch ohne Demenz. Viele erholen sich von einer Sturzverletzung nie wieder völlig und können sogar an den langfristigen Folgen versterben.

3. Mit dem Rauchen aufhören, Alkohol reduzieren, Schadstoffe minimieren

Alkohol ist ein Zellgift, er zerstört, im Übermaß konsumiert, nicht nur Leberzellen, sondern auch Gehirnzellen. Mindestens ebenso schädlich sind Nikotin- und Tabakprodukte, die geraucht werden. Die dabei entstehenden Substanzen greifen Herz und Blutgefäße an, führen zu Arteriosklerose und schädigen sowohl die innere weiße als auch die äußere graue Hirnsubstanz. Man sollte deshalb am besten erst gar nicht beginnen zu rauchen. Ist es dafür schon zu spät, sollte man besser früher als später aufhören, weiß Winkler: "Je älter man ist, desto negativer wirkt sich das Rauchen aus. Das Risiko eines 20-Jährigen ist ungleich geringer als das eines 70-Jährigen."

Auch passiv mitrauchen ist übrigens schädlich, ebenso wie das Einatmen anderer Schadstoffe wie Rauchentwicklung durch Kerzen, Reifenabrieb oder Abgase. Letztere dürften zu einer permanenten leichten Entzündungsreaktion in der Lunge führen, was sich wiederum negativ auf das Gehirn auswirken kann.

4. Sportlich werden – oder noch besser bleiben

Die körperliche Aktivität ist für den Alzheimer-Experten Winkler eine der wichtigsten Säulen in der Vorsorge. Er pocht darauf, zumindest die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO einzuhalten, das sind für Erwachsene 150 bis 300 Minuten moderater Sport oder 75 bis 150 Minuten intensives Training pro Woche. Auch eine Kombination aus beidem ist möglich, und mehr ist natürlich immer gut. Moderate Bewegung bedeutet, dass man sich dabei theoretisch noch gut unterhalten kann, etwa Walken, langsames Joggen oder Radfahren.

Sport ist einfach das beste Mittel, um langfristig gesund zu bleiben – auf allen Ebenen. Die WHO empfiehlt für Erwachsene 150 bis 300 Minuten moderaten Sport oder 75 bis 150 Minuten intensives Training pro Woche.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Sport und Bewegung verbessern den gesamten Gesundheitszustand und insbesondere die kardiovaskulären Risikofaktoren wie zu hoher Blutdruck oder Arteriosklerose. Winkler betont: "Was Herz und Gefäßen guttut, tut auch dem Gehirn gut. Insbesondere Durchblutungsstörungen boostern das Demenzrisiko. Die häufigste Folge von zerebralen Durchblutungsstörungen ist nicht der Schlaganfall, sondern die Demenz." Außerdem hilft Bewegung, das Gewicht im Griff zu haben, und senkt das Diabetesrisiko – was beides Auswirkungen auf das Gehirn hat. Dazu verbessert Sport Ausdauer, Kraft und Koordination, das Gehirn wird durch die dabei entstehenden Reize stimuliert.

5. Auf guten Schlaf achten

Wer gut schläft, ist langfristig gesünder. Man weiß heute, dass zwischen Schlafstörungen und dem Entwickeln von Alzheimer eine enge Korrelation besteht – vor allem wenn sie über viele Jahre fortdauern. Grund für diese negative Folge ist wahrscheinlich das schlechter funktionierende glymphatische System im Gehirn, erklärt Winkler. "Das ist eine Art Abwassersystem des Zentralnervensystems, das in den Tiefschlafphasen den Liquor cerebrospinalis, das Gehirnwasser, reinigt. Bei gestörtem Schlaf kann das wahrscheinlich nicht ausreichend passieren."

Dagegen hilft eine gute Schlafhygiene, also Bildschirme am Abend meiden, abendliche Entspannungsrituale, generell Stressabbau und Ähnliches. Medikamente wie Schlafmittel sind keine Lösung. Die machen zwar müde und man schläft ein, aber das glymphatische System kann trotzdem nicht richtig arbeiten, weiß Winkler. Generell empfiehlt er, Medikamente achtsam einzusetzen und zumindest jene so gut wie möglich zu meiden, deren Nebenwirkungen das Gehirn beeinflussen können. Dazu gehören eben manche Schlafmittel und auch Psychopharmaka.

6. Besser essen

Viel bewirken kann man auch mit der richtigen Ernährung. Besonders positiv soll sich die mediterrane Ernährung auswirken, zeigt eine aktuelle Studie, also viel Gemüse und Ballaststoffe, wenig Fleisch, mehr Fisch, wenig Zucker und Alkohol, dafür gesunde Fette. So hat man die kardiovaskulären Risikofaktoren und das Gewicht besser unter Kontrolle, auch das Diabetesrisiko wird stark reduziert. Gleichzeitig wirkt sich diese Art zu essen positiv auf das Darmmikrobiom aus. Und auch wenn man noch nicht genau weiß, wie sich das wieder auf das Gehirn auswirkt, weiß man, dass es einen großen Einfluss gibt, über die sogenannte Darm-Hirn-Achse.

Für eine Demenz vorbeugende Ernährung sollte möglichst viel Gemüse auf dem Speiseplan stehen. Es ist voller Nähr-, Ballast- und sekundärer Pflanzenstoffe – und es schmeckt nebenbei auch noch.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Gleichzeitig warnt Winkler davor, ziellos auf Nahrungsergänzungsmittel zu setzen. Einer Unmenge von Vitaminen, Mineralstoffen oder sekundären Pflanzenstoffen werden äußerst positive Auswirkungen auf das Gehirn und die kognitiven Fähigkeiten nachgesagt, von Kurkuma über Spermidin bis zu unterschiedlichsten "Gedächtniskapseln". "Jeder Zweite über 50 nimmt etwas, das kostet viel und ist ein riesiger Wirtschaftszweig. Aber derzeit gibt es bei keinem einzigen Mittel einen Nachweis für seine Wirksamkeit."

7. Psychische Probleme behandeln

Depressionen und Demenz sind eng miteinander verbunden, das weiß man. Winkler erklärt, dass Depression ein frühes Anzeichen für Demenz sein kann, "die beiden Probleme kommen übermäßig gehäuft gemeinsam vor". Der Hintergrund: Menschen mit Depression neigen dazu, sich zurückzuziehen, sie verlieren die soziale Teilhabe. Das verstärkt wiederum gleichzeitig die Depression und die Demenz, ein Wechselwirkungs-Teufelskreis.

Nicht immer ist deshalb klar, ob es sich bei älteren Menschen um eine Depression oder eine Demenz handelt. Wichtiges Unterscheidungsmerkmal einer Depression ist, dass sie eher plötzlich auftritt, im Gegensatz zur schleichenden Demenz. Und depressive Personen können üblicherweise normalen Alltagstätigkeiten gut nachgehen – während Demenzbetroffene diese Fähigkeit verlieren. Auf jeden Fall sollte man Depressionen auch bei älteren Personen behandeln, sonst verstärkt sich das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, enorm.

8. Gesellig sein

Für die kognitiven Fähigkeiten gilt der Grundsatz "use it or lose it". Deshalb ist Geselligkeit so wichtig, man steht dabei in permanentem Austausch. Egal ob man in der Familie regen Kontakt hat, ob man Freundschaften pflegt oder in einem Verein aktiv ist, alles wirkt sich positiv aus. Diese Vorsorge ist vor allem im Alter wichtig, allerdings sollte man mit dem Aufbau eines erfüllten Soziallebens schon früh beginnen – dann fällt es umso leichter, diese Beziehungen auch aufrechtzuerhalten.

Beim Tanzen können Ältere gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Man tut es in Gesellschaft, ist sportlich aktiv und schult die Koordination – was wiederum für die Kognition sehr wichtig ist.
Foto: imago images/AFLO

Das zeigt auch die Harvard-Glücksstudie. Seit 1939 untersucht sie eine Gruppe von Menschen, die Beziehungen, mit denen sie leben, und wie sie sich dabei entwickelt haben. Und sie zeigt ganz klar: Menschen, die gesellschaftlich besser eingebunden sind in ein Netzwerk aus Familie und Freunden, sind gesünder, glücklicher und werden älter als einsame Menschen. Die Inzidenz von Demenz wurde zwar nicht explizit gemessen, aber der allgemeine Gesundheitszustand. Und der ist bei den Glücklichen eben ganz klar besser.

9. Hörprobleme beheben

Besonders bei älteren Menschen gilt Hörverlust als einer der größten Risikofaktoren für Demenz. Den genauen Grund dafür weiß man nicht, womöglich liegt es daran, dass schlechtes Hören andere Risikofaktoren verstärkt, wie Depressionen, soziale Isolation, Sturzgefahr und in der Folge Hirnverletzungen. Winkler betont, dass "sensorische Beeinträchtigungen wie schlechtes Hören oder auch Sehen generell die Deprivation verstärken. Man bekommt nicht mehr alles mit, nimmt nicht mehr so intensiv teil am gesellschaftlichen Leben. Warum sollte man sich auch etwas merken, wenn man ohnehin nicht mehr ordentlich hört?"

Bei unbehandeltem Hörverlust ist man wie in Watte gepackt, weniger Reizen ausgesetzt, und man reduziert die Kommunikation stark. Deshalb sollte man, sobald man den Eindruck hat, schlechter zu hören, unbedingt einen Check machen. Ein typisches Anzeichen ist der sogenannte Cocktailparty-Effekt: Wenn man sich in einer größeren Runde mit Stimmengewirr schwertut, einem Gespräch zu folgen. Eine Hörhilfe kann hier wirklich wertvolle Dienste leisten. (Pia Kruckenhauser, 30.4.2023)